kam, so traff ich ihn kniend mitten auf der Er- den an. Er wand, rung, rieb, und drehete die Hände, und vor die Fenster hatte er selbst Schlösser geleget, oder legen lassen, weil er mit unsäglicher Furcht, und Einbildung gequählet wurde, als ob er hinunter springen würde. Da ich mich mit ihm in ein Gespräch einließ, und merckte, daß er nicht etwan aus Ungeduld, Mur- ren, Bauch-Sorge, oder Uberdruß des Lebens ge- locket, und gereitzet würde sich umzubringen, wie die Leute aus Unverstand, und Unwissenheit von ihm vorgaben, sondern nur aus großer Hitze des Hauptes, und Aengstlichkeit des Hertzens, von der er nicht wuste, wo sie herkäme, und von wel- cher er den Gedancken, und ein Bild vom Selbst- Mord, und dadurch die Einbildung und Furcht, daß solches geschehen dürffte, bekommen hatte; so tröstete ich ihn, so gut ich kunte, mit dem Troste, mit welchem ich bey eben solchen Zufällen Anno 1704. war aufgerichtet worden. Sage mir, wie groß würden wir nicht die Keuschheit eines Frauenzimmers schätzen, wenn dieselbe ih- ren Leib mit Schlössern verwahren solte, damit sie aus Furcht und Einbildung in das Laster der Unkeuschheit zu verfallen, nicht darein verfallen möchte. Nun ist hier noch ein großer Unter- scheid. Denn eine Weibes-Person könte viel- leicht von geilen Lüsten und Begierden geplaget,
und
ſo wurde ſeine Plage
kam, ſo traff ich ihn kniend mitten auf der Er- den an. Er wand, rung, rieb, und drehete die Haͤnde, und vor die Fenſter hatte er ſelbſt Schloͤſſer geleget, oder legen laſſen, weil er mit unſaͤglicher Furcht, und Einbildung gequaͤhlet wurde, als ob er hinunter ſpringen wuͤrde. Da ich mich mit ihm in ein Geſpraͤch einließ, und merckte, daß er nicht etwan aus Ungeduld, Mur- ren, Bauch-Sorge, oder Uberdruß des Lebens ge- locket, und gereitzet wuͤrde ſich umzubringen, wie die Leute aus Unverſtand, und Unwiſſenheit von ihm vorgaben, ſondern nur aus großer Hitze des Hauptes, und Aengſtlichkeit des Hertzens, von der er nicht wuſte, wo ſie herkaͤme, und von wel- cher er den Gedancken, und ein Bild vom Selbſt- Mord, und dadurch die Einbildung und Furcht, daß ſolches geſchehen duͤrffte, bekommen hatte; ſo troͤſtete ich ihn, ſo gut ich kunte, mit dem Troſte, mit welchem ich bey eben ſolchen Zufaͤllen Anno 1704. war aufgerichtet worden. Sage mir, wie groß wuͤrden wir nicht die Keuſchheit eines Frauenzimmers ſchaͤtzen, wenn dieſelbe ih- ren Leib mit Schloͤſſern verwahren ſolte, damit ſie aus Furcht und Einbildung in das Laſter der Unkeuſchheit zu verfallen, nicht darein verfallen moͤchte. Nun iſt hier noch ein großer Unter- ſcheid. Denn eine Weibes-Perſon koͤnte viel- leicht von geilen Luͤſten und Begierden geplaget,
und
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ſo wurde ſeine Plage
kam, ſo traff ich ihn kniend mitten auf der Er-
den an. Er wand, rung, rieb, und drehete
die Haͤnde, und vor die Fenſter hatte er ſelbſt
Schloͤſſer geleget, oder legen laſſen, weil er mit
unſaͤglicher Furcht, und Einbildung gequaͤhlet
wurde, als ob er hinunter ſpringen wuͤrde. Da
ich mich mit ihm in ein Geſpraͤch einließ, und
merckte, daß er nicht etwan aus Ungeduld, Mur-
ren, Bauch-Sorge, oder Uberdruß des Lebens ge-
locket, und gereitzet wuͤrde ſich umzubringen, wie
die Leute aus Unverſtand, und Unwiſſenheit von
ihm vorgaben, ſondern nur aus großer Hitze des
Hauptes, und Aengſtlichkeit des Hertzens, von
der er nicht wuſte, wo ſie herkaͤme, und von wel-
cher er den Gedancken, und ein Bild vom Selbſt-
Mord, und dadurch die Einbildung und Furcht,
daß ſolches geſchehen duͤrffte, bekommen hatte;
ſo troͤſtete ich ihn, ſo gut ich kunte, mit dem
Troſte, mit welchem ich bey eben ſolchen Zufaͤllen
Anno 1704. war aufgerichtet worden. Sage
mir, wie groß wuͤrden wir nicht die Keuſchheit
eines Frauenzimmers ſchaͤtzen, wenn dieſelbe ih-
ren Leib mit Schloͤſſern verwahren ſolte, damit
ſie aus Furcht und Einbildung in das Laſter der
Unkeuſchheit zu verfallen, nicht darein verfallen
moͤchte. Nun iſt hier noch ein großer Unter-
ſcheid. Denn eine Weibes-Perſon koͤnte viel-
leicht von geilen Luͤſten und Begierden geplaget,
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/660>, abgerufen am 22.11.2024.
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