Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Th. I. Bestrafung etc. Tit. V. Zusammentreffen d. Verbrechen. Rückfall.
strafung des neuen Verbrechens ein Schärfungsgrund entnommen wer-
den kann. Beide Fälle sind daher sowohl ihrer begriffsmäßigen als
ihrer rechtlichen Bedeutung nach verschieden und auch in der folgenden
Darstellung auseinander zu halten.

Zuerst ist von dem Zusammentreffen mehrerer Verbrechen oder Ver-
gehen (concursus delictorum) zu handeln. Die Doktrin des gemeinen
Deutschen Kriminalrechts hat diese Lehre mit besonderer Vorliebe behan-
delt, und in der Entwicklung seiner Unterscheidungen einen großen
Scharfsinn aufgewandt. Sie hat es aber doch nicht zu einer festen,
allgemein anerkannten Terminologie und zu sicheren Rechtsregeln über
die Bestrafung bringen können. m) Auch das Allgemeine Landrecht bie-
tet in seinen allgemeinen Bestimmungen über diesen Gegenstand, deren
konsequente Durchführung in Beziehung auf die einzelnen Verbrechen
häufig vermißt wird, n) für die legislative Behandlung nur einen schwa-
chen Anhalt, und das im Rheinischen Recht ergriffene Auskunftsmittel,
die Schwierigkeiten durch Aufstellung der prozessualischen Regel: Poena
major absorbet minorem
, -- zu beseitigen, o) kann in seiner allgemeinen
Anwendung die Anforderungen der Gerechtigkeit nicht befriedigen. Bei
der Revision des Strafrechts ist daher eine selbständige Behandlung
dieser Lehre versucht worden, die sich jedoch allmählich immer mehr ver-
einfacht, und zuletzt auf die Aufstellung einiger allgemeinen Grundsätze
beschränkt hat, welche ihrem wesentlichen Inhalte nach in der gemeinrecht-
lichen Doktrin und den neueren Deutschen Strafgesetzbüchern sich wieder
finden.

I. Eine und dieselbe Handlung vereinigt die Merkmale mehrerer
Verbrechen oder Vergehen in sich (s. g. ideale oder formale Konkurrenz,
concursus delictorum simultaneus). Für diesen Fall erkennt das
Strafgesetz die Regel an: Poena major absorbet minorem; es kommt
nur dasjenige Strafgesetz zur Anwendung, welches die schwerste Strafe
androht (§. 55.). Inwiefern in einem solchen Zusammentreffen ein
Grund vorliegt, bei der Strafzumessung darauf Rücksicht zu nehmen,
bleibt dem richterlichen Ermessen überlassen. Das Gesetzbuch hat, ab-

m) Vgl. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen peinlichen Rechts, herausgegeben
von Mittermaier, §. 126-32. -- Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen
Strafrechts I. §. 122-24. -- Heffter, Lehrbuch des gemeinen Deutschen Crimi-
nalrechts, §. 163-66.
n) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 52-57. Vergl. Motive zum ersten Ent-
wurf
, I. S. 219-21. 237.
o) Code d'instruet. crim. Art. 365. -- -- En cas de conviction de
plusieurs crimes ou delits, la peine la plus forte sera seule prononcee.

Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. V. Zuſammentreffen d. Verbrechen. Rückfall.
ſtrafung des neuen Verbrechens ein Schärfungsgrund entnommen wer-
den kann. Beide Fälle ſind daher ſowohl ihrer begriffsmäßigen als
ihrer rechtlichen Bedeutung nach verſchieden und auch in der folgenden
Darſtellung auseinander zu halten.

Zuerſt iſt von dem Zuſammentreffen mehrerer Verbrechen oder Ver-
gehen (concursus delictorum) zu handeln. Die Doktrin des gemeinen
Deutſchen Kriminalrechts hat dieſe Lehre mit beſonderer Vorliebe behan-
delt, und in der Entwicklung ſeiner Unterſcheidungen einen großen
Scharfſinn aufgewandt. Sie hat es aber doch nicht zu einer feſten,
allgemein anerkannten Terminologie und zu ſicheren Rechtsregeln über
die Beſtrafung bringen können. m) Auch das Allgemeine Landrecht bie-
tet in ſeinen allgemeinen Beſtimmungen über dieſen Gegenſtand, deren
konſequente Durchführung in Beziehung auf die einzelnen Verbrechen
häufig vermißt wird, n) für die legislative Behandlung nur einen ſchwa-
chen Anhalt, und das im Rheiniſchen Recht ergriffene Auskunftsmittel,
die Schwierigkeiten durch Aufſtellung der prozeſſualiſchen Regel: Poena
major abſorbet minorem
, — zu beſeitigen, o) kann in ſeiner allgemeinen
Anwendung die Anforderungen der Gerechtigkeit nicht befriedigen. Bei
der Reviſion des Strafrechts iſt daher eine ſelbſtändige Behandlung
dieſer Lehre verſucht worden, die ſich jedoch allmählich immer mehr ver-
einfacht, und zuletzt auf die Aufſtellung einiger allgemeinen Grundſätze
beſchränkt hat, welche ihrem weſentlichen Inhalte nach in der gemeinrecht-
lichen Doktrin und den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern ſich wieder
finden.

I. Eine und dieſelbe Handlung vereinigt die Merkmale mehrerer
Verbrechen oder Vergehen in ſich (ſ. g. ideale oder formale Konkurrenz,
concursus delictorum simultaneus). Für dieſen Fall erkennt das
Strafgeſetz die Regel an: Poena major absorbet minorem; es kommt
nur dasjenige Strafgeſetz zur Anwendung, welches die ſchwerſte Strafe
androht (§. 55.). Inwiefern in einem ſolchen Zuſammentreffen ein
Grund vorliegt, bei der Strafzumeſſung darauf Rückſicht zu nehmen,
bleibt dem richterlichen Ermeſſen überlaſſen. Das Geſetzbuch hat, ab-

m) Vgl. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen peinlichen Rechts, herausgegeben
von Mittermaier, §. 126-32. — Wächter, Lehrbuch des Römiſch-Teutſchen
Strafrechts I. §. 122-24. — Heffter, Lehrbuch des gemeinen Deutſchen Crimi-
nalrechts, §. 163-66.
n) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 52-57. Vergl. Motive zum erſten Ent-
wurf
, I. S. 219-21. 237.
o) Code d'instruet. crim. Art. 365. — — En cas de conviction de
plusieurs crimes ou délits, la peine la plus forte sera seule prononcée.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0218" n="208"/><fw place="top" type="header">Th. I. Be&#x017F;trafung &#xA75B;c. Tit. V.           Zu&#x017F;ammentreffen d. Verbrechen. Rückfall.</fw><lb/>
&#x017F;trafung des neuen          Verbrechens ein Schärfungsgrund entnommen wer-<lb/>
den kann. Beide Fälle &#x017F;ind          daher &#x017F;owohl ihrer begriffsmäßigen als<lb/>
ihrer rechtlichen Bedeutung nach          ver&#x017F;chieden und auch in der folgenden<lb/>
Dar&#x017F;tellung auseinander zu          halten.</p><lb/>
                <p>Zuer&#x017F;t i&#x017F;t von dem Zu&#x017F;ammentreffen mehrerer Verbrechen          oder Ver-<lb/>
gehen (<hi rendition="#aq">concursus delictorum</hi>) zu handeln. Die Doktrin          des gemeinen<lb/>
Deut&#x017F;chen Kriminalrechts hat die&#x017F;e Lehre mit          be&#x017F;onderer Vorliebe behan-<lb/>
delt, und in der Entwicklung &#x017F;einer          Unter&#x017F;cheidungen einen großen<lb/>
Scharf&#x017F;inn aufgewandt. Sie hat es          aber doch nicht zu einer fe&#x017F;ten,<lb/>
allgemein anerkannten Terminologie und zu          &#x017F;icheren Rechtsregeln über<lb/>
die Be&#x017F;trafung bringen können. <note place="foot" n="m)">Vgl. <hi rendition="#g">Feuerbach</hi>, Lehrbuch des gemeinen           peinlichen Rechts, herausgegeben<lb/>
von <hi rendition="#g">Mittermaier</hi>, §. 126-32.           &#x2014; <hi rendition="#g">Wächter</hi>, Lehrbuch des           Römi&#x017F;ch-Teut&#x017F;chen<lb/>
Strafrechts I. §. 122-24. &#x2014; <hi rendition="#g">Heffter</hi>, Lehrbuch des gemeinen Deut&#x017F;chen Crimi-<lb/>
nalrechts, §. 163-66.</note> Auch das Allgemeine Landrecht bie-<lb/>
tet in          &#x017F;einen allgemeinen Be&#x017F;timmungen über die&#x017F;en          Gegen&#x017F;tand, deren<lb/>
kon&#x017F;equente Durchführung in Beziehung auf die          einzelnen Verbrechen<lb/>
häufig vermißt wird, <note place="foot" n="n)">A. L. R. Th. II.           Tit. 20. §. 52-57. Vergl. <hi rendition="#g">Motive zum er&#x017F;ten Ent-<lb/>
wurf</hi>, I. S. 219-21. 237.</note> für die legislative Behandlung nur einen          &#x017F;chwa-<lb/>
chen Anhalt, und das im Rheini&#x017F;chen Recht ergriffene          Auskunftsmittel,<lb/>
die Schwierigkeiten durch Auf&#x017F;tellung der          proze&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;chen Regel: <hi rendition="#aq">Poena<lb/>
major ab&#x017F;orbet minorem</hi>, &#x2014; zu be&#x017F;eitigen,           <note place="foot" n="o)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Code d'instruet.             crim</hi>. Art. 365.</hi> &#x2014; &#x2014; <hi rendition="#aq">En cas de            conviction de<lb/>
plusieurs crimes ou délits, la peine la plus forte sera            seule prononcée.</hi></note> kann in &#x017F;einer          allgemeinen<lb/>
Anwendung die Anforderungen der Gerechtigkeit nicht befriedigen.          Bei<lb/>
der Revi&#x017F;ion des Strafrechts i&#x017F;t daher eine          &#x017F;elb&#x017F;tändige Behandlung<lb/>
die&#x017F;er Lehre          ver&#x017F;ucht worden, die &#x017F;ich jedoch allmählich immer mehr          ver-<lb/>
einfacht, und zuletzt auf die Auf&#x017F;tellung einiger allgemeinen          Grund&#x017F;ätze<lb/>
be&#x017F;chränkt hat, welche ihrem we&#x017F;entlichen          Inhalte nach in der gemeinrecht-<lb/>
lichen Doktrin und den neueren Deut&#x017F;chen          Strafge&#x017F;etzbüchern &#x017F;ich wieder<lb/>
finden.</p><lb/>
                <p>I. Eine und die&#x017F;elbe Handlung vereinigt die Merkmale mehrerer<lb/>
Verbrechen          oder Vergehen in &#x017F;ich (&#x017F;. g. ideale oder formale Konkurrenz,<lb/><hi rendition="#aq">concursus delictorum simultaneus</hi>). Für die&#x017F;en Fall erkennt          das<lb/>
Strafge&#x017F;etz die Regel an: <hi rendition="#aq">Poena major absorbet           minorem</hi>; es kommt<lb/>
nur dasjenige Strafge&#x017F;etz zur Anwendung, welches die          &#x017F;chwer&#x017F;te Strafe<lb/>
androht (§. 55.). Inwiefern in einem          &#x017F;olchen Zu&#x017F;ammentreffen ein<lb/>
Grund vorliegt, bei der          Strafzume&#x017F;&#x017F;ung darauf Rück&#x017F;icht zu nehmen,<lb/>
bleibt dem          richterlichen Erme&#x017F;&#x017F;en überla&#x017F;&#x017F;en. Das          Ge&#x017F;etzbuch hat, ab-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0218] Th. I. Beſtrafung ꝛc. Tit. V. Zuſammentreffen d. Verbrechen. Rückfall. ſtrafung des neuen Verbrechens ein Schärfungsgrund entnommen wer- den kann. Beide Fälle ſind daher ſowohl ihrer begriffsmäßigen als ihrer rechtlichen Bedeutung nach verſchieden und auch in der folgenden Darſtellung auseinander zu halten. Zuerſt iſt von dem Zuſammentreffen mehrerer Verbrechen oder Ver- gehen (concursus delictorum) zu handeln. Die Doktrin des gemeinen Deutſchen Kriminalrechts hat dieſe Lehre mit beſonderer Vorliebe behan- delt, und in der Entwicklung ſeiner Unterſcheidungen einen großen Scharfſinn aufgewandt. Sie hat es aber doch nicht zu einer feſten, allgemein anerkannten Terminologie und zu ſicheren Rechtsregeln über die Beſtrafung bringen können. m) Auch das Allgemeine Landrecht bie- tet in ſeinen allgemeinen Beſtimmungen über dieſen Gegenſtand, deren konſequente Durchführung in Beziehung auf die einzelnen Verbrechen häufig vermißt wird, n) für die legislative Behandlung nur einen ſchwa- chen Anhalt, und das im Rheiniſchen Recht ergriffene Auskunftsmittel, die Schwierigkeiten durch Aufſtellung der prozeſſualiſchen Regel: Poena major abſorbet minorem, — zu beſeitigen, o) kann in ſeiner allgemeinen Anwendung die Anforderungen der Gerechtigkeit nicht befriedigen. Bei der Reviſion des Strafrechts iſt daher eine ſelbſtändige Behandlung dieſer Lehre verſucht worden, die ſich jedoch allmählich immer mehr ver- einfacht, und zuletzt auf die Aufſtellung einiger allgemeinen Grundſätze beſchränkt hat, welche ihrem weſentlichen Inhalte nach in der gemeinrecht- lichen Doktrin und den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern ſich wieder finden. I. Eine und dieſelbe Handlung vereinigt die Merkmale mehrerer Verbrechen oder Vergehen in ſich (ſ. g. ideale oder formale Konkurrenz, concursus delictorum simultaneus). Für dieſen Fall erkennt das Strafgeſetz die Regel an: Poena major absorbet minorem; es kommt nur dasjenige Strafgeſetz zur Anwendung, welches die ſchwerſte Strafe androht (§. 55.). Inwiefern in einem ſolchen Zuſammentreffen ein Grund vorliegt, bei der Strafzumeſſung darauf Rückſicht zu nehmen, bleibt dem richterlichen Ermeſſen überlaſſen. Das Geſetzbuch hat, ab- m) Vgl. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen peinlichen Rechts, herausgegeben von Mittermaier, §. 126-32. — Wächter, Lehrbuch des Römiſch-Teutſchen Strafrechts I. §. 122-24. — Heffter, Lehrbuch des gemeinen Deutſchen Crimi- nalrechts, §. 163-66. n) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 52-57. Vergl. Motive zum erſten Ent- wurf, I. S. 219-21. 237. o) Code d'instruet. crim. Art. 365. — — En cas de conviction de plusieurs crimes ou délits, la peine la plus forte sera seule prononcée.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/218
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/218>, abgerufen am 21.11.2024.