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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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wiederum befreyet werden,
sie solches nur nicht thun möchten. Es ist nem-
lich nicht eine solche Furcht, wie desjenigen ist,
der Lust zur Hurerey hat, und hertzlich gerne sie
begehen möchte, sich aber vor seinen Eltern, vor
der Obrigkeit, vor der Schande, und auch
wohl vor GOTT sich fürchtet, und also
auch die That zu begehen sich scheuet; sondern
die Furcht, von der ich rede, ist eine Furcht,
gleich einem, der zum Schwindel geneigt ist, oder
offters Epilepsie hat. Siehe, dieser hat keine
Lust, keine Neigung die Treppe hinunter zu fal-
len, den Hals zu brechen, sondern er fürchtet sich
vor nichts so sehr, als davor: er betet zu GOtt
inbrünstig, daß ihn GOtt, so offt er eine Treppe
hinunter zu gehen hat, vor dem Schwindel, und
vor der Epilepsie bewahren wolle. Siehe, so
ist es mit der Furcht eines Melancholici, die er
hat sich selbst zu tödten, beschaffen. David
hatte keine Lust noch Neigung in die Hand
Sauls zu fallen: er wird nicht gereitzet sich von
freyen Stücken in seine Hände zu werffen; son-
dern er fürchtet sich, er werde in kurtzem,
und der Tage einen Saul in die Hände
fallen,
1. Sam. 27. v. 1. Da ich nun dieses
alles gesaget, und oben bereits gewiesen, wie
die deutlichen und lebendigen Ideen vom Selbst-
Mord bey den Menschen entstehen können; so
urtheile, ob es wohl Wunder sey, wenn sie sich

bey
X 4

wiederum befreyet werden,
ſie ſolches nur nicht thun moͤchten. Es iſt nem-
lich nicht eine ſolche Furcht, wie desjenigen iſt,
der Luſt zur Hurerey hat, und hertzlich gerne ſie
begehen moͤchte, ſich aber vor ſeinen Eltern, vor
der Obrigkeit, vor der Schande, und auch
wohl vor GOTT ſich fuͤrchtet, und alſo
auch die That zu begehen ſich ſcheuet; ſondern
die Furcht, von der ich rede, iſt eine Furcht,
gleich einem, der zum Schwindel geneigt iſt, oder
offters Epilepſie hat. Siehe, dieſer hat keine
Luſt, keine Neigung die Treppe hinunter zu fal-
len, den Hals zu brechen, ſondern er fuͤrchtet ſich
vor nichts ſo ſehr, als davor: er betet zu GOtt
inbruͤnſtig, daß ihn GOtt, ſo offt er eine Treppe
hinunter zu gehen hat, vor dem Schwindel, und
vor der Epilepſie bewahren wolle. Siehe, ſo
iſt es mit der Furcht eines Melancholici, die er
hat ſich ſelbſt zu toͤdten, beſchaffen. David
hatte keine Luſt noch Neigung in die Hand
Sauls zu fallen: er wird nicht gereitzet ſich von
freyen Stuͤcken in ſeine Haͤnde zu werffen; ſon-
dern er fuͤrchtet ſich, er werde in kurtzem,
und der Tage einen Saul in die Haͤnde
fallen,
1. Sam. 27. v. 1. Da ich nun dieſes
alles geſaget, und oben bereits gewieſen, wie
die deutlichen und lebendigen Idéen vom Selbſt-
Mord bey den Menſchen entſtehen koͤnnen; ſo
urtheile, ob es wohl Wunder ſey, wenn ſie ſich

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[327/0373] wiederum befreyet werden, ſie ſolches nur nicht thun moͤchten. Es iſt nem- lich nicht eine ſolche Furcht, wie desjenigen iſt, der Luſt zur Hurerey hat, und hertzlich gerne ſie begehen moͤchte, ſich aber vor ſeinen Eltern, vor der Obrigkeit, vor der Schande, und auch wohl vor GOTT ſich fuͤrchtet, und alſo auch die That zu begehen ſich ſcheuet; ſondern die Furcht, von der ich rede, iſt eine Furcht, gleich einem, der zum Schwindel geneigt iſt, oder offters Epilepſie hat. Siehe, dieſer hat keine Luſt, keine Neigung die Treppe hinunter zu fal- len, den Hals zu brechen, ſondern er fuͤrchtet ſich vor nichts ſo ſehr, als davor: er betet zu GOtt inbruͤnſtig, daß ihn GOtt, ſo offt er eine Treppe hinunter zu gehen hat, vor dem Schwindel, und vor der Epilepſie bewahren wolle. Siehe, ſo iſt es mit der Furcht eines Melancholici, die er hat ſich ſelbſt zu toͤdten, beſchaffen. David hatte keine Luſt noch Neigung in die Hand Sauls zu fallen: er wird nicht gereitzet ſich von freyen Stuͤcken in ſeine Haͤnde zu werffen; ſon- dern er fuͤrchtet ſich, er werde in kurtzem, und der Tage einen Saul in die Haͤnde fallen, 1. Sam. 27. v. 1. Da ich nun dieſes alles geſaget, und oben bereits gewieſen, wie die deutlichen und lebendigen Idéen vom Selbſt- Mord bey den Menſchen entſtehen koͤnnen; ſo urtheile, ob es wohl Wunder ſey, wenn ſie ſich bey X 4

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/373>, abgerufen am 21.11.2024.