vorsichtigkeit und Mangel der Klugheit dann und wann zu negligiren, und hintanzusetzen pflegen. Vieler Christen erste Freude, welche sie bey solchen jährlichen Liedern haben, sobald sie dieselben hören, ist, daß ihr Hertz von Danck und Lob voll ist, daß sie GOtt wieder ein Jahr zurücke legen, und die- sen Sonn- oder Fest-Tag wiederum erleben lassen; insonderheit, wenn sie dasselbe Jahr bey schweren Kranckheiten und Anfechtungen dem Tode in Händen und Rachen gleichsam gestecket, und nimmermehr gemeynet haben, daß sie das Jahr noch überleben solten. Ein Lied, es sey weltlich oder geistlich, gehet auch natürlicher Weise mehr zu Hertzen, wenn man es eine geraume Zeit nicht gesungen. Und wenn ich meine Predigten alle durchsehe, so finde ich, daß mir keine besser gera- then, als die, so mit Cantionibus statis verknüpfft gewesen, welche ich etliche Tage zuvor zu Hause, und ehe ich concipiret, gesungen, und mein Hertz mit geistlicher Freude angefüllet, und zum conci- piren geschickt gemacht hatte. HErr GOtt dich loben alle wir, Nun komm der Heyden Heyland, Es ist gewißlich an der Zeit, Mit Fried und Freud ich fahr dahin, O Trau- rigkeit! O Hertzeleid! Nun bitten wir den Heiligen Geist, An Wasser-Flüßen Baby- lon, CHrist unser HErr zum Jordan kam etc. das heiße ich Cantiones statas. Christ-
liche
jaͤhrlichen Lieder
vorſichtigkeit und Mangel der Klugheit dann und wann zu negligiren, und hintanzuſetzen pflegen. Vieler Chriſten erſte Freude, welche ſie bey ſolchen jaͤhrlichen Liedern haben, ſobald ſie dieſelben hoͤren, iſt, daß ihr Hertz von Danck und Lob voll iſt, daß ſie GOtt wieder ein Jahr zuruͤcke legen, und die- ſen Sonn- oder Feſt-Tag wiederum erleben laſſen; inſonderheit, wenn ſie daſſelbe Jahr bey ſchweren Kranckheiten und Anfechtungen dem Tode in Haͤnden und Rachen gleichſam geſtecket, und nimmermehr gemeynet haben, daß ſie das Jahr noch uͤberleben ſolten. Ein Lied, es ſey weltlich oder geiſtlich, gehet auch natuͤrlicher Weiſe mehr zu Hertzen, wenn man es eine geraume Zeit nicht geſungen. Und wenn ich meine Predigten alle durchſehe, ſo finde ich, daß mir keine beſſer gera- then, als die, ſo mit Cantionibus ſtatis verknuͤpfft geweſen, welche ich etliche Tage zuvor zu Hauſe, und ehe ich concipiret, geſungen, und mein Hertz mit geiſtlicher Freude angefuͤllet, und zum conci- piren geſchickt gemacht hatte. HErr GOtt dich loben alle wir, Nun komm der Heyden Heyland, Es iſt gewißlich an der Zeit, Mit Fried und Freud ich fahr dahin, O Trau- rigkeit! O Hertzeleid! Nun bitten wir den Heiligen Geiſt, An Waſſer-Fluͤßen Baby- lon, CHriſt unſer HErr zum Jordan kam ꝛc. das heiße ich Cantiones ſtatas. Chriſt-
liche
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jaͤhrlichen Lieder
vorſichtigkeit und Mangel der Klugheit dann und
wann zu negligiren, und hintanzuſetzen pflegen.
Vieler Chriſten erſte Freude, welche ſie bey ſolchen
jaͤhrlichen Liedern haben, ſobald ſie dieſelben hoͤren,
iſt, daß ihr Hertz von Danck und Lob voll iſt, daß
ſie GOtt wieder ein Jahr zuruͤcke legen, und die-
ſen Sonn- oder Feſt-Tag wiederum erleben laſſen;
inſonderheit, wenn ſie daſſelbe Jahr bey ſchweren
Kranckheiten und Anfechtungen dem Tode in
Haͤnden und Rachen gleichſam geſtecket, und
nimmermehr gemeynet haben, daß ſie das Jahr
noch uͤberleben ſolten. Ein Lied, es ſey weltlich
oder geiſtlich, gehet auch natuͤrlicher Weiſe mehr
zu Hertzen, wenn man es eine geraume Zeit nicht
geſungen. Und wenn ich meine Predigten alle
durchſehe, ſo finde ich, daß mir keine beſſer gera-
then, als die, ſo mit Cantionibus ſtatis verknuͤpfft
geweſen, welche ich etliche Tage zuvor zu Hauſe,
und ehe ich concipiret, geſungen, und mein Hertz
mit geiſtlicher Freude angefuͤllet, und zum conci-
piren geſchickt gemacht hatte. HErr GOtt
dich loben alle wir, Nun komm der Heyden
Heyland, Es iſt gewißlich an der Zeit, Mit
Fried und Freud ich fahr dahin, O Trau-
rigkeit! O Hertzeleid! Nun bitten wir den
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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