Momente zeigen sich auch drunten in der Ebene nach einem soliden Landregen.
Was der ganzen Erscheinung ein viel unheimlicheres Gepräge giebt, ist die tiefe Schwermuth, in welche die ganze Landschaft versunken ist. Die hohen Berge sind nicht sichtbar; Wolken haben sich wie graue Trauermäntel um ihre Schultern gehangen. Wäh¬ rend schon bei hellem, lachendem Himmel nur ein geringeres Quantum Horizont in das Bergthal hereinleuchten kann als in das unbegrenzte Flachland, -- so wird dem bischen Tageshelle bei trübem Wetter vollends der freie Eintritt durch die Bergkolosse verkümmert. Die Regenwolken mögen sich vielleicht nicht tiefer gegen den Erdboden niedersenken als wo anders auch; aber da¬ durch, daß man mittelst der nahestehenden Felsenmassen einen Maßstab für den Hochgang der Wolken erhält, wähnt man, die ganze Atmosphäre laste wie ein böser Traum auf der Gegend. Nicht selten ists der Fall, daß Fremde bei solchem Wetter von einer Angst und Bangigkeit befallen werden, als ob ihnen das entsetzlichste Unglück bevorstände.
In dieser landschaftlichen Verfassung befand sich denn auch das Goldauer Thal, als unerwarteter Weise am Vormittage des 2. September das Regenwetter plötzlich innehielt, während der Horizont einfarbig melancholisch umwölkt blieb. Am frühen Mor¬ gen dieses Tages bemerkten Landleute, die auf der Höhe des Gnypenberges (der östliche Theil des Roßberges) und am s. g. "Spitzenbühl" Ställe besaßen, ganz frische, weit auseinander klaffende Risse im Erdreich und an den Felsenwänden. Der Rasen war an manchen Stellen übereinander geschoben und in den be¬ nachbarten Waldungen hörte man von Zeit zu Zeit ein dumpfes, dem Rottenfeuer ähnliches Knallen, gleichsam als ob Wurzelwerk gewaltsam zersprengt würde. Daneben stürzte von einer Felsenfluh am "Gemeinde-Märcht" fortwährend Nagelfluh-Gestein hernieder; da aber solche Ablösungen stets im Frühjahr nach der Schnee¬
Der Goldauer Bergſturz.
Momente zeigen ſich auch drunten in der Ebene nach einem ſoliden Landregen.
Was der ganzen Erſcheinung ein viel unheimlicheres Gepräge giebt, iſt die tiefe Schwermuth, in welche die ganze Landſchaft verſunken iſt. Die hohen Berge ſind nicht ſichtbar; Wolken haben ſich wie graue Trauermäntel um ihre Schultern gehangen. Wäh¬ rend ſchon bei hellem, lachendem Himmel nur ein geringeres Quantum Horizont in das Bergthal hereinleuchten kann als in das unbegrenzte Flachland, — ſo wird dem bischen Tageshelle bei trübem Wetter vollends der freie Eintritt durch die Bergkoloſſe verkümmert. Die Regenwolken mögen ſich vielleicht nicht tiefer gegen den Erdboden niederſenken als wo anders auch; aber da¬ durch, daß man mittelſt der naheſtehenden Felſenmaſſen einen Maßſtab für den Hochgang der Wolken erhält, wähnt man, die ganze Atmoſphäre laſte wie ein böſer Traum auf der Gegend. Nicht ſelten iſts der Fall, daß Fremde bei ſolchem Wetter von einer Angſt und Bangigkeit befallen werden, als ob ihnen das entſetzlichſte Unglück bevorſtände.
In dieſer landſchaftlichen Verfaſſung befand ſich denn auch das Goldauer Thal, als unerwarteter Weiſe am Vormittage des 2. September das Regenwetter plötzlich innehielt, während der Horizont einfarbig melancholiſch umwölkt blieb. Am frühen Mor¬ gen dieſes Tages bemerkten Landleute, die auf der Höhe des Gnypenberges (der öſtliche Theil des Roßberges) und am ſ. g. „Spitzenbühl“ Ställe beſaßen, ganz friſche, weit auseinander klaffende Riſſe im Erdreich und an den Felſenwänden. Der Raſen war an manchen Stellen übereinander geſchoben und in den be¬ nachbarten Waldungen hörte man von Zeit zu Zeit ein dumpfes, dem Rottenfeuer ähnliches Knallen, gleichſam als ob Wurzelwerk gewaltſam zerſprengt würde. Daneben ſtürzte von einer Felſenfluh am „Gemeinde-Märcht“ fortwährend Nagelfluh-Geſtein hernieder; da aber ſolche Ablöſungen ſtets im Frühjahr nach der Schnee¬
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Der Goldauer Bergſturz.
Momente zeigen ſich auch drunten in der Ebene nach einem ſoliden
Landregen.
Was der ganzen Erſcheinung ein viel unheimlicheres Gepräge
giebt, iſt die tiefe Schwermuth, in welche die ganze Landſchaft
verſunken iſt. Die hohen Berge ſind nicht ſichtbar; Wolken haben
ſich wie graue Trauermäntel um ihre Schultern gehangen. Wäh¬
rend ſchon bei hellem, lachendem Himmel nur ein geringeres
Quantum Horizont in das Bergthal hereinleuchten kann als in
das unbegrenzte Flachland, — ſo wird dem bischen Tageshelle bei
trübem Wetter vollends der freie Eintritt durch die Bergkoloſſe
verkümmert. Die Regenwolken mögen ſich vielleicht nicht tiefer
gegen den Erdboden niederſenken als wo anders auch; aber da¬
durch, daß man mittelſt der naheſtehenden Felſenmaſſen einen
Maßſtab für den Hochgang der Wolken erhält, wähnt man, die
ganze Atmoſphäre laſte wie ein böſer Traum auf der Gegend.
Nicht ſelten iſts der Fall, daß Fremde bei ſolchem Wetter von
einer Angſt und Bangigkeit befallen werden, als ob ihnen das
entſetzlichſte Unglück bevorſtände.
In dieſer landſchaftlichen Verfaſſung befand ſich denn auch
das Goldauer Thal, als unerwarteter Weiſe am Vormittage des
2. September das Regenwetter plötzlich innehielt, während der
Horizont einfarbig melancholiſch umwölkt blieb. Am frühen Mor¬
gen dieſes Tages bemerkten Landleute, die auf der Höhe des
Gnypenberges (der öſtliche Theil des Roßberges) und am ſ. g.
„Spitzenbühl“ Ställe beſaßen, ganz friſche, weit auseinander
klaffende Riſſe im Erdreich und an den Felſenwänden. Der Raſen
war an manchen Stellen übereinander geſchoben und in den be¬
nachbarten Waldungen hörte man von Zeit zu Zeit ein dumpfes,
dem Rottenfeuer ähnliches Knallen, gleichſam als ob Wurzelwerk
gewaltſam zerſprengt würde. Daneben ſtürzte von einer Felſenfluh
am „Gemeinde-Märcht“ fortwährend Nagelfluh-Geſtein hernieder;
da aber ſolche Ablöſungen ſtets im Frühjahr nach der Schnee¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/73>, abgerufen am 21.11.2024.
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