kleine Reise gleichsam eine Praeparation auf die große seyn, damit ich solche auszustehen desto ge- schickter wäre. Jch hatte auch im Sinne, meines Vaters Geburts-Stadt, Primcke- nau, zu sehen, so ein kleiner Ort, und nicht weit von Glogau entfernet ist. Wie uns mein Vater erzehlet, so waren seine Eltern allem Ansehen nach wohlhabende Leute gewesen; die Pest aber hatte dazumahl so gewaltig grassi- ret, daß von 21. Personen, aus welchen seine Familie bestanden, und die alle schier in einer Nacht durch die Pest hingerissen worden, er allein übrig geblieben. Und, weil er als ein kleiner Junge nicht gewust, was er anfangen sollen, so war er in der Tummheit so weit ge- lauffen, so weit ihn seine Beine tragen können, bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus Erbarmen zu sich, und ihn in seinen Dienst ge- nommen. Allein ich war kaum den andern Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die vorige Nacht, weil die Kutschen des Sommers kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge- schlafen hatte; siehe, so wolte ich schon wie- der davon lauffen. Die Furcht und Ban- gigkeit war so groß, daß ich glaube, ich wäre in stockfinsterer Nacht wieder davon gegangen, wenn mein Kutscher es zugelaßen hätte, und die Thore nicht schon geschlossen gewesen wären.
Nach
Stadt Glogau
kleine Reiſe gleichſam eine Præparation auf die große ſeyn, damit ich ſolche auszuſtehen deſto ge- ſchickter waͤre. Jch hatte auch im Sinne, meines Vaters Geburts-Stadt, Primcke- nau, zu ſehen, ſo ein kleiner Ort, und nicht weit von Glogau entfernet iſt. Wie uns mein Vater erzehlet, ſo waren ſeine Eltern allem Anſehen nach wohlhabende Leute geweſen; die Peſt aber hatte dazumahl ſo gewaltig graſſi- ret, daß von 21. Perſonen, aus welchen ſeine Familie beſtanden, und die alle ſchier in einer Nacht durch die Peſt hingeriſſen worden, er allein uͤbrig geblieben. Und, weil er als ein kleiner Junge nicht gewuſt, was er anfangen ſollen, ſo war er in der Tummheit ſo weit ge- lauffen, ſo weit ihn ſeine Beine tragen koͤnnen, bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus Erbarmen zu ſich, und ihn in ſeinen Dienſt ge- nommen. Allein ich war kaum den andern Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die vorige Nacht, weil die Kutſchen des Sommers kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge- ſchlafen hatte; ſiehe, ſo wolte ich ſchon wie- der davon lauffen. Die Furcht und Ban- gigkeit war ſo groß, daß ich glaube, ich waͤre in ſtockfinſterer Nacht wieder davon gegangen, wenn mein Kutſcher es zugelaßen haͤtte, und die Thore nicht ſchon geſchloſſen geweſen waͤren.
Nach
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Stadt Glogau
kleine Reiſe gleichſam eine Præparation auf die
große ſeyn, damit ich ſolche auszuſtehen deſto ge-
ſchickter waͤre. Jch hatte auch im Sinne,
meines Vaters Geburts-Stadt, Primcke-
nau, zu ſehen, ſo ein kleiner Ort, und nicht
weit von Glogau entfernet iſt. Wie uns
mein Vater erzehlet, ſo waren ſeine Eltern
allem Anſehen nach wohlhabende Leute geweſen;
die Peſt aber hatte dazumahl ſo gewaltig graſſi-
ret, daß von 21. Perſonen, aus welchen ſeine
Familie beſtanden, und die alle ſchier in einer
Nacht durch die Peſt hingeriſſen worden, er
allein uͤbrig geblieben. Und, weil er als ein
kleiner Junge nicht gewuſt, was er anfangen
ſollen, ſo war er in der Tummheit ſo weit ge-
lauffen, ſo weit ihn ſeine Beine tragen koͤnnen,
bis er zu einem Bauer gekommen, der ihn aus
Erbarmen zu ſich, und ihn in ſeinen Dienſt ge-
nommen. Allein ich war kaum den andern
Tag in Glogau angekommen, nachdem ich die
vorige Nacht, weil die Kutſchen des Sommers
kein Nacht-Lager halten, wenig oder nichts ge-
ſchlafen hatte; ſiehe, ſo wolte ich ſchon wie-
der davon lauffen. Die Furcht und Ban-
gigkeit war ſo groß, daß ich glaube, ich waͤre
in ſtockfinſterer Nacht wieder davon gegangen,
wenn mein Kutſcher es zugelaßen haͤtte, und die
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/189>, abgerufen am 24.11.2024.
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