Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. V. Widerstand gegen d. Staatsgewalt.
Befreiung von Gefangenen (§. 94. 95.); die Meuterei in Gefangen- anstalten (§. 96.).
§. 87.
Wer zum Ungehorsam gegen die Gesetze oder Verordnungen oder gegen die Anordnungen der Obrigkeit öffentlich auffordert oder anreizt, oder wer Hand- lungen, welche in den Gesetzen als Verbrechen oder Vergehen bezeichnet sind, durch öffentliche Rechtfertigung anpreiset, wird mit Geldbuße bis zu zweihun- dert Thalern oder mit Gefängniß von vier Wochen bis zu zwei Jahren bestraft.
§. 88.
Wer eine Person des Soldatenstandes, es sei der Linie oder der Landwehr, auffordert oder anreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorsam zu leisten, wer insbesondere eine Person, welche zum Beurlaubtenstande gehört, dazu auf- fordert oder anreizt, der Einberufungs-Ordre nicht zu folgen, wird mit Ge- fängniß von sechs Wochen bis zu zwei Jahren bestraft.
Diese Bestimmung findet Anwendung, die Aufforderung oder Anreizung mag durch Wort oder Schrift oder durch irgend ein anderes Mittel geschehen, sie mag von Erfolg gewesen sein oder nicht.
§. 87. handelt allgemein von der Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze oder obrigkeitliche Anordnungen; §. 88. enthält besondere Bestimmungen in Beziehung auf den Soldatenstand.
A. Oeffentliche Aufforderung zum Ungehorsam.
I. Die Aufforderung oder Anreizung muß, um strafbar zu sein, öffentlich erfolgen, d. h. durch Reden an öffentlichen Orten oder bei öffentlichen Zusammenkünften, oder durch Schriften oder andere Dar- stellungen, welche im Publikum verbreitet werden; vgl. §§. 36. 152.
II. Der Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze oder Verordnungen (vgl. Verfassungs-Urkunde Art. 106.) steht die zum Un- gehorsam gegen die Anordnungen der Obrigkeit gleich. Die Verordnung vom 30. Juni 1849. §. 16., welcher diese Vorschrift entlehnt ist, ent- hielt noch den Zusatz: der "zuständigen" Obrigkeit, dessen Wieder- aufnahme in der Kommission der zweiten Kammer vergeblich beantragt wurde; s. unten §. 89.
III. Der Aufforderung zum Ungehorsam ist es gleichgestellt, wenn jemand Handlungen, welche in den Gesetzen als Verbrechen oder Ver- gehen bezeichnet sind, durch öffentliche Rechtfertigung anpreiset. -- In der Regierungsvorlage hieß es statt des letzten Wortes: "als erlaubt darstellt." Die Kommission der zweiten Kammer, welche einen Antrag auf Streichung des ganzen Satzes ablehnte, hielt jene Aenderung für nothwendig; sie wurde dabei durch folgende Erwägungen bestimmt. w)
w)Bericht der Kommission der zweiten Kammer zu §. 77. (87.).
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. V. Widerſtand gegen d. Staatsgewalt.
Befreiung von Gefangenen (§. 94. 95.); die Meuterei in Gefangen- anſtalten (§. 96.).
§. 87.
Wer zum Ungehorſam gegen die Geſetze oder Verordnungen oder gegen die Anordnungen der Obrigkeit öffentlich auffordert oder anreizt, oder wer Hand- lungen, welche in den Geſetzen als Verbrechen oder Vergehen bezeichnet ſind, durch öffentliche Rechtfertigung anpreiſet, wird mit Geldbuße bis zu zweihun- dert Thalern oder mit Gefängniß von vier Wochen bis zu zwei Jahren beſtraft.
§. 88.
Wer eine Perſon des Soldatenſtandes, es ſei der Linie oder der Landwehr, auffordert oder anreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorſam zu leiſten, wer insbeſondere eine Perſon, welche zum Beurlaubtenſtande gehört, dazu auf- fordert oder anreizt, der Einberufungs-Ordre nicht zu folgen, wird mit Ge- fängniß von ſechs Wochen bis zu zwei Jahren beſtraft.
Dieſe Beſtimmung findet Anwendung, die Aufforderung oder Anreizung mag durch Wort oder Schrift oder durch irgend ein anderes Mittel geſchehen, ſie mag von Erfolg geweſen ſein oder nicht.
§. 87. handelt allgemein von der Aufforderung zum Ungehorſam gegen Geſetze oder obrigkeitliche Anordnungen; §. 88. enthält beſondere Beſtimmungen in Beziehung auf den Soldatenſtand.
A. Oeffentliche Aufforderung zum Ungehorſam.
I. Die Aufforderung oder Anreizung muß, um ſtrafbar zu ſein, öffentlich erfolgen, d. h. durch Reden an öffentlichen Orten oder bei öffentlichen Zuſammenkünften, oder durch Schriften oder andere Dar- ſtellungen, welche im Publikum verbreitet werden; vgl. §§. 36. 152.
II. Der Aufforderung zum Ungehorſam gegen die Geſetze oder Verordnungen (vgl. Verfaſſungs-Urkunde Art. 106.) ſteht die zum Un- gehorſam gegen die Anordnungen der Obrigkeit gleich. Die Verordnung vom 30. Juni 1849. §. 16., welcher dieſe Vorſchrift entlehnt iſt, ent- hielt noch den Zuſatz: der „zuſtändigen“ Obrigkeit, deſſen Wieder- aufnahme in der Kommiſſion der zweiten Kammer vergeblich beantragt wurde; ſ. unten §. 89.
III. Der Aufforderung zum Ungehorſam iſt es gleichgeſtellt, wenn jemand Handlungen, welche in den Geſetzen als Verbrechen oder Ver- gehen bezeichnet ſind, durch öffentliche Rechtfertigung anpreiſet. — In der Regierungsvorlage hieß es ſtatt des letzten Wortes: „als erlaubt darſtellt.“ Die Kommiſſion der zweiten Kammer, welche einen Antrag auf Streichung des ganzen Satzes ablehnte, hielt jene Aenderung für nothwendig; ſie wurde dabei durch folgende Erwägungen beſtimmt. w)
w)Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer zu §. 77. (87.).
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. V. Widerſtand gegen d. Staatsgewalt.
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anſtalten (§. 96.).
§. 87.
Wer zum Ungehorſam gegen die Geſetze oder Verordnungen oder gegen die
Anordnungen der Obrigkeit öffentlich auffordert oder anreizt, oder wer Hand-
lungen, welche in den Geſetzen als Verbrechen oder Vergehen bezeichnet ſind,
durch öffentliche Rechtfertigung anpreiſet, wird mit Geldbuße bis zu zweihun-
dert Thalern oder mit Gefängniß von vier Wochen bis zu zwei Jahren beſtraft.
§. 88.
Wer eine Perſon des Soldatenſtandes, es ſei der Linie oder der Landwehr,
auffordert oder anreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorſam zu leiſten,
wer insbeſondere eine Perſon, welche zum Beurlaubtenſtande gehört, dazu auf-
fordert oder anreizt, der Einberufungs-Ordre nicht zu folgen, wird mit Ge-
fängniß von ſechs Wochen bis zu zwei Jahren beſtraft.
Dieſe Beſtimmung findet Anwendung, die Aufforderung oder Anreizung mag
durch Wort oder Schrift oder durch irgend ein anderes Mittel geſchehen, ſie
mag von Erfolg geweſen ſein oder nicht.
§. 87. handelt allgemein von der Aufforderung zum Ungehorſam
gegen Geſetze oder obrigkeitliche Anordnungen; §. 88. enthält beſondere
Beſtimmungen in Beziehung auf den Soldatenſtand.
A. Oeffentliche Aufforderung zum Ungehorſam.
I. Die Aufforderung oder Anreizung muß, um ſtrafbar zu ſein,
öffentlich erfolgen, d. h. durch Reden an öffentlichen Orten oder bei
öffentlichen Zuſammenkünften, oder durch Schriften oder andere Dar-
ſtellungen, welche im Publikum verbreitet werden; vgl. §§. 36. 152.
II. Der Aufforderung zum Ungehorſam gegen die Geſetze oder
Verordnungen (vgl. Verfaſſungs-Urkunde Art. 106.) ſteht die zum Un-
gehorſam gegen die Anordnungen der Obrigkeit gleich. Die Verordnung
vom 30. Juni 1849. §. 16., welcher dieſe Vorſchrift entlehnt iſt, ent-
hielt noch den Zuſatz: der „zuſtändigen“ Obrigkeit, deſſen Wieder-
aufnahme in der Kommiſſion der zweiten Kammer vergeblich beantragt
wurde; ſ. unten §. 89.
III. Der Aufforderung zum Ungehorſam iſt es gleichgeſtellt, wenn
jemand Handlungen, welche in den Geſetzen als Verbrechen oder Ver-
gehen bezeichnet ſind, durch öffentliche Rechtfertigung anpreiſet. — In
der Regierungsvorlage hieß es ſtatt des letzten Wortes: „als erlaubt
darſtellt.“ Die Kommiſſion der zweiten Kammer, welche einen Antrag
auf Streichung des ganzen Satzes ablehnte, hielt jene Aenderung für
nothwendig; ſie wurde dabei durch folgende Erwägungen beſtimmt. w)
w) Bericht der Kommiſſion der zweiten Kammer zu §. 77. (87.).
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/262>, abgerufen am 24.11.2024.
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