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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 152-155. Beleidigung.
anerkannt findet, sich hätte geltend machen sollen. Die s. g. Deutsch-
rechtlichen Privatstrafen (Abbitte, Widerruf, Ehrenerklärung) werden
freilich wohl kaum noch unter denjenigen Vertheidiger finden, welche den
Immediat-Bericht gelesen haben, den der Justizminister von Kircheisen
gemeinschaftlich mit dem Fürsten Hardenberg zur Motivirung der
Kabinetsordre vom 1. Febr. 1811. erstattet hat, und welcher in ein-
schneidender Weise das Unzweckmäßige dieser Strafmittel darthut. b) Aber
vielleicht war es ein zu weit getriebenes Zartgefühl der Gesetzgebung,
die Privatgenugthuung, welche als Gegenstand der actio injuriarum
aestimatoria
in einer Geldbuße an den Verletzten bestand, ganz aufzu-
heben. Wenn es auch nicht für schicklich gehalten werden sollte, sich
mit Geld eine Ehrenkränkung bezahlen zu lassen, so muß es doch dem
Verletzten mehr Genugthuung gewähren, eine ihm zugesprochene Buße
zu wohlthätigen Zwecken frei verwenden zu können, als sie dem Fiskus
zufallen, oder gar wider seine Absicht den Angeschuldigten ins Gefängniß
geschickt zu sehen. Eine solche Berücksichtigung individueller Beziehungen
sollte hier, auf einem dem Strafrecht und dem Civilrecht gemeinschaft-
lichen Gebiete, nicht ganz unbeachtet bleiben. -- Freilich ist für gewisse
Kreise die unvermeidliche Ergänzung der Injurienstrafen das Duell, und
für andere Fälle, die mehr dem öffentlichen Leben angehören, fängt doch
auch in Deutschland eine gesundere Anschauung an sich Bahn zu
brechen, welche nach der derberen Art freier Völker der öffentlichen Be-
leidigung, wenn sie den Privatcharakter nicht antastet, das sichere
Bewußtsein eines erprobten Namens entgegenstellt.

VI. Besondere Bestimmungen pflegen für den Fall vorgeschrieben
zu sein, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwiedert wird. Der
Code penal läßt nur, im Fall keine Provokation erfolgt ist, eine Strafe
eintreten, beschränkt diese Vorschrift aber auf die einfachen Injurien; c)
andere Gesetzgebungen schreiben entweder eine Kompensation vor, d) oder
betrachten die vorhergegangene Provokation nur als einen Milderungs-
grund. e) Die Fassung des §. 153. entspricht dem allgemeinen Princip
des Strafgesetzbuchs, bei Fragen, deren Entscheidung nur nach freier
Erwägung aller in Betracht kommenden besonderen Umstände in gerechter
Weise erfolgen kann, dem richterlichen Ermessen den weitesten Spielraum
zu gewähren.


b) Der Bericht ist abgedruckt in den Motiven zum ersten Entwurf. III. 2. S. 7. 8.
-- Von den neueren Deutschen Strafgesetzbüchern hat nur das Hannoversche, Art. 266.
noch die s. g. Deutschrechtlichen Ehrenstrafen.
c) Code penal. Art. 471. Nr. 11.
d) Württemb. Strafgesetzb. Art. 293. -- Hannov. Criminalgesetzb.
Art. 268. -- Bad. Strafgesetzb. §. 312.
e) Braunschweig. Criminalgesetzb. §. 200.

§§. 152-155. Beleidigung.
anerkannt findet, ſich hätte geltend machen ſollen. Die ſ. g. Deutſch-
rechtlichen Privatſtrafen (Abbitte, Widerruf, Ehrenerklärung) werden
freilich wohl kaum noch unter denjenigen Vertheidiger finden, welche den
Immediat-Bericht geleſen haben, den der Juſtizminiſter von Kircheiſen
gemeinſchaftlich mit dem Fürſten Hardenberg zur Motivirung der
Kabinetsordre vom 1. Febr. 1811. erſtattet hat, und welcher in ein-
ſchneidender Weiſe das Unzweckmäßige dieſer Strafmittel darthut. b) Aber
vielleicht war es ein zu weit getriebenes Zartgefühl der Geſetzgebung,
die Privatgenugthuung, welche als Gegenſtand der actio injuriarum
aestimatoria
in einer Geldbuße an den Verletzten beſtand, ganz aufzu-
heben. Wenn es auch nicht für ſchicklich gehalten werden ſollte, ſich
mit Geld eine Ehrenkränkung bezahlen zu laſſen, ſo muß es doch dem
Verletzten mehr Genugthuung gewähren, eine ihm zugeſprochene Buße
zu wohlthätigen Zwecken frei verwenden zu können, als ſie dem Fiskus
zufallen, oder gar wider ſeine Abſicht den Angeſchuldigten ins Gefängniß
geſchickt zu ſehen. Eine ſolche Berückſichtigung individueller Beziehungen
ſollte hier, auf einem dem Strafrecht und dem Civilrecht gemeinſchaft-
lichen Gebiete, nicht ganz unbeachtet bleiben. — Freilich iſt für gewiſſe
Kreiſe die unvermeidliche Ergänzung der Injurienſtrafen das Duell, und
für andere Fälle, die mehr dem öffentlichen Leben angehören, fängt doch
auch in Deutſchland eine geſundere Anſchauung an ſich Bahn zu
brechen, welche nach der derberen Art freier Völker der öffentlichen Be-
leidigung, wenn ſie den Privatcharakter nicht antaſtet, das ſichere
Bewußtſein eines erprobten Namens entgegenſtellt.

VI. Beſondere Beſtimmungen pflegen für den Fall vorgeſchrieben
zu ſein, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwiedert wird. Der
Code pénal läßt nur, im Fall keine Provokation erfolgt iſt, eine Strafe
eintreten, beſchränkt dieſe Vorſchrift aber auf die einfachen Injurien; c)
andere Geſetzgebungen ſchreiben entweder eine Kompenſation vor, d) oder
betrachten die vorhergegangene Provokation nur als einen Milderungs-
grund. e) Die Faſſung des §. 153. entſpricht dem allgemeinen Princip
des Strafgeſetzbuchs, bei Fragen, deren Entſcheidung nur nach freier
Erwägung aller in Betracht kommenden beſonderen Umſtände in gerechter
Weiſe erfolgen kann, dem richterlichen Ermeſſen den weiteſten Spielraum
zu gewähren.


b) Der Bericht iſt abgedruckt in den Motiven zum erſten Entwurf. III. 2. S. 7. 8.
— Von den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern hat nur das Hannoverſche, Art. 266.
noch die ſ. g. Deutſchrechtlichen Ehrenſtrafen.
c) Code pénal. Art. 471. Nr. 11.
d) Württemb. Strafgeſetzb. Art. 293. — Hannov. Criminalgeſetzb.
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[327/0337] §§. 152-155. Beleidigung. anerkannt findet, ſich hätte geltend machen ſollen. Die ſ. g. Deutſch- rechtlichen Privatſtrafen (Abbitte, Widerruf, Ehrenerklärung) werden freilich wohl kaum noch unter denjenigen Vertheidiger finden, welche den Immediat-Bericht geleſen haben, den der Juſtizminiſter von Kircheiſen gemeinſchaftlich mit dem Fürſten Hardenberg zur Motivirung der Kabinetsordre vom 1. Febr. 1811. erſtattet hat, und welcher in ein- ſchneidender Weiſe das Unzweckmäßige dieſer Strafmittel darthut. b) Aber vielleicht war es ein zu weit getriebenes Zartgefühl der Geſetzgebung, die Privatgenugthuung, welche als Gegenſtand der actio injuriarum aestimatoria in einer Geldbuße an den Verletzten beſtand, ganz aufzu- heben. Wenn es auch nicht für ſchicklich gehalten werden ſollte, ſich mit Geld eine Ehrenkränkung bezahlen zu laſſen, ſo muß es doch dem Verletzten mehr Genugthuung gewähren, eine ihm zugeſprochene Buße zu wohlthätigen Zwecken frei verwenden zu können, als ſie dem Fiskus zufallen, oder gar wider ſeine Abſicht den Angeſchuldigten ins Gefängniß geſchickt zu ſehen. Eine ſolche Berückſichtigung individueller Beziehungen ſollte hier, auf einem dem Strafrecht und dem Civilrecht gemeinſchaft- lichen Gebiete, nicht ganz unbeachtet bleiben. — Freilich iſt für gewiſſe Kreiſe die unvermeidliche Ergänzung der Injurienſtrafen das Duell, und für andere Fälle, die mehr dem öffentlichen Leben angehören, fängt doch auch in Deutſchland eine geſundere Anſchauung an ſich Bahn zu brechen, welche nach der derberen Art freier Völker der öffentlichen Be- leidigung, wenn ſie den Privatcharakter nicht antaſtet, das ſichere Bewußtſein eines erprobten Namens entgegenſtellt. VI. Beſondere Beſtimmungen pflegen für den Fall vorgeſchrieben zu ſein, wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwiedert wird. Der Code pénal läßt nur, im Fall keine Provokation erfolgt iſt, eine Strafe eintreten, beſchränkt dieſe Vorſchrift aber auf die einfachen Injurien; c) andere Geſetzgebungen ſchreiben entweder eine Kompenſation vor, d) oder betrachten die vorhergegangene Provokation nur als einen Milderungs- grund. e) Die Faſſung des §. 153. entſpricht dem allgemeinen Princip des Strafgeſetzbuchs, bei Fragen, deren Entſcheidung nur nach freier Erwägung aller in Betracht kommenden beſonderen Umſtände in gerechter Weiſe erfolgen kann, dem richterlichen Ermeſſen den weiteſten Spielraum zu gewähren. b) Der Bericht iſt abgedruckt in den Motiven zum erſten Entwurf. III. 2. S. 7. 8. — Von den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern hat nur das Hannoverſche, Art. 266. noch die ſ. g. Deutſchrechtlichen Ehrenſtrafen. c) Code pénal. Art. 471. Nr. 11. d) Württemb. Strafgeſetzb. Art. 293. — Hannov. Criminalgeſetzb. Art. 268. — Bad. Strafgeſetzb. §. 312. e) Braunſchweig. Criminalgeſetzb. §. 200.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/337>, abgerufen am 24.11.2024.