Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Kirche zu in Bewegung, an deren Thür die Brautleute wartend standen.

Es würde aber wirklich schon ziemlich finster gewesen sein, wäre der Mond nicht eben aufgegangen. In der Kirche merkte man nur nicht viel von seinem Schein; die Gesellschaft war wie geblendet, konnte sich im ersten Augenblick nicht zurechtfinden und ging auf das Chor zu, bis der Kantor ihnen den Weg zum Altare wies. Ein paar Schwalben, die hier gebaut, flogen ängstlich auf, erschrocken über die unerwartete späte Störung; sie schossen zu wiederholten malen so nah über den Köpfen der Brautleute hin, daß einige der Mädchen sie für Fledermäuse hielten, in Aufruhr geriethen und durch einander liefen; die Vögel fanden jedoch den bekannten Weg durch die zerbrochenen Fensterscheiben, und der Kantor, der immer bei der Hand war, ordnete Alle wieder; die heilige Handlung begann.

Der Mond stieg allmählich höher und warf einen matten Glanz durch die Bogenfenster, welcher die Feierlichkeit des Augenblicks erhöhte, ohne den Prediger in der Verwaltung seines Amtes zu begünstigen; es war, als solle sein Herrendienst bestraft und sein Gedächtniß auf die Probe gestellt werden, denn er mußte ganz aus dem Kopfe reden, indem der Platz vor dem Altar, trotz der Hellung der übrigen Kirche, durch den Schatten verdunkelt ward, welchen das Altarblatt warf. Dieser lange finstere Schatten in der Mitte der Kirche, der

Kirche zu in Bewegung, an deren Thür die Brautleute wartend standen.

Es würde aber wirklich schon ziemlich finster gewesen sein, wäre der Mond nicht eben aufgegangen. In der Kirche merkte man nur nicht viel von seinem Schein; die Gesellschaft war wie geblendet, konnte sich im ersten Augenblick nicht zurechtfinden und ging auf das Chor zu, bis der Kantor ihnen den Weg zum Altare wies. Ein paar Schwalben, die hier gebaut, flogen ängstlich auf, erschrocken über die unerwartete späte Störung; sie schossen zu wiederholten malen so nah über den Köpfen der Brautleute hin, daß einige der Mädchen sie für Fledermäuse hielten, in Aufruhr geriethen und durch einander liefen; die Vögel fanden jedoch den bekannten Weg durch die zerbrochenen Fensterscheiben, und der Kantor, der immer bei der Hand war, ordnete Alle wieder; die heilige Handlung begann.

Der Mond stieg allmählich höher und warf einen matten Glanz durch die Bogenfenster, welcher die Feierlichkeit des Augenblicks erhöhte, ohne den Prediger in der Verwaltung seines Amtes zu begünstigen; es war, als solle sein Herrendienst bestraft und sein Gedächtniß auf die Probe gestellt werden, denn er mußte ganz aus dem Kopfe reden, indem der Platz vor dem Altar, trotz der Hellung der übrigen Kirche, durch den Schatten verdunkelt ward, welchen das Altarblatt warf. Dieser lange finstere Schatten in der Mitte der Kirche, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0109"/>
Kirche                zu in Bewegung, an deren Thür die Brautleute wartend standen.</p><lb/>
        <p>Es würde aber wirklich schon ziemlich finster gewesen sein, wäre der Mond nicht eben                aufgegangen. In der Kirche merkte man nur nicht viel von seinem Schein; die                Gesellschaft war wie geblendet, konnte sich im ersten Augenblick nicht zurechtfinden                und ging auf das Chor zu, bis der Kantor ihnen den Weg zum Altare wies. Ein paar                Schwalben, die hier gebaut, flogen ängstlich auf, erschrocken über die unerwartete                späte Störung; sie schossen zu wiederholten malen so nah über den Köpfen der                Brautleute hin, daß einige der Mädchen sie für Fledermäuse hielten, in Aufruhr                geriethen und durch einander liefen; die Vögel fanden jedoch den bekannten Weg durch                die zerbrochenen Fensterscheiben, und der Kantor, der immer bei der Hand war, ordnete                Alle wieder; die heilige Handlung begann.</p><lb/>
        <p>Der Mond stieg allmählich höher und warf einen matten Glanz durch die Bogenfenster,                welcher die Feierlichkeit des Augenblicks erhöhte, ohne den Prediger in der                Verwaltung seines Amtes zu begünstigen; es war, als solle sein Herrendienst bestraft                und sein Gedächtniß auf die Probe gestellt werden, denn er mußte ganz aus dem Kopfe                reden, indem der Platz vor dem Altar, trotz der Hellung der übrigen Kirche, durch den                Schatten verdunkelt ward, welchen das Altarblatt warf. Dieser lange finstere Schatten                in der Mitte der Kirche, der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] Kirche zu in Bewegung, an deren Thür die Brautleute wartend standen. Es würde aber wirklich schon ziemlich finster gewesen sein, wäre der Mond nicht eben aufgegangen. In der Kirche merkte man nur nicht viel von seinem Schein; die Gesellschaft war wie geblendet, konnte sich im ersten Augenblick nicht zurechtfinden und ging auf das Chor zu, bis der Kantor ihnen den Weg zum Altare wies. Ein paar Schwalben, die hier gebaut, flogen ängstlich auf, erschrocken über die unerwartete späte Störung; sie schossen zu wiederholten malen so nah über den Köpfen der Brautleute hin, daß einige der Mädchen sie für Fledermäuse hielten, in Aufruhr geriethen und durch einander liefen; die Vögel fanden jedoch den bekannten Weg durch die zerbrochenen Fensterscheiben, und der Kantor, der immer bei der Hand war, ordnete Alle wieder; die heilige Handlung begann. Der Mond stieg allmählich höher und warf einen matten Glanz durch die Bogenfenster, welcher die Feierlichkeit des Augenblicks erhöhte, ohne den Prediger in der Verwaltung seines Amtes zu begünstigen; es war, als solle sein Herrendienst bestraft und sein Gedächtniß auf die Probe gestellt werden, denn er mußte ganz aus dem Kopfe reden, indem der Platz vor dem Altar, trotz der Hellung der übrigen Kirche, durch den Schatten verdunkelt ward, welchen das Altarblatt warf. Dieser lange finstere Schatten in der Mitte der Kirche, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-10T13:46:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction. (2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-10T13:46:34Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/109
Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/109>, abgerufen am 22.11.2024.