Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
Th. II. V. d. einzelnen Verbrechen u. Vergehen. Tit. VIII. Meineid.

Man bezweckte durch diese Bestimmung bei dem verschiedenen Ver-
fahren, welches nach dem Preußischen, Rheinischen und gemeinen Deut-
schen Prozeßrecht hinsichtlich der Vernehmung von Zeugen gilt, für die
Vollendung des Meineids immer einen festen Zeitpunkt zu erlangen,
und zugleich dem Schwörenden Zeit zum bessern Besinnen zu lassen. f)
Aber gegen diese Auffassung erklärte sich das Ministerium für die Gesetz-
Revision. g)

"Es liegt in der Natur der Sache, daß der Meineid vollendet ist,
sobald die Vernehmung erfolgt und der Eid geleistet ist. Ob das
Protokoll, welches nur Beweismittel ist, geschlossen und unterschrieben
ist, bleibt hiernach gleichgültig, zumal die Unterschrift, besonders beim
mündlichen Verfahren, gar nicht nothwendig ist." Die Frage selbst sei
kontrovers, allein es leuchte ein, daß die Handlung des Schwörenden
durch die Handlung des Dritten, die Redaktion des Protokolls, nicht
bedingt sein könne. Auch sei es zweifelhaft, was unter dem "Schluß
der Verhandlungen" zu verstehen, da man darunter sowohl das schrift-
liche Protokoll sich denken könne, als auch die mündliche Verhandlung
ohne Redaktion. Ein fester Zeitpunkt werde daher durch die Bestim-
mung des Entwurfs nicht gewonnen; das politische Moment, dem
Schwörenden Zeit zur Reue und zum Widerruf zu lassen, könne aber
nur auf die Strafzumessung von Einfluß sein. -- Das Richtige sei,
die Frage über die Vollendung des Meineids, wie bei anderen Ver-
brechen, der Doktrin und dem richterlichen Ermessen zu überlassen.

In Folge dieser Bemerkungen wurde jene Bestimmung ausgeschie-
den, und das Gesetzbuch bringt nur im Allgemeinen die Regel zur
Anwendung, daß es für den Meineid des Zeugen wie des Sachver-
ständigen gleichbedeutend ist, ob der Eid der Aussage und beziehungs-
weise dem Gutachten nachgefolgt oder vorhergegangen ist (§. 126. 127.).
-- An jene Bestimmung knüpfte sich aber noch eine andere Streitfrage
an, wie es nämlich mit der Bestrafung eines in der Voruntersuchung
abgegebenen falschen Zeugnisses zu halten sei. Ueber diese Frage haben
früher mit Rücksicht auf den Rheinischen Strafprozeß sehr lebhafte Ver-
handlungen stattgefunden; h) gegenwärtig ist sie nach Einführung des
mündlichen Anklageprozesses für die ganze Monarchie von gleicher Be-
deutung; ihre Lösung konnte aber nicht im Strafgesetzbuch gegeben
werden, weil dieselbe eigentlich von der Beantwortung der andern Frage

f) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission II. S. 78.
g) Revision von 1845. II. S. 79. 80.
h) Verhandlungen des vereinigten ständischen Ausschusses. III.
S. 351-57. IV. S. 715-21.
Th. II. V. d. einzelnen Verbrechen u. Vergehen. Tit. VIII. Meineid.

Man bezweckte durch dieſe Beſtimmung bei dem verſchiedenen Ver-
fahren, welches nach dem Preußiſchen, Rheiniſchen und gemeinen Deut-
ſchen Prozeßrecht hinſichtlich der Vernehmung von Zeugen gilt, für die
Vollendung des Meineids immer einen feſten Zeitpunkt zu erlangen,
und zugleich dem Schwörenden Zeit zum beſſern Beſinnen zu laſſen. f)
Aber gegen dieſe Auffaſſung erklärte ſich das Miniſterium für die Geſetz-
Reviſion. g)

„Es liegt in der Natur der Sache, daß der Meineid vollendet iſt,
ſobald die Vernehmung erfolgt und der Eid geleiſtet iſt. Ob das
Protokoll, welches nur Beweismittel iſt, geſchloſſen und unterſchrieben
iſt, bleibt hiernach gleichgültig, zumal die Unterſchrift, beſonders beim
mündlichen Verfahren, gar nicht nothwendig iſt.“ Die Frage ſelbſt ſei
kontrovers, allein es leuchte ein, daß die Handlung des Schwörenden
durch die Handlung des Dritten, die Redaktion des Protokolls, nicht
bedingt ſein könne. Auch ſei es zweifelhaft, was unter dem „Schluß
der Verhandlungen“ zu verſtehen, da man darunter ſowohl das ſchrift-
liche Protokoll ſich denken könne, als auch die mündliche Verhandlung
ohne Redaktion. Ein feſter Zeitpunkt werde daher durch die Beſtim-
mung des Entwurfs nicht gewonnen; das politiſche Moment, dem
Schwörenden Zeit zur Reue und zum Widerruf zu laſſen, könne aber
nur auf die Strafzumeſſung von Einfluß ſein. — Das Richtige ſei,
die Frage über die Vollendung des Meineids, wie bei anderen Ver-
brechen, der Doktrin und dem richterlichen Ermeſſen zu überlaſſen.

In Folge dieſer Bemerkungen wurde jene Beſtimmung ausgeſchie-
den, und das Geſetzbuch bringt nur im Allgemeinen die Regel zur
Anwendung, daß es für den Meineid des Zeugen wie des Sachver-
ſtändigen gleichbedeutend iſt, ob der Eid der Ausſage und beziehungs-
weiſe dem Gutachten nachgefolgt oder vorhergegangen iſt (§. 126. 127.).
— An jene Beſtimmung knüpfte ſich aber noch eine andere Streitfrage
an, wie es nämlich mit der Beſtrafung eines in der Vorunterſuchung
abgegebenen falſchen Zeugniſſes zu halten ſei. Ueber dieſe Frage haben
früher mit Rückſicht auf den Rheiniſchen Strafprozeß ſehr lebhafte Ver-
handlungen ſtattgefunden; h) gegenwärtig iſt ſie nach Einführung des
mündlichen Anklageprozeſſes für die ganze Monarchie von gleicher Be-
deutung; ihre Löſung konnte aber nicht im Strafgeſetzbuch gegeben
werden, weil dieſelbe eigentlich von der Beantwortung der andern Frage

f) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion II. S. 78.
g) Reviſion von 1845. II. S. 79. 80.
h) Verhandlungen des vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes. III.
S. 351-57. IV. S. 715-21.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0302" n="292"/>
                <fw place="top" type="header">Th. II. V. d. einzelnen Verbrechen u. Vergehen. Tit. VIII.          Meineid.</fw><lb/>
                <p>Man bezweckte durch die&#x017F;e Be&#x017F;timmung bei dem          ver&#x017F;chiedenen Ver-<lb/>
fahren, welches nach dem Preußi&#x017F;chen,          Rheini&#x017F;chen und gemeinen Deut-<lb/>
&#x017F;chen Prozeßrecht          hin&#x017F;ichtlich der Vernehmung von Zeugen gilt, für die<lb/>
Vollendung des Meineids          immer einen fe&#x017F;ten Zeitpunkt zu erlangen,<lb/>
und zugleich dem Schwörenden Zeit          zum be&#x017F;&#x017F;ern Be&#x017F;innen zu la&#x017F;&#x017F;en.           <note place="foot" n="f)"><hi rendition="#g">Berathungs-Protokolle der            Staatsraths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion</hi> II. S. 78.</note><lb/>
Aber gegen die&#x017F;e Auffa&#x017F;&#x017F;ung erklärte &#x017F;ich          das Mini&#x017F;terium für die Ge&#x017F;etz-<lb/>
Revi&#x017F;ion. <note place="foot" n="g)"><hi rendition="#g">Revi&#x017F;ion von</hi> 1845. II. S. 79.           80.</note>         </p><lb/>
                <p>&#x201E;Es liegt in der Natur der Sache, daß der Meineid vollendet          i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;obald die Vernehmung erfolgt und der Eid          gelei&#x017F;tet i&#x017F;t. Ob das<lb/>
Protokoll, welches nur Beweismittel          i&#x017F;t, ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und          unter&#x017F;chrieben<lb/>
i&#x017F;t, bleibt hiernach gleichgültig, zumal die          Unter&#x017F;chrift, be&#x017F;onders beim<lb/>
mündlichen Verfahren, gar nicht          nothwendig i&#x017F;t.&#x201C; Die Frage &#x017F;elb&#x017F;t          &#x017F;ei<lb/>
kontrovers, allein es leuchte ein, daß die Handlung des          Schwörenden<lb/>
durch die Handlung des Dritten, die Redaktion des Protokolls,          nicht<lb/>
bedingt &#x017F;ein könne. Auch &#x017F;ei es zweifelhaft, was unter dem          &#x201E;Schluß<lb/>
der Verhandlungen&#x201C; zu ver&#x017F;tehen, da man          darunter &#x017F;owohl das &#x017F;chrift-<lb/>
liche Protokoll &#x017F;ich          denken könne, als auch die mündliche Verhandlung<lb/>
ohne Redaktion. Ein fe&#x017F;ter          Zeitpunkt werde daher durch die Be&#x017F;tim-<lb/>
mung des Entwurfs nicht gewonnen;          das politi&#x017F;che Moment, dem<lb/>
Schwörenden Zeit zur Reue und zum Widerruf zu          la&#x017F;&#x017F;en, könne aber<lb/>
nur auf die          Strafzume&#x017F;&#x017F;ung von Einfluß &#x017F;ein. &#x2014; Das Richtige          &#x017F;ei,<lb/>
die Frage über die Vollendung des Meineids, wie bei anderen          Ver-<lb/>
brechen, der Doktrin und dem richterlichen Erme&#x017F;&#x017F;en zu          überla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
                <p>In Folge die&#x017F;er Bemerkungen wurde jene Be&#x017F;timmung          ausge&#x017F;chie-<lb/>
den, und das Ge&#x017F;etzbuch bringt nur im Allgemeinen die          Regel zur<lb/>
Anwendung, daß es für den Meineid des Zeugen wie des          Sachver-<lb/>
&#x017F;tändigen gleichbedeutend i&#x017F;t, ob der Eid der          Aus&#x017F;age und beziehungs-<lb/>
wei&#x017F;e dem Gutachten nachgefolgt oder          vorhergegangen i&#x017F;t (§. 126. 127.).<lb/>
&#x2014; An jene          Be&#x017F;timmung knüpfte &#x017F;ich aber noch eine andere Streitfrage<lb/>
an, wie          es nämlich mit der Be&#x017F;trafung eines in der          Vorunter&#x017F;uchung<lb/>
abgegebenen fal&#x017F;chen          Zeugni&#x017F;&#x017F;es zu halten &#x017F;ei. Ueber die&#x017F;e Frage          haben<lb/>
früher mit Rück&#x017F;icht auf den Rheini&#x017F;chen Strafprozeß          &#x017F;ehr lebhafte Ver-<lb/>
handlungen &#x017F;tattgefunden; <note place="foot" n="h)"><hi rendition="#g">Verhandlungen des vereinigten &#x017F;tändi&#x017F;chen            Aus&#x017F;chu&#x017F;&#x017F;es</hi>. III.<lb/>
S. 351-57. IV. S.           715-21.</note> gegenwärtig i&#x017F;t &#x017F;ie nach Einführung          des<lb/>
mündlichen Anklageproze&#x017F;&#x017F;es für die ganze Monarchie von          gleicher Be-<lb/>
deutung; ihre Lö&#x017F;ung konnte aber nicht im          Strafge&#x017F;etzbuch gegeben<lb/>
werden, weil die&#x017F;elbe eigentlich von der          Beantwortung der andern Frage<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0302] Th. II. V. d. einzelnen Verbrechen u. Vergehen. Tit. VIII. Meineid. Man bezweckte durch dieſe Beſtimmung bei dem verſchiedenen Ver- fahren, welches nach dem Preußiſchen, Rheiniſchen und gemeinen Deut- ſchen Prozeßrecht hinſichtlich der Vernehmung von Zeugen gilt, für die Vollendung des Meineids immer einen feſten Zeitpunkt zu erlangen, und zugleich dem Schwörenden Zeit zum beſſern Beſinnen zu laſſen. f) Aber gegen dieſe Auffaſſung erklärte ſich das Miniſterium für die Geſetz- Reviſion. g) „Es liegt in der Natur der Sache, daß der Meineid vollendet iſt, ſobald die Vernehmung erfolgt und der Eid geleiſtet iſt. Ob das Protokoll, welches nur Beweismittel iſt, geſchloſſen und unterſchrieben iſt, bleibt hiernach gleichgültig, zumal die Unterſchrift, beſonders beim mündlichen Verfahren, gar nicht nothwendig iſt.“ Die Frage ſelbſt ſei kontrovers, allein es leuchte ein, daß die Handlung des Schwörenden durch die Handlung des Dritten, die Redaktion des Protokolls, nicht bedingt ſein könne. Auch ſei es zweifelhaft, was unter dem „Schluß der Verhandlungen“ zu verſtehen, da man darunter ſowohl das ſchrift- liche Protokoll ſich denken könne, als auch die mündliche Verhandlung ohne Redaktion. Ein feſter Zeitpunkt werde daher durch die Beſtim- mung des Entwurfs nicht gewonnen; das politiſche Moment, dem Schwörenden Zeit zur Reue und zum Widerruf zu laſſen, könne aber nur auf die Strafzumeſſung von Einfluß ſein. — Das Richtige ſei, die Frage über die Vollendung des Meineids, wie bei anderen Ver- brechen, der Doktrin und dem richterlichen Ermeſſen zu überlaſſen. In Folge dieſer Bemerkungen wurde jene Beſtimmung ausgeſchie- den, und das Geſetzbuch bringt nur im Allgemeinen die Regel zur Anwendung, daß es für den Meineid des Zeugen wie des Sachver- ſtändigen gleichbedeutend iſt, ob der Eid der Ausſage und beziehungs- weiſe dem Gutachten nachgefolgt oder vorhergegangen iſt (§. 126. 127.). — An jene Beſtimmung knüpfte ſich aber noch eine andere Streitfrage an, wie es nämlich mit der Beſtrafung eines in der Vorunterſuchung abgegebenen falſchen Zeugniſſes zu halten ſei. Ueber dieſe Frage haben früher mit Rückſicht auf den Rheiniſchen Strafprozeß ſehr lebhafte Ver- handlungen ſtattgefunden; h) gegenwärtig iſt ſie nach Einführung des mündlichen Anklageprozeſſes für die ganze Monarchie von gleicher Be- deutung; ihre Löſung konnte aber nicht im Strafgeſetzbuch gegeben werden, weil dieſelbe eigentlich von der Beantwortung der andern Frage f) Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion II. S. 78. g) Reviſion von 1845. II. S. 79. 80. h) Verhandlungen des vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes. III. S. 351-57. IV. S. 715-21.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/302
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/302>, abgerufen am 24.11.2024.