Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.Th. I. Bestrafung etc. Tit. IV. Ausschließung oder Milderung d. Strafe. geblieben. Schon bei der ersten Revision waren die Referenten derJustizkollegien, welche sich über diese Materie geäußert hatten, fast alle einstimmig der Meinung, daß dieser Abschnitt unserer Gesetzgebung einer sorgfältigen Durchsicht bedürfe, und daß namentlich das Recht der Noth- wehr bedeutend erweitert werden müsse. e) Diesen Gesichtspunkt haben denn auch sämmtliche Entwürfe und zwar die späteren mit erhöhter Konsequenz festgehalten, indem namentlich die Beschränkungen beseitigt wurden, welche in den Vorschriften des Landrechts enthalten sind, daß die Nothwehr nur wegen drohender Gefahr einer unrechtmäßigen Be- schädigung zulässig, daß sie nur gegen eigenmächtige Gewalt und auch gegen diese nur alsdann gestattet sei, wenn die obrigkeitliche Hülfe die Beleidigung weder abwenden, noch den vorigen Zustand wieder herstellen könne. Auch das Maaß der erlaubten Nothwehr wurde gerechter be- stimmt, als es das Landrecht ohne die gehörige Rücksicht auf die natür- liche Aufregung des Angegriffenen gethan hatte. Zugleich brachte man aber mit Beziehung auf die allgemeinen Vorschriften, welche das Land- recht über das Verbot der Selbsthülfe aufstellt, f) diese letztere in den Kreis der Bestimmungen über die Nothwehr, und gefährdete durch diese Vermischung die Bestimmtheit der Begriffe. In dem Entwurf von 1847. finden sich folgende Bestimmungen über diesen Gegenstand: §. 55. "Eine im Gesetze mit Strafe bedrohte Handlung, welche zur "Dasselbe gilt von solchen Handlungen, welche vorgenommen §. 56. "Wer in rechter Nothwehr aus Bestürzung, Schreck oder §. 57. "Wer in Nothwehr einen Menschen tödtet oder erheblich e) Motive zum ersten Entwurf. I. S. 162. f) A. L. R. Einleitung §. 78. "Die Selbsthülfe kann nur in dem Falle
entschuldigt werden, wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbring- lichen Schadens zu spät kommen würde." Th. I. Tit. 7. §. 142. "Er (der Besitzer oder Inhaber) ist berechtigt, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, wenn die Hülfe des Staats zu spät kommen würde, einen unersetzlichen Verlust abzuwenden." Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe. geblieben. Schon bei der erſten Reviſion waren die Referenten derJuſtizkollegien, welche ſich über dieſe Materie geäußert hatten, faſt alle einſtimmig der Meinung, daß dieſer Abſchnitt unſerer Geſetzgebung einer ſorgfältigen Durchſicht bedürfe, und daß namentlich das Recht der Noth- wehr bedeutend erweitert werden müſſe. e) Dieſen Geſichtspunkt haben denn auch ſämmtliche Entwürfe und zwar die ſpäteren mit erhöhter Konſequenz feſtgehalten, indem namentlich die Beſchränkungen beſeitigt wurden, welche in den Vorſchriften des Landrechts enthalten ſind, daß die Nothwehr nur wegen drohender Gefahr einer unrechtmäßigen Be- ſchädigung zuläſſig, daß ſie nur gegen eigenmächtige Gewalt und auch gegen dieſe nur alsdann geſtattet ſei, wenn die obrigkeitliche Hülfe die Beleidigung weder abwenden, noch den vorigen Zuſtand wieder herſtellen könne. Auch das Maaß der erlaubten Nothwehr wurde gerechter be- ſtimmt, als es das Landrecht ohne die gehörige Rückſicht auf die natür- liche Aufregung des Angegriffenen gethan hatte. Zugleich brachte man aber mit Beziehung auf die allgemeinen Vorſchriften, welche das Land- recht über das Verbot der Selbſthülfe aufſtellt, f) dieſe letztere in den Kreis der Beſtimmungen über die Nothwehr, und gefährdete durch dieſe Vermiſchung die Beſtimmtheit der Begriffe. In dem Entwurf von 1847. finden ſich folgende Beſtimmungen über dieſen Gegenſtand: §. 55. „Eine im Geſetze mit Strafe bedrohte Handlung, welche zur „Daſſelbe gilt von ſolchen Handlungen, welche vorgenommen §. 56. „Wer in rechter Nothwehr aus Beſtürzung, Schreck oder §. 57. „Wer in Nothwehr einen Menſchen tödtet oder erheblich e) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 162. f) A. L. R. Einleitung §. 78. „Die Selbſthülfe kann nur in dem Falle
entſchuldigt werden, wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbring- lichen Schadens zu ſpät kommen würde.“ Th. I. Tit. 7. §. 142. „Er (der Beſitzer oder Inhaber) iſt berechtigt, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, wenn die Hülfe des Staats zu ſpät kommen würde, einen unerſetzlichen Verluſt abzuwenden.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0196" n="186"/><fw place="top" type="header">Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.</fw><lb/> geblieben. Schon bei der erſten Reviſion waren die Referenten der<lb/> Juſtizkollegien, welche ſich über dieſe Materie geäußert hatten, faſt alle<lb/> einſtimmig der Meinung, daß dieſer Abſchnitt unſerer Geſetzgebung einer<lb/> ſorgfältigen Durchſicht bedürfe, und daß namentlich das Recht der Noth-<lb/> wehr bedeutend erweitert werden müſſe. <note place="foot" n="e)"><hi rendition="#g">Motive zum erſten Entwurf</hi>. I. S. 162.</note> Dieſen Geſichtspunkt haben<lb/> denn auch ſämmtliche Entwürfe und zwar die ſpäteren mit erhöhter<lb/> Konſequenz feſtgehalten, indem namentlich die Beſchränkungen beſeitigt<lb/> wurden, welche in den Vorſchriften des Landrechts enthalten ſind, daß<lb/> die Nothwehr nur wegen drohender Gefahr einer unrechtmäßigen <hi rendition="#g">Be-<lb/> ſchädigung</hi> zuläſſig, daß ſie nur gegen eigenmächtige Gewalt und auch<lb/> gegen dieſe nur alsdann geſtattet ſei, wenn die obrigkeitliche Hülfe die<lb/> Beleidigung weder abwenden, noch den vorigen Zuſtand wieder herſtellen<lb/> könne. Auch das Maaß der erlaubten Nothwehr wurde gerechter be-<lb/> ſtimmt, als es das Landrecht ohne die gehörige Rückſicht auf die natür-<lb/> liche Aufregung des Angegriffenen gethan hatte. Zugleich brachte man<lb/> aber mit Beziehung auf die allgemeinen Vorſchriften, welche das Land-<lb/> recht über das Verbot der Selbſthülfe aufſtellt, <note place="foot" n="f)">A. L. R. <hi rendition="#g">Einleitung</hi> §. 78. „Die Selbſthülfe kann nur in dem Falle<lb/> entſchuldigt werden, wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbring-<lb/> lichen Schadens zu ſpät kommen würde.“ Th. I. Tit. 7. §. 142. „Er (der Beſitzer<lb/> oder Inhaber) iſt berechtigt, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, wenn die Hülfe des<lb/> Staats zu ſpät kommen würde, einen unerſetzlichen Verluſt abzuwenden.“</note> dieſe letztere in den<lb/> Kreis der Beſtimmungen über die Nothwehr, und gefährdete durch dieſe<lb/> Vermiſchung die Beſtimmtheit der Begriffe. In dem Entwurf von 1847.<lb/> finden ſich folgende Beſtimmungen über dieſen Gegenſtand:</p><lb/> <p>§. 55. „Eine im Geſetze mit Strafe bedrohte Handlung, welche zur<lb/> Abwendung eines rechtswidrigen Angriffs gegen die Perſon oder gegen<lb/> das Vermögen, es ſei von dem Angegriffenen ſelbſt, oder zu deſſen<lb/> Vertheidigung von einem Andern begangen wird, ſoll, ſoweit ſie für<lb/> den Zweck der Vertheidigung erforderlich war, als eine in rechter Noth-<lb/> wehr begangene Handlung erachtet und nicht als ein Verbrechen ange-<lb/> ſehen werden.“</p><lb/> <p>„Daſſelbe gilt von ſolchen Handlungen, welche vorgenommen<lb/> werden, um denjenigen zu vertreiben, welcher in eines Anderen Beſitz-<lb/> thum mit Gewalt eindringt, oder darin wider den Willen des Beſitzers<lb/> verbleibt.“</p><lb/> <p>§. 56. „Wer in rechter Nothwehr aus Beſtürzung, Schreck oder<lb/> Furcht das Maaß erlaubter Vertheidigung überſchreitet, dem iſt dieſe<lb/> Ueberſchreitung nicht zuzurechnen.“</p><lb/> <p>§. 57. „Wer in Nothwehr einen Menſchen tödtet oder erheblich<lb/> verwundet, iſt, bei Vermeidung einer Geldbuße bis zu zweihundert<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0196]
Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. IV. Ausſchließung oder Milderung d. Strafe.
geblieben. Schon bei der erſten Reviſion waren die Referenten der
Juſtizkollegien, welche ſich über dieſe Materie geäußert hatten, faſt alle
einſtimmig der Meinung, daß dieſer Abſchnitt unſerer Geſetzgebung einer
ſorgfältigen Durchſicht bedürfe, und daß namentlich das Recht der Noth-
wehr bedeutend erweitert werden müſſe. e) Dieſen Geſichtspunkt haben
denn auch ſämmtliche Entwürfe und zwar die ſpäteren mit erhöhter
Konſequenz feſtgehalten, indem namentlich die Beſchränkungen beſeitigt
wurden, welche in den Vorſchriften des Landrechts enthalten ſind, daß
die Nothwehr nur wegen drohender Gefahr einer unrechtmäßigen Be-
ſchädigung zuläſſig, daß ſie nur gegen eigenmächtige Gewalt und auch
gegen dieſe nur alsdann geſtattet ſei, wenn die obrigkeitliche Hülfe die
Beleidigung weder abwenden, noch den vorigen Zuſtand wieder herſtellen
könne. Auch das Maaß der erlaubten Nothwehr wurde gerechter be-
ſtimmt, als es das Landrecht ohne die gehörige Rückſicht auf die natür-
liche Aufregung des Angegriffenen gethan hatte. Zugleich brachte man
aber mit Beziehung auf die allgemeinen Vorſchriften, welche das Land-
recht über das Verbot der Selbſthülfe aufſtellt, f) dieſe letztere in den
Kreis der Beſtimmungen über die Nothwehr, und gefährdete durch dieſe
Vermiſchung die Beſtimmtheit der Begriffe. In dem Entwurf von 1847.
finden ſich folgende Beſtimmungen über dieſen Gegenſtand:
§. 55. „Eine im Geſetze mit Strafe bedrohte Handlung, welche zur
Abwendung eines rechtswidrigen Angriffs gegen die Perſon oder gegen
das Vermögen, es ſei von dem Angegriffenen ſelbſt, oder zu deſſen
Vertheidigung von einem Andern begangen wird, ſoll, ſoweit ſie für
den Zweck der Vertheidigung erforderlich war, als eine in rechter Noth-
wehr begangene Handlung erachtet und nicht als ein Verbrechen ange-
ſehen werden.“
„Daſſelbe gilt von ſolchen Handlungen, welche vorgenommen
werden, um denjenigen zu vertreiben, welcher in eines Anderen Beſitz-
thum mit Gewalt eindringt, oder darin wider den Willen des Beſitzers
verbleibt.“
§. 56. „Wer in rechter Nothwehr aus Beſtürzung, Schreck oder
Furcht das Maaß erlaubter Vertheidigung überſchreitet, dem iſt dieſe
Ueberſchreitung nicht zuzurechnen.“
§. 57. „Wer in Nothwehr einen Menſchen tödtet oder erheblich
verwundet, iſt, bei Vermeidung einer Geldbuße bis zu zweihundert
e) Motive zum erſten Entwurf. I. S. 162.
f) A. L. R. Einleitung §. 78. „Die Selbſthülfe kann nur in dem Falle
entſchuldigt werden, wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbring-
lichen Schadens zu ſpät kommen würde.“ Th. I. Tit. 7. §. 142. „Er (der Beſitzer
oder Inhaber) iſt berechtigt, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, wenn die Hülfe des
Staats zu ſpät kommen würde, einen unerſetzlichen Verluſt abzuwenden.“
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