darauf an, wie ihre Urtheile, und theoretische und practische Lehr-Sätze, welche sie hegen, beschaffen, und ob ein krancker Leib, und das Unglück auf Erden nicht eine Gelegenheit sey, das Wahre vom Falschen, und das Böse vom Guten besser zu unterscheiden, als ein gesunder Leib; und ob das Glück und gesunder Leib die Menschen nicht zu einem frechen, wilden, sichern, hochmüthigen Sinn viel geneigter ma- che, und sie, wie taummelnde und trunckene Menschen, zu den thörichsten und verkehrtesten Urtheilen, so sie von Sachen, so die Religion und GOTT im Himmel angehen, fällen, verleite.
§. 69.
Hieher kan ich mit Recht auch die ge- meine Sorgen-Plage rechnen, mit welcher viel Menschen zu gewissen Zeiten behafftet. Jch möchte sie beynahe die Sorgen-Kranck- heit heißen; denn die Zufälle des Leibes, woraus sie entstehet, werden von den vorigen nicht viel unterschieden seyn. Siehe, du weißt, wie dir im Leibe, und in der Seelen zu Muthe, wenn allerhand wichtige Dinge, z. E. eine verworrene Proceß-Sache, ein be- sorglicher Verlust deiner Güther, eine zuvorher gesehene öffentliche Schande, dir wahrhaff-
tige
und ſeltſame Einbildung
darauf an, wie ihre Urtheile, und theoretiſche und practiſche Lehr-Saͤtze, welche ſie hegen, beſchaffen, und ob ein krancker Leib, und das Ungluͤck auf Erden nicht eine Gelegenheit ſey, das Wahre vom Falſchen, und das Boͤſe vom Guten beſſer zu unterſcheiden, als ein geſunder Leib; und ob das Gluͤck und geſunder Leib die Menſchen nicht zu einem frechen, wilden, ſichern, hochmuͤthigen Sinn viel geneigter ma- che, und ſie, wie taummelnde und trunckene Menſchen, zu den thoͤrichſten und verkehrteſten Urtheilen, ſo ſie von Sachen, ſo die Religion und GOTT im Himmel angehen, faͤllen, verleite.
§. 69.
Hieher kan ich mit Recht auch die ge- meine Sorgen-Plage rechnen, mit welcher viel Menſchen zu gewiſſen Zeiten behafftet. Jch moͤchte ſie beynahe die Sorgen-Kranck- heit heißen; denn die Zufaͤlle des Leibes, woraus ſie entſtehet, werden von den vorigen nicht viel unterſchieden ſeyn. Siehe, du weißt, wie dir im Leibe, und in der Seelen zu Muthe, wenn allerhand wichtige Dinge, z. E. eine verworrene Proceß-Sache, ein be- ſorglicher Verluſt deiner Guͤther, eine zuvorher geſehene oͤffentliche Schande, dir wahrhaff-
tige
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[303/0349]
und ſeltſame Einbildung
darauf an, wie ihre Urtheile, und theoretiſche
und practiſche Lehr-Saͤtze, welche ſie hegen,
beſchaffen, und ob ein krancker Leib, und das
Ungluͤck auf Erden nicht eine Gelegenheit ſey,
das Wahre vom Falſchen, und das Boͤſe vom
Guten beſſer zu unterſcheiden, als ein geſunder
Leib; und ob das Gluͤck und geſunder Leib die
Menſchen nicht zu einem frechen, wilden,
ſichern, hochmuͤthigen Sinn viel geneigter ma-
che, und ſie, wie taummelnde und trunckene
Menſchen, zu den thoͤrichſten und verkehrteſten
Urtheilen, ſo ſie von Sachen, ſo die Religion
und GOTT im Himmel angehen, faͤllen,
verleite.
§. 69.
Hieher kan ich mit Recht auch die ge-
meine Sorgen-Plage rechnen, mit welcher
viel Menſchen zu gewiſſen Zeiten behafftet.
Jch moͤchte ſie beynahe die Sorgen-Kranck-
heit heißen; denn die Zufaͤlle des Leibes,
woraus ſie entſtehet, werden von den vorigen
nicht viel unterſchieden ſeyn. Siehe, du
weißt, wie dir im Leibe, und in der Seelen
zu Muthe, wenn allerhand wichtige Dinge,
z. E. eine verworrene Proceß-Sache, ein be-
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/349>, abgerufen am 24.11.2024.
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