Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Dessen Eltern,
verdammt werden, und in die Hölle kommen;
mein Vater aber sprach: "Jhr seyd doch ein rech-
"ter Narr, daß ihr solches glaubet; es heißt, ver-
"dammet nicht, so werdet ihr auch nicht ver-
"dammt.
Wüsten sie es besser, so glaubten sie
"anders: GOtt wird ihnen ihre Unwissenheit
"und Einfalt nicht zurechnen, wenn sie nur bey
"ihrem Glauben fromm gelebet haben." Jch
wundere mich nicht, daß mein Vater dergleichen
Sentiment in der Religion geheget. Er hatte
von Jugend auf unter den Leuten gedienet, in der
Pest, und 30. jährigem Kriege viel ausgestanden,
und erfahren: im Alter gieng er, wie wohlhabende
Kohl-Gärtner bey uns zu thun gewohnt sind, nach
Mittag in die Stadt, bald in dieses, bald in je-
nes Wirthshaus, wo allerhand Leute, und auch
wohl Frey-Geister zusammen kommen, und von
der Religion raisonniren; was Wunder dem-
nach, daß er mit solchen Principiis eingenommen
worden, die nach meinem Urtheil unter dem ge-
meinem Volcke viel häuffiger, als unter den Ge-
lehrten selbst anzutreffen sind. Der irret sehr,
der die grobe Indifferentisterey, da man Jüden,
Türcken, und Heyden die Möglichkeit selig zu
werden einräumet, nur bey Gelehrten und Fana-
ticis
suchen will; ich bin unter gemeinen Leuten
auferzogen worden, mit Bürgern und Bauern
mehr, als mit vornehmen Leuten umgegangen:

ich

Deſſen Eltern,
verdammt werden, und in die Hoͤlle kommen;
mein Vater aber ſprach: „Jhr ſeyd doch ein rech-
„ter Narr, daß ihr ſolches glaubet; es heißt, ver-
„dammet nicht, ſo werdet ihr auch nicht ver-
„dammt.
Wuͤſten ſie es beſſer, ſo glaubten ſie
„anders: GOtt wird ihnen ihre Unwiſſenheit
„und Einfalt nicht zurechnen, wenn ſie nur bey
„ihrem Glauben fromm gelebet haben.„ Jch
wundere mich nicht, daß mein Vater dergleichen
Sentiment in der Religion geheget. Er hatte
von Jugend auf unter den Leuten gedienet, in der
Peſt, und 30. jaͤhrigem Kriege viel ausgeſtanden,
und erfahren: im Alter gieng er, wie wohlhabende
Kohl-Gaͤrtner bey uns zu thun gewohnt ſind, nach
Mittag in die Stadt, bald in dieſes, bald in je-
nes Wirthshaus, wo allerhand Leute, und auch
wohl Frey-Geiſter zuſammen kommen, und von
der Religion raiſonniren; was Wunder dem-
nach, daß er mit ſolchen Principiis eingenommen
worden, die nach meinem Urtheil unter dem ge-
meinem Volcke viel haͤuffiger, als unter den Ge-
lehrten ſelbſt anzutreffen ſind. Der irret ſehr,
der die grobe Indifferentiſterey, da man Juͤden,
Tuͤrcken, und Heyden die Moͤglichkeit ſelig zu
werden einraͤumet, nur bey Gelehrten und Fana-
ticis
ſuchen will; ich bin unter gemeinen Leuten
auferzogen worden, mit Buͤrgern und Bauern
mehr, als mit vornehmen Leuten umgegangen:

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="8"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">De&#x017F;&#x017F;en Eltern,</hi></fw><lb/>
verdammt werden, und in die Ho&#x0364;lle kommen;<lb/>
mein Vater aber &#x017F;prach: &#x201E;Jhr &#x017F;eyd doch ein rech-<lb/>
&#x201E;ter Narr, daß ihr &#x017F;olches glaubet; es heißt, <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
&#x201E;dammet nicht, &#x017F;o werdet ihr auch nicht ver-<lb/>
&#x201E;dammt.</hi> Wu&#x0364;&#x017F;ten &#x017F;ie es be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;o glaubten &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;anders: GOtt wird ihnen ihre Unwi&#x017F;&#x017F;enheit<lb/>
&#x201E;und Einfalt nicht zurechnen, wenn &#x017F;ie nur bey<lb/>
&#x201E;ihrem Glauben fromm gelebet haben.&#x201E; Jch<lb/>
wundere mich nicht, daß mein Vater dergleichen<lb/><hi rendition="#aq">Sentiment</hi> in der Religion geheget. Er hatte<lb/>
von Jugend auf unter den Leuten gedienet, in der<lb/>
Pe&#x017F;t, und 30. ja&#x0364;hrigem Kriege viel ausge&#x017F;tanden,<lb/>
und erfahren: im Alter gieng er, wie wohlhabende<lb/>
Kohl-Ga&#x0364;rtner bey uns zu thun gewohnt &#x017F;ind, nach<lb/>
Mittag in die Stadt, bald in die&#x017F;es, bald in je-<lb/>
nes Wirthshaus, wo allerhand Leute, und auch<lb/>
wohl Frey-Gei&#x017F;ter zu&#x017F;ammen kommen, und von<lb/>
der Religion <hi rendition="#aq">rai&#x017F;onni</hi>ren; was Wunder dem-<lb/>
nach, daß er mit &#x017F;olchen <hi rendition="#aq">Principiis</hi> eingenommen<lb/>
worden, die nach meinem Urtheil unter dem ge-<lb/>
meinem Volcke viel ha&#x0364;uffiger, als unter den Ge-<lb/>
lehrten &#x017F;elb&#x017F;t anzutreffen &#x017F;ind. Der irret &#x017F;ehr,<lb/>
der die grobe <hi rendition="#aq">Indifferenti&#x017F;t</hi>erey, da man Ju&#x0364;den,<lb/>
Tu&#x0364;rcken, und Heyden die Mo&#x0364;glichkeit &#x017F;elig zu<lb/>
werden einra&#x0364;umet, nur bey Gelehrten und <hi rendition="#aq">Fana-<lb/>
ticis</hi> &#x017F;uchen will; ich bin unter gemeinen Leuten<lb/>
auferzogen worden, mit Bu&#x0364;rgern und Bauern<lb/>
mehr, als mit vornehmen Leuten umgegangen:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0054] Deſſen Eltern, verdammt werden, und in die Hoͤlle kommen; mein Vater aber ſprach: „Jhr ſeyd doch ein rech- „ter Narr, daß ihr ſolches glaubet; es heißt, ver- „dammet nicht, ſo werdet ihr auch nicht ver- „dammt. Wuͤſten ſie es beſſer, ſo glaubten ſie „anders: GOtt wird ihnen ihre Unwiſſenheit „und Einfalt nicht zurechnen, wenn ſie nur bey „ihrem Glauben fromm gelebet haben.„ Jch wundere mich nicht, daß mein Vater dergleichen Sentiment in der Religion geheget. Er hatte von Jugend auf unter den Leuten gedienet, in der Peſt, und 30. jaͤhrigem Kriege viel ausgeſtanden, und erfahren: im Alter gieng er, wie wohlhabende Kohl-Gaͤrtner bey uns zu thun gewohnt ſind, nach Mittag in die Stadt, bald in dieſes, bald in je- nes Wirthshaus, wo allerhand Leute, und auch wohl Frey-Geiſter zuſammen kommen, und von der Religion raiſonniren; was Wunder dem- nach, daß er mit ſolchen Principiis eingenommen worden, die nach meinem Urtheil unter dem ge- meinem Volcke viel haͤuffiger, als unter den Ge- lehrten ſelbſt anzutreffen ſind. Der irret ſehr, der die grobe Indifferentiſterey, da man Juͤden, Tuͤrcken, und Heyden die Moͤglichkeit ſelig zu werden einraͤumet, nur bey Gelehrten und Fana- ticis ſuchen will; ich bin unter gemeinen Leuten auferzogen worden, mit Buͤrgern und Bauern mehr, als mit vornehmen Leuten umgegangen: ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/54
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/54>, abgerufen am 21.11.2024.