Unart, und unförmliche Weise, einen Men- schen von seinen Jrrthümern zu bekehren, oder wegen seinen Lehren zur Rede zu stellen, sehen und anhören müssen. Es waren die ober- sten 4. Prediger, so im Consistorio mit saßen; bald eiferte dieser, bald ein anderer, bald satz- ten zwey und drey auf einmahl in mich hinein, ohne daß sie mich zu einer völligen Antwort kommen ließen, so daß es eine rechte Lust, oder vielmehr ein Jammer war, solches anzuhören. Jch dachte in meinem Sinne: Seyd ihr Theologi, seyd ihr Presbyteri, solt ihr Knechte GOttes seyn, die Leute selig zu machen, und den Weg zum Himmel zu weisen? Heist das die Ketzer bekehren, und den irrenden zu rechte helffen, wenn ihr den Beklagten kein Wort laßt aufbringen? Und wenn die Jun- gen auf der Gassen des Richters spielen, so las- sen die Beysitzer den Beklagten mehr, als ihr, reden. Jch kan nicht sagen, noch mit Wor- ten genug beschreiben, wie nahe ich dazumahl dem Irreligionismo gewesen, und wie sehr mein Glaube, auch was unsere Kirche anbetrifft, ge- schwächet worden, alß mir zu einer Zeit, da ich noch orthodox war, solche Dinge begegneten, die ich an unsern Lehrern vor unmöglich ieder- zeit gehalten hatte, und dergleichen man kaum bey Päbstischen Inquisrtionen anmercken solte.
Das
und zur Rede geſetzet worden,
Unart, und unfoͤrmliche Weiſe, einen Men- ſchen von ſeinen Jrrthuͤmern zu bekehren, oder wegen ſeinen Lehren zur Rede zu ſtellen, ſehen und anhoͤren muͤſſen. Es waren die ober- ſten 4. Prediger, ſo im Conſiſtorio mit ſaßen; bald eiferte dieſer, bald ein anderer, bald ſatz- ten zwey und drey auf einmahl in mich hinein, ohne daß ſie mich zu einer voͤlligen Antwort kommen ließen, ſo daß es eine rechte Luſt, oder vielmehr ein Jammer war, ſolches anzuhoͤren. Jch dachte in meinem Sinne: Seyd ihr Theologi, ſeyd ihr Presbyteri, ſolt ihr Knechte GOttes ſeyn, die Leute ſelig zu machen, und den Weg zum Himmel zu weiſen? Heiſt das die Ketzer bekehren, und den irrenden zu rechte helffen, wenn ihr den Beklagten kein Wort laßt aufbringen? Und wenn die Jun- gen auf der Gaſſen des Richters ſpielen, ſo laſ- ſen die Beyſitzer den Beklagten mehr, als ihr, reden. Jch kan nicht ſagen, noch mit Wor- ten genug beſchreiben, wie nahe ich dazumahl dem Irreligioniſmo geweſen, und wie ſehr mein Glaube, auch was unſere Kirche anbetrifft, ge- ſchwaͤchet worden, alß mir zu einer Zeit, da ich noch orthodox war, ſolche Dinge begegneten, die ich an unſern Lehrern vor unmoͤglich ieder- zeit gehalten hatte, und dergleichen man kaum bey Paͤbſtiſchen Inquiſrtionen anmercken ſolte.
Das
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und zur Rede geſetzet worden,
Unart, und unfoͤrmliche Weiſe, einen Men-
ſchen von ſeinen Jrrthuͤmern zu bekehren, oder
wegen ſeinen Lehren zur Rede zu ſtellen, ſehen
und anhoͤren muͤſſen. Es waren die ober-
ſten 4. Prediger, ſo im Conſiſtorio mit ſaßen;
bald eiferte dieſer, bald ein anderer, bald ſatz-
ten zwey und drey auf einmahl in mich hinein,
ohne daß ſie mich zu einer voͤlligen Antwort
kommen ließen, ſo daß es eine rechte Luſt, oder
vielmehr ein Jammer war, ſolches anzuhoͤren.
Jch dachte in meinem Sinne: Seyd ihr
Theologi, ſeyd ihr Presbyteri, ſolt ihr Knechte
GOttes ſeyn, die Leute ſelig zu machen, und
den Weg zum Himmel zu weiſen? Heiſt das
die Ketzer bekehren, und den irrenden zu
rechte helffen, wenn ihr den Beklagten kein
Wort laßt aufbringen? Und wenn die Jun-
gen auf der Gaſſen des Richters ſpielen, ſo laſ-
ſen die Beyſitzer den Beklagten mehr, als ihr,
reden. Jch kan nicht ſagen, noch mit Wor-
ten genug beſchreiben, wie nahe ich dazumahl
dem Irreligioniſmo geweſen, und wie ſehr mein
Glaube, auch was unſere Kirche anbetrifft, ge-
ſchwaͤchet worden, alß mir zu einer Zeit, da ich
noch orthodox war, ſolche Dinge begegneten,
die ich an unſern Lehrern vor unmoͤglich ieder-
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/472>, abgerufen am 22.11.2024.
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