Tadelnde Urtheile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Lei- stungen, ingleichen Aeußerungen, welche zur Ausführung oder Vertheidigung von Gerechtsamen gemacht worden sind, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urtheile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als aus der Form der Aeußerung oder aus den Umständen, unter welchen dieselbe er- folgt, die Absicht zu beleidigen hervorgeht.
§. 155.
Medizinalpersonen und deren Gehülfen, sowie alle Personen, welche unbe- fugterweise Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Stan- des oder Gewerbes anvertraut sind, werden mit Geldbuße bis zu fünfhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft.
Wenn irgend ein Theil des Preußischen Strafrechts einer Reform durch die Gesetzgebung dringend bedurfte, so war es derjenige, welcher die Ehrverletzungen betrifft. Die ausführlichen Bestimmungen des All- gemeinen Landrechts (II. 20. §. 538-66.) befriedigten so wenig die Anforderungen der Praxis, daß bald nach dem Erscheinen des Gesetz- buchs eine Umarbeitung derselben für nothwendig erachtet wurde, und auch später noch die Gesetzgebung wichtige Abänderungen vornahm, i) welche aber die Nothwendigkeit einer weiteren gründlicheren Reform nicht ausschlossen. So konnte es geschehen, daß im Staatsrathe nach Been- digung der Berathung dieses Titels der Antrag gestellt wurde, denselben sogleich als ein besonderes Gesetz zu verkünden, und daß man nur darum nicht auf diesen Antrag einging, weil die Vollendung des neuen Strafgesetzbuchs nahe bevorzustehen schien. k)
Der dreizehnte Titel handelt nun zunächst von der Beleidigung und läßt dann die Verleumdung folgen. Jene bildet daher den nächsten Gegenstand der Erörterung. Dabei ist aber zuvörderst zu bemerken, daß schon in Folge eines Beschlusses, welchen der vereinigte ständische Ausschuß auf Antrag der Staatsregierung faßte, l) die einfache Belei- digung aus der Reihe der Vergehen ausgeschieden und unter die Ue- bertretungen gestellt worden ist (§. 343.). Eine andere sehr wesentliche Abweichung von dem früheren Rechte besteht darin, daß der Begriff der
i)Cirkular-Verordnung vom 30. Dez. 1798. Abschn. IV. (N. C. C. T. X. S. 1851.). -- K.-O. vom 1. Febr. 1811. (G.-S. S. 149.) -- An- hang zur A. G. D. §. 232. Vgl. Motive zum ersten Entwurf. III. 2. S. 5.
k)Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 27. März 1841. Vgl. Gesetz vom 11. März 1850. (G.-S. S. 174-76.)
l)Verhandlungen. III. S. 542. -- IV. S. 722-26.
§§. 152-155. Beleidigung.
§. 154.
Tadelnde Urtheile über wiſſenſchaftliche, künſtleriſche oder gewerbliche Lei- ſtungen, ingleichen Aeußerungen, welche zur Ausführung oder Vertheidigung von Gerechtſamen gemacht worden ſind, ſowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgeſetzten gegen ihre Untergebenen, dienſtliche Anzeigen oder Urtheile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle ſind nur inſofern ſtrafbar, als aus der Form der Aeußerung oder aus den Umſtänden, unter welchen dieſelbe er- folgt, die Abſicht zu beleidigen hervorgeht.
§. 155.
Medizinalperſonen und deren Gehülfen, ſowie alle Perſonen, welche unbe- fugterweiſe Privatgeheimniſſe offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Stan- des oder Gewerbes anvertraut ſind, werden mit Geldbuße bis zu fünfhundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten beſtraft.
Wenn irgend ein Theil des Preußiſchen Strafrechts einer Reform durch die Geſetzgebung dringend bedurfte, ſo war es derjenige, welcher die Ehrverletzungen betrifft. Die ausführlichen Beſtimmungen des All- gemeinen Landrechts (II. 20. §. 538-66.) befriedigten ſo wenig die Anforderungen der Praxis, daß bald nach dem Erſcheinen des Geſetz- buchs eine Umarbeitung derſelben für nothwendig erachtet wurde, und auch ſpäter noch die Geſetzgebung wichtige Abänderungen vornahm, i) welche aber die Nothwendigkeit einer weiteren gründlicheren Reform nicht ausſchloſſen. So konnte es geſchehen, daß im Staatsrathe nach Been- digung der Berathung dieſes Titels der Antrag geſtellt wurde, denſelben ſogleich als ein beſonderes Geſetz zu verkünden, und daß man nur darum nicht auf dieſen Antrag einging, weil die Vollendung des neuen Strafgeſetzbuchs nahe bevorzuſtehen ſchien. k)
Der dreizehnte Titel handelt nun zunächſt von der Beleidigung und läßt dann die Verleumdung folgen. Jene bildet daher den nächſten Gegenſtand der Erörterung. Dabei iſt aber zuvörderſt zu bemerken, daß ſchon in Folge eines Beſchluſſes, welchen der vereinigte ſtändiſche Ausſchuß auf Antrag der Staatsregierung faßte, l) die einfache Belei- digung aus der Reihe der Vergehen ausgeſchieden und unter die Ue- bertretungen geſtellt worden iſt (§. 343.). Eine andere ſehr weſentliche Abweichung von dem früheren Rechte beſteht darin, daß der Begriff der
i)Cirkular-Verordnung vom 30. Dez. 1798. Abſchn. IV. (N. C. C. T. X. S. 1851.). — K.-O. vom 1. Febr. 1811. (G.-S. S. 149.) — An- hang zur A. G. D. §. 232. Vgl. Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 5.
k)Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 27. März 1841. Vgl. Geſetz vom 11. März 1850. (G.-S. S. 174-76.)
l)Verhandlungen. III. S. 542. — IV. S. 722-26.
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von Gerechtſamen gemacht worden ſind, ſowie Vorhaltungen und Rügen der
Vorgeſetzten gegen ihre Untergebenen, dienſtliche Anzeigen oder Urtheile von
Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle ſind nur inſofern ſtrafbar, als aus
der Form der Aeußerung oder aus den Umſtänden, unter welchen dieſelbe er-
folgt, die Abſicht zu beleidigen hervorgeht.
§. 155.
Medizinalperſonen und deren Gehülfen, ſowie alle Perſonen, welche unbe-
fugterweiſe Privatgeheimniſſe offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Stan-
des oder Gewerbes anvertraut ſind, werden mit Geldbuße bis zu fünfhundert
Thalern oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten beſtraft.
Wenn irgend ein Theil des Preußiſchen Strafrechts einer Reform
durch die Geſetzgebung dringend bedurfte, ſo war es derjenige, welcher
die Ehrverletzungen betrifft. Die ausführlichen Beſtimmungen des All-
gemeinen Landrechts (II. 20. §. 538-66.) befriedigten ſo wenig die
Anforderungen der Praxis, daß bald nach dem Erſcheinen des Geſetz-
buchs eine Umarbeitung derſelben für nothwendig erachtet wurde, und
auch ſpäter noch die Geſetzgebung wichtige Abänderungen vornahm, i)
welche aber die Nothwendigkeit einer weiteren gründlicheren Reform nicht
ausſchloſſen. So konnte es geſchehen, daß im Staatsrathe nach Been-
digung der Berathung dieſes Titels der Antrag geſtellt wurde, denſelben
ſogleich als ein beſonderes Geſetz zu verkünden, und daß man nur
darum nicht auf dieſen Antrag einging, weil die Vollendung des neuen
Strafgeſetzbuchs nahe bevorzuſtehen ſchien. k)
Der dreizehnte Titel handelt nun zunächſt von der Beleidigung und
läßt dann die Verleumdung folgen. Jene bildet daher den nächſten
Gegenſtand der Erörterung. Dabei iſt aber zuvörderſt zu bemerken,
daß ſchon in Folge eines Beſchluſſes, welchen der vereinigte ſtändiſche
Ausſchuß auf Antrag der Staatsregierung faßte, l) die einfache Belei-
digung aus der Reihe der Vergehen ausgeſchieden und unter die Ue-
bertretungen geſtellt worden iſt (§. 343.). Eine andere ſehr weſentliche
Abweichung von dem früheren Rechte beſteht darin, daß der Begriff der
i) Cirkular-Verordnung vom 30. Dez. 1798. Abſchn. IV. (N. C. C.
T. X. S. 1851.). — K.-O. vom 1. Febr. 1811. (G.-S. S. 149.) — An-
hang zur A. G. D. §. 232. Vgl. Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 5.
k) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 27. März 1841. Vgl.
Geſetz vom 11. März 1850. (G.-S. S. 174-76.)
l) Verhandlungen. III. S. 542. — IV. S. 722-26.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/331>, abgerufen am 24.11.2024.
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