gen, die wir mit dem Viehe gemein haben, hengen dürfften. Wer weiß, was geschehen seyn würde, wenn die Menschen im Stande der Unschuld blieben wären? Und wer weiß, was GOtt einst im Himmel thun wird? Ob nicht daselbst alle Glieder des verklärten Leibes offters dermaßen werden beweget werden, daß die grösten und süßesten Empfindungen daraus entstehen werden. Solten die vielen sinnli- chen Kräffte, und Facultates, so hier der See- len wesentlich gewesen, im Himmel auf hören, und nicht vielmehr auf einen höhern Grad ge- setzet werden? Wird der Leib etwan im Him- mel nur helffen mit daseyn, wenn die Seele wird erquicket werden? Solte das Vergnü- gen des Leibes im Himmel einmahl nicht eben so groß seyn, als hier auf Erden der Schmertz gewesen? Jch kan es nicht billigen, daß ei- nige dem Leibe nichts, als die Augen übrig ge- laßen haben, und von nichts weiter wissen wol- len, als was der Leib durch das Auge und An- schauen GOttes empfinden wird. Die Hei- lige Schrifft nennet einen Sinn, das Auge, und schließet dadurch die andern äußerlichen und innerlichen Sinnen nicht aus. Wir werden GOtt sehen, und erkennen, wie er ist. Nun entstehet in diesem Leben alle unser Vergnü- gen, Freude und Wollust aus dem Erkännt-
niß
ſeine Reflexions macht, wieder
gen, die wir mit dem Viehe gemein haben, hengen duͤrfften. Wer weiß, was geſchehen ſeyn wuͤrde, wenn die Menſchen im Stande der Unſchuld blieben waͤren? Und wer weiß, was GOtt einſt im Himmel thun wird? Ob nicht daſelbſt alle Glieder des verklaͤrten Leibes offters dermaßen werden beweget werden, daß die groͤſten und ſuͤßeſten Empfindungen daraus entſtehen werden. Solten die vielen ſinnli- chen Kraͤffte, und Facultates, ſo hier der See- len weſentlich geweſen, im Himmel auf hoͤren, und nicht vielmehr auf einen hoͤhern Grad ge- ſetzet werden? Wird der Leib etwan im Him- mel nur helffen mit daſeyn, wenn die Seele wird erquicket werden? Solte das Vergnuͤ- gen des Leibes im Himmel einmahl nicht eben ſo groß ſeyn, als hier auf Erden der Schmertz geweſen? Jch kan es nicht billigen, daß ei- nige dem Leibe nichts, als die Augen uͤbrig ge- laßen haben, und von nichts weiter wiſſen wol- len, als was der Leib durch das Auge und An- ſchauen GOttes empfinden wird. Die Hei- lige Schrifft nennet einen Sinn, das Auge, und ſchließet dadurch die andern aͤußerlichen und innerlichen Sinnen nicht aus. Wir werden GOtt ſehen, und erkennen, wie er iſt. Nun entſtehet in dieſem Leben alle unſer Vergnuͤ- gen, Freude und Wolluſt aus dem Erkaͤnnt-
niß
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ſeine Reflexions macht, wieder
gen, die wir mit dem Viehe gemein haben,
hengen duͤrfften. Wer weiß, was geſchehen
ſeyn wuͤrde, wenn die Menſchen im Stande
der Unſchuld blieben waͤren? Und wer weiß,
was GOtt einſt im Himmel thun wird? Ob
nicht daſelbſt alle Glieder des verklaͤrten Leibes
offters dermaßen werden beweget werden, daß
die groͤſten und ſuͤßeſten Empfindungen daraus
entſtehen werden. Solten die vielen ſinnli-
chen Kraͤffte, und Facultates, ſo hier der See-
len weſentlich geweſen, im Himmel auf hoͤren,
und nicht vielmehr auf einen hoͤhern Grad ge-
ſetzet werden? Wird der Leib etwan im Him-
mel nur helffen mit daſeyn, wenn die Seele
wird erquicket werden? Solte das Vergnuͤ-
gen des Leibes im Himmel einmahl nicht eben
ſo groß ſeyn, als hier auf Erden der Schmertz
geweſen? Jch kan es nicht billigen, daß ei-
nige dem Leibe nichts, als die Augen uͤbrig ge-
laßen haben, und von nichts weiter wiſſen wol-
len, als was der Leib durch das Auge und An-
ſchauen GOttes empfinden wird. Die Hei-
lige Schrifft nennet einen Sinn, das Auge,
und ſchließet dadurch die andern aͤußerlichen und
innerlichen Sinnen nicht aus. Wir werden
GOtt ſehen, und erkennen, wie er iſt. Nun
entſtehet in dieſem Leben alle unſer Vergnuͤ-
gen, Freude und Wolluſt aus dem Erkaͤnnt-
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/476>, abgerufen am 22.11.2024.
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