Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Man setzte sich zu Tisch, und die Kleine vergaß über dem Essen, daß sie, bis sie die Mühen der Großen zu theilen im Stande sei, dieselben zu vermehren geschaffen schien. Auf einmal aber entdeckte sie in dem weißen Löffel voll Brei, den sie zum Munde führte, ein kleines schwarzes Köhlchen; der Teufel faßte sie bei dieser verwandten Materie, sie spuckte, und sobald sie den Mund wieder frei hatte, brauchte sie ihn zur Lästerung und sagte: Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben? Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben?

Eine zweite Kohle, die ihr zwischen die Zähne kam, erstickte die zum drittenmal wiederholten Worte. Sie sprudelte wie eine Katze. Die häßlichen Kohlen, sagte sie, die waren einmal ein schöner Löffel; ja, ja, Lieschen! Lieschen läßt die Löffel verbrennen auf dem Herd. Sie heizen besser als Torf, nicht, Lieschen? Läßt sich auch schön Brei dabei kochen, sie leuchten gleich in den Kessel, so braucht man keine Lampe. -- Der Vater, ein genauer Mann, erkundigte sich nach dem Zusammenhange dieser anklagenden Reden, und das arme Lieschen mußte noch eine Strafpredigt in Gegenwart des verzogenen Schwesterchens hinnehmen. Doch sie hörte sie kaum. Der Lärm und das Gesumme des häuslichen Treibens störte ihre lieblichen Gedanken, und sie suchte sich ihnen hinzugeben. Ein paar Mal war ihr, als bewege sich ein dunkler Schatten vor dem Fenster, als müsse es Fritz

Man setzte sich zu Tisch, und die Kleine vergaß über dem Essen, daß sie, bis sie die Mühen der Großen zu theilen im Stande sei, dieselben zu vermehren geschaffen schien. Auf einmal aber entdeckte sie in dem weißen Löffel voll Brei, den sie zum Munde führte, ein kleines schwarzes Köhlchen; der Teufel faßte sie bei dieser verwandten Materie, sie spuckte, und sobald sie den Mund wieder frei hatte, brauchte sie ihn zur Lästerung und sagte: Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben? Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben?

Eine zweite Kohle, die ihr zwischen die Zähne kam, erstickte die zum drittenmal wiederholten Worte. Sie sprudelte wie eine Katze. Die häßlichen Kohlen, sagte sie, die waren einmal ein schöner Löffel; ja, ja, Lieschen! Lieschen läßt die Löffel verbrennen auf dem Herd. Sie heizen besser als Torf, nicht, Lieschen? Läßt sich auch schön Brei dabei kochen, sie leuchten gleich in den Kessel, so braucht man keine Lampe. — Der Vater, ein genauer Mann, erkundigte sich nach dem Zusammenhange dieser anklagenden Reden, und das arme Lieschen mußte noch eine Strafpredigt in Gegenwart des verzogenen Schwesterchens hinnehmen. Doch sie hörte sie kaum. Der Lärm und das Gesumme des häuslichen Treibens störte ihre lieblichen Gedanken, und sie suchte sich ihnen hinzugeben. Ein paar Mal war ihr, als bewege sich ein dunkler Schatten vor dem Fenster, als müsse es Fritz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0018"/>
        <p>Man setzte sich zu Tisch, und die Kleine vergaß über dem Essen, daß sie, bis sie die                Mühen der Großen zu theilen im Stande sei, dieselben zu vermehren geschaffen schien.                Auf einmal aber entdeckte sie in dem weißen Löffel voll Brei, den sie zum Munde                führte, ein kleines schwarzes Köhlchen; der Teufel faßte sie bei dieser verwandten                Materie, sie spuckte, und sobald sie den Mund wieder frei hatte, brauchte sie ihn zur                Lästerung und sagte: Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben? Aber warum                sollte ich ihn denn vorhin nicht haben?</p><lb/>
        <p>Eine zweite Kohle, die ihr zwischen die Zähne kam, erstickte die zum drittenmal                wiederholten Worte. Sie sprudelte wie eine Katze. Die häßlichen Kohlen, sagte sie,                die waren einmal ein schöner Löffel; ja, ja, Lieschen! Lieschen läßt die Löffel                verbrennen auf dem Herd. Sie heizen besser als Torf, nicht, Lieschen? Läßt sich auch                schön Brei dabei kochen, sie leuchten gleich in den Kessel, so braucht man keine                Lampe. &#x2014; Der Vater, ein genauer Mann, erkundigte sich nach dem Zusammenhange dieser                anklagenden Reden, und das arme Lieschen mußte noch eine Strafpredigt in Gegenwart                des verzogenen Schwesterchens hinnehmen. Doch sie hörte sie kaum. Der Lärm und das                Gesumme des häuslichen Treibens störte ihre lieblichen Gedanken, und sie suchte sich                ihnen hinzugeben. Ein paar Mal war ihr, als bewege sich ein dunkler Schatten vor dem                Fenster, als müsse es Fritz<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Man setzte sich zu Tisch, und die Kleine vergaß über dem Essen, daß sie, bis sie die Mühen der Großen zu theilen im Stande sei, dieselben zu vermehren geschaffen schien. Auf einmal aber entdeckte sie in dem weißen Löffel voll Brei, den sie zum Munde führte, ein kleines schwarzes Köhlchen; der Teufel faßte sie bei dieser verwandten Materie, sie spuckte, und sobald sie den Mund wieder frei hatte, brauchte sie ihn zur Lästerung und sagte: Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben? Aber warum sollte ich ihn denn vorhin nicht haben? Eine zweite Kohle, die ihr zwischen die Zähne kam, erstickte die zum drittenmal wiederholten Worte. Sie sprudelte wie eine Katze. Die häßlichen Kohlen, sagte sie, die waren einmal ein schöner Löffel; ja, ja, Lieschen! Lieschen läßt die Löffel verbrennen auf dem Herd. Sie heizen besser als Torf, nicht, Lieschen? Läßt sich auch schön Brei dabei kochen, sie leuchten gleich in den Kessel, so braucht man keine Lampe. — Der Vater, ein genauer Mann, erkundigte sich nach dem Zusammenhange dieser anklagenden Reden, und das arme Lieschen mußte noch eine Strafpredigt in Gegenwart des verzogenen Schwesterchens hinnehmen. Doch sie hörte sie kaum. Der Lärm und das Gesumme des häuslichen Treibens störte ihre lieblichen Gedanken, und sie suchte sich ihnen hinzugeben. Ein paar Mal war ihr, als bewege sich ein dunkler Schatten vor dem Fenster, als müsse es Fritz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-10T13:46:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction. (2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-10T13:46:34Z)

Weitere Informationen:

Die Transkription erfolgte nach den unter http://www.deutschestextarchiv.de/doku/basisformat/ formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/18
Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/18>, abgerufen am 21.11.2024.