glaubte man freilich, durch eine allgemeine Begriffsbestimmung der Tödtung die richtige Auffassung der einzelnen Verbrechen und Vergehen zu fördern, und der Entwurf von 1830. bestimmte daher
§. 222. "Wer durch eine rechtswidrige Handlung oder Unter- lassung den Tod eines Menschen verursacht, ist des Verbrechens der Tödtung schuldig."
Aber man überzeugte sich bald, daß die Bestimmtheit der Rechts- begriffe durch eine solche Abstraktion, mit der sich die Gesetzgebung am Wenigsten zu befassen hat, bedroht werde, und ließ sie daher aus den späteren Entwürfen weg. d)
Die Vorschriften dieses Titels umfassen aber nicht alle Fälle, in denen wegen Tödtung eines Menschen eine Strafe angedroht wird. Die Tödtung des Königs ist schon bei dem Hochverrath (§. 61.) erörtert worden; außerdem kommen die Fälle in Betracht, wo die Tödtung, ohne daß die Absicht des Thäters darauf gerichtet gewesen ist, als die Folge eines anderen Verbrechens sich darstellt, und auf dessen Bestrafung von Einfluß wird, wie bei der Nothzucht (§. 144.), der vorsätzlichen Mißhandlung oder Körperverletzung (§. 194.), der Theilnahme an einem Raufhandel (§. 195.), der Vergiftung (§. 197.) und bei den im 27. Titel aufgeführten gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen. Wenn dagegen die Absicht zu tödten der Handlung zum Grunde lag, so kom- men die im 15. Titel aufgestellten Regeln zur Anwendung, und das besondere Verbrechen, durch dessen Verübung jene Absicht erreicht werden sollte, verliert seine selbständige Bedeutung. In diesem Sinne sind na- mentlich die Vorschriften über die Tödtung im Duell im Fall des §. 171., über die Aussetzung (§. 183. Abs. 3.), über Theilnahme an einem Raufhandel (§. 195. Abs. 3.) und die Vergiftung (§. 197. Abs. 4.) abgefaßt worden.
Zuerst ist nun von der vorsätzlichen Tödtung zu handeln, und zwar von derjenigen Form des Verbrechens, welche sich als Mord darstellt. Die Grundzüge dieser Lehre, wie sie in dem gemeinen Deutschen Kri- minalrecht und auch in der Preußischen Gesetzgebung durchgeführt sind, finden sich schon als Ausdruck altgermanischer Rechtsanschauungen in der Karolina, indem nur statt der Heimlichkeit, welche das ältere Recht mit dem Begriff des Mordes verband, die Ueberlegung des Thäters
d) (v. Kamptz) Revid. Entwurf des Strafgesetzbuchs. I. S. 205. -- Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommission. II. S. 179. 180.
§. 175. Der Mord.
glaubte man freilich, durch eine allgemeine Begriffsbeſtimmung der Tödtung die richtige Auffaſſung der einzelnen Verbrechen und Vergehen zu fördern, und der Entwurf von 1830. beſtimmte daher
§. 222. „Wer durch eine rechtswidrige Handlung oder Unter- laſſung den Tod eines Menſchen verurſacht, iſt des Verbrechens der Tödtung ſchuldig.“
Aber man überzeugte ſich bald, daß die Beſtimmtheit der Rechts- begriffe durch eine ſolche Abſtraktion, mit der ſich die Geſetzgebung am Wenigſten zu befaſſen hat, bedroht werde, und ließ ſie daher aus den ſpäteren Entwürfen weg. d)
Die Vorſchriften dieſes Titels umfaſſen aber nicht alle Fälle, in denen wegen Tödtung eines Menſchen eine Strafe angedroht wird. Die Tödtung des Königs iſt ſchon bei dem Hochverrath (§. 61.) erörtert worden; außerdem kommen die Fälle in Betracht, wo die Tödtung, ohne daß die Abſicht des Thäters darauf gerichtet geweſen iſt, als die Folge eines anderen Verbrechens ſich darſtellt, und auf deſſen Beſtrafung von Einfluß wird, wie bei der Nothzucht (§. 144.), der vorſätzlichen Mißhandlung oder Körperverletzung (§. 194.), der Theilnahme an einem Raufhandel (§. 195.), der Vergiftung (§. 197.) und bei den im 27. Titel aufgeführten gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen. Wenn dagegen die Abſicht zu tödten der Handlung zum Grunde lag, ſo kom- men die im 15. Titel aufgeſtellten Regeln zur Anwendung, und das beſondere Verbrechen, durch deſſen Verübung jene Abſicht erreicht werden ſollte, verliert ſeine ſelbſtändige Bedeutung. In dieſem Sinne ſind na- mentlich die Vorſchriften über die Tödtung im Duell im Fall des §. 171., über die Ausſetzung (§. 183. Abſ. 3.), über Theilnahme an einem Raufhandel (§. 195. Abſ. 3.) und die Vergiftung (§. 197. Abſ. 4.) abgefaßt worden.
Zuerſt iſt nun von der vorſätzlichen Tödtung zu handeln, und zwar von derjenigen Form des Verbrechens, welche ſich als Mord darſtellt. Die Grundzüge dieſer Lehre, wie ſie in dem gemeinen Deutſchen Kri- minalrecht und auch in der Preußiſchen Geſetzgebung durchgeführt ſind, finden ſich ſchon als Ausdruck altgermaniſcher Rechtsanſchauungen in der Karolina, indem nur ſtatt der Heimlichkeit, welche das ältere Recht mit dem Begriff des Mordes verband, die Ueberlegung des Thäters
d) (v. Kamptz) Revid. Entwurf des Strafgeſetzbuchs. I. S. 205. — Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 179. 180.
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§. 175. Der Mord.
glaubte man freilich, durch eine allgemeine Begriffsbeſtimmung der
Tödtung die richtige Auffaſſung der einzelnen Verbrechen und Vergehen
zu fördern, und der Entwurf von 1830. beſtimmte daher
§. 222. „Wer durch eine rechtswidrige Handlung oder Unter-
laſſung den Tod eines Menſchen verurſacht, iſt des Verbrechens
der Tödtung ſchuldig.“
Aber man überzeugte ſich bald, daß die Beſtimmtheit der Rechts-
begriffe durch eine ſolche Abſtraktion, mit der ſich die Geſetzgebung am
Wenigſten zu befaſſen hat, bedroht werde, und ließ ſie daher aus den
ſpäteren Entwürfen weg. d)
Die Vorſchriften dieſes Titels umfaſſen aber nicht alle Fälle, in
denen wegen Tödtung eines Menſchen eine Strafe angedroht wird. Die
Tödtung des Königs iſt ſchon bei dem Hochverrath (§. 61.) erörtert
worden; außerdem kommen die Fälle in Betracht, wo die Tödtung,
ohne daß die Abſicht des Thäters darauf gerichtet geweſen iſt, als die
Folge eines anderen Verbrechens ſich darſtellt, und auf deſſen Beſtrafung
von Einfluß wird, wie bei der Nothzucht (§. 144.), der vorſätzlichen
Mißhandlung oder Körperverletzung (§. 194.), der Theilnahme an einem
Raufhandel (§. 195.), der Vergiftung (§. 197.) und bei den im 27.
Titel aufgeführten gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen. Wenn
dagegen die Abſicht zu tödten der Handlung zum Grunde lag, ſo kom-
men die im 15. Titel aufgeſtellten Regeln zur Anwendung, und das
beſondere Verbrechen, durch deſſen Verübung jene Abſicht erreicht werden
ſollte, verliert ſeine ſelbſtändige Bedeutung. In dieſem Sinne ſind na-
mentlich die Vorſchriften über die Tödtung im Duell im Fall des
§. 171., über die Ausſetzung (§. 183. Abſ. 3.), über Theilnahme an
einem Raufhandel (§. 195. Abſ. 3.) und die Vergiftung (§. 197. Abſ. 4.)
abgefaßt worden.
Zuerſt iſt nun von der vorſätzlichen Tödtung zu handeln, und zwar
von derjenigen Form des Verbrechens, welche ſich als Mord darſtellt.
Die Grundzüge dieſer Lehre, wie ſie in dem gemeinen Deutſchen Kri-
minalrecht und auch in der Preußiſchen Geſetzgebung durchgeführt ſind,
finden ſich ſchon als Ausdruck altgermaniſcher Rechtsanſchauungen in
der Karolina, indem nur ſtatt der Heimlichkeit, welche das ältere Recht
mit dem Begriff des Mordes verband, die Ueberlegung des Thäters
d) (v. Kamptz) Revid. Entwurf des Strafgeſetzbuchs. I. S. 205. —
Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. II. S. 179. 180.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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