Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

§§. 176-179. Todtschlag.
in Folge der oben angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange-
nommen, und der Entwurf von 1843. also gefaßt:

§. 299. "Wer vorsätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, sondern
im Affekte (Leidenschaft) einen Menschen tödtet, begeht einen Todtschlag
und hat zehnjährige bis lebenswierige Strafarbeit oder Zuchthausstrafe
verwirkt."

Allein gegen diese Auffassung hat man sich später mit Recht er-
klärt. Zunächst errege es Bedenken, daß hier Affekt durch Leidenschaft
erklärt werde, da diese doch mehr in einer gesteigerten Thätigkeit des
Begehrungsvermögens bestehe, während der Affekt mehr ein gesteigertes
Gefühl bezeichne. Wichtiger aber sei es, daß durch die Aufnahme des
Affekts in den Begriff des Todtschlags die ganze Strafbestimmung des
§. 299. mehr, als es in der Absicht gelegen, beschränkt werde. Denn
wenn der Richter weder Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde,
obgleich er diese als eine vorsätzliche anerkenne, so würde weder ein
Mord noch ein Todtschlag in dem gesetzlichen Sinne vorliegen, und es
überhaupt an einem Strafgesetz für diesen Fall fehlen. Jener Zusatz
müsse daher weggelassen werden. v) -- In der That besteht auch kein sol-
cher Gegensatz zwischen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt,
daß dadurch jede andere mögliche Gemüthsstimmung ausgeschlossen
würde. Der Richter hat vielmehr zu erwägen, ob die Tödtung, sei es
bei der Fassung des Entschlusses oder bei der Ausübung, mit Ueber-
legung verübt worden ist, und wenn weder das Eine noch das Andere
der Fall ist, so wird er einen Todtschlag annehmen müssen, ohne daß
es in Beziehung auf den Thatbestand darauf ankommt, ob der Thäter
in einer besonderen leidenschaftlichen Aufregung sich befunden. Das
Strafgesetzbuch steht in dieser Hinsicht mehr auf dem Standpunkt der
Französischen Gesetzgebung, während die neueren Deutschen Strafgesetz-
bücher den Todtschlag nur dann annehmen, wenn er "im Affekt" oder
"in aufwallender Leidenschaft" begangen worden ist. w)

II. In Einem Falle soll jedoch der Affekt bei dem Todtschlage
berücksichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund, wenn derselbe
nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum Zorne
gereizt hatte (§. 177.). Es ist dieß ein Fall der gesetzlichen Entschul-
digung (excuse), welche die Französische Jurisprudenz zu einem allge-
meinen Rechtsbegriff ausgebildet hat, so daß die Zulassung derselben
wegen Provokation bei dem Todtschlage und der Körperverletzung nur

v) Revision von 1845. II. S. 115. -- Verhandlungen der Staats-
raths-Kommission von
1846. S. 113.
w) Ueber das Geschichtliche vgl. Mittermaier in der Note zu Feuerbach's
Lehrbuch. §. 215.

§§. 176-179. Todtſchlag.
in Folge der oben angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange-
nommen, und der Entwurf von 1843. alſo gefaßt:

§. 299. „Wer vorſätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, ſondern
im Affekte (Leidenſchaft) einen Menſchen tödtet, begeht einen Todtſchlag
und hat zehnjährige bis lebenswierige Strafarbeit oder Zuchthausſtrafe
verwirkt.“

Allein gegen dieſe Auffaſſung hat man ſich ſpäter mit Recht er-
klärt. Zunächſt errege es Bedenken, daß hier Affekt durch Leidenſchaft
erklärt werde, da dieſe doch mehr in einer geſteigerten Thätigkeit des
Begehrungsvermögens beſtehe, während der Affekt mehr ein geſteigertes
Gefühl bezeichne. Wichtiger aber ſei es, daß durch die Aufnahme des
Affekts in den Begriff des Todtſchlags die ganze Strafbeſtimmung des
§. 299. mehr, als es in der Abſicht gelegen, beſchränkt werde. Denn
wenn der Richter weder Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde,
obgleich er dieſe als eine vorſätzliche anerkenne, ſo würde weder ein
Mord noch ein Todtſchlag in dem geſetzlichen Sinne vorliegen, und es
überhaupt an einem Strafgeſetz für dieſen Fall fehlen. Jener Zuſatz
müſſe daher weggelaſſen werden. v) — In der That beſteht auch kein ſol-
cher Gegenſatz zwiſchen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt,
daß dadurch jede andere mögliche Gemüthsſtimmung ausgeſchloſſen
würde. Der Richter hat vielmehr zu erwägen, ob die Tödtung, ſei es
bei der Faſſung des Entſchluſſes oder bei der Ausübung, mit Ueber-
legung verübt worden iſt, und wenn weder das Eine noch das Andere
der Fall iſt, ſo wird er einen Todtſchlag annehmen müſſen, ohne daß
es in Beziehung auf den Thatbeſtand darauf ankommt, ob der Thäter
in einer beſonderen leidenſchaftlichen Aufregung ſich befunden. Das
Strafgeſetzbuch ſteht in dieſer Hinſicht mehr auf dem Standpunkt der
Franzöſiſchen Geſetzgebung, während die neueren Deutſchen Strafgeſetz-
bücher den Todtſchlag nur dann annehmen, wenn er „im Affekt“ oder
„in aufwallender Leidenſchaft“ begangen worden iſt. w)

II. In Einem Falle ſoll jedoch der Affekt bei dem Todtſchlage
berückſichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund, wenn derſelbe
nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum Zorne
gereizt hatte (§. 177.). Es iſt dieß ein Fall der geſetzlichen Entſchul-
digung (excuse), welche die Franzöſiſche Jurisprudenz zu einem allge-
meinen Rechtsbegriff ausgebildet hat, ſo daß die Zulaſſung derſelben
wegen Provokation bei dem Todtſchlage und der Körperverletzung nur

v) Reviſion von 1845. II. S. 115. — Verhandlungen der Staats-
raths-Kommiſſion von
1846. S. 113.
w) Ueber das Geſchichtliche vgl. Mittermaier in der Note zu Feuerbach's
Lehrbuch. §. 215.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0361" n="351"/><fw place="top" type="header">§§. 176-179. Todt&#x017F;chlag.</fw><lb/>
in Folge der oben         angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange-<lb/>
nommen, und der Entwurf von 1843.         al&#x017F;o gefaßt:</p><lb/>
              <p>§. 299. &#x201E;Wer vor&#x017F;ätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung,         &#x017F;ondern<lb/>
im Affekte (Leiden&#x017F;chaft) einen Men&#x017F;chen         tödtet, begeht einen Todt&#x017F;chlag<lb/>
und hat zehnjährige bis lebenswierige         Strafarbeit oder Zuchthaus&#x017F;trafe<lb/>
verwirkt.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Allein gegen die&#x017F;e Auffa&#x017F;&#x017F;ung hat man &#x017F;ich         &#x017F;päter mit Recht er-<lb/>
klärt. Zunäch&#x017F;t errege es Bedenken, daß hier         Affekt durch Leiden&#x017F;chaft<lb/>
erklärt werde, da die&#x017F;e doch mehr in         einer ge&#x017F;teigerten Thätigkeit des<lb/>
Begehrungsvermögens be&#x017F;tehe,         während der Affekt mehr ein ge&#x017F;teigertes<lb/>
Gefühl bezeichne. Wichtiger aber         &#x017F;ei es, daß durch die Aufnahme des<lb/>
Affekts in den Begriff des         Todt&#x017F;chlags die ganze Strafbe&#x017F;timmung des<lb/>
§. 299. mehr, als es in         der Ab&#x017F;icht gelegen, be&#x017F;chränkt werde. Denn<lb/>
wenn der Richter weder         Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde,<lb/>
obgleich er die&#x017F;e als eine         vor&#x017F;ätzliche anerkenne, &#x017F;o würde weder ein<lb/>
Mord noch ein         Todt&#x017F;chlag in dem ge&#x017F;etzlichen Sinne vorliegen, und es<lb/>
überhaupt         an einem Strafge&#x017F;etz für die&#x017F;en Fall fehlen. Jener         Zu&#x017F;atz<lb/>&#x017F;&#x017F;e daher weggela&#x017F;&#x017F;en         werden. <note place="foot" n="v)"><hi rendition="#g">Revi&#x017F;ion von</hi> 1845. II.          S. 115. &#x2014; <hi rendition="#g">Verhandlungen der Staats-<lb/>
raths-Kommi&#x017F;&#x017F;ion von</hi> 1846. S. 113.</note> &#x2014; In der         That be&#x017F;teht auch kein &#x017F;ol-<lb/>
cher Gegen&#x017F;atz         zwi&#x017F;chen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt,<lb/>
daß dadurch jede andere         mögliche Gemüths&#x017F;timmung         ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
würde. Der Richter hat vielmehr zu         erwägen, ob die Tödtung, &#x017F;ei es<lb/>
bei der Fa&#x017F;&#x017F;ung des         Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es oder bei der Ausübung, mit Ueber-<lb/>
legung         verübt worden i&#x017F;t, und wenn weder das Eine noch das Andere<lb/>
der Fall         i&#x017F;t, &#x017F;o wird er einen Todt&#x017F;chlag annehmen         mü&#x017F;&#x017F;en, ohne daß<lb/>
es in Beziehung auf den Thatbe&#x017F;tand         darauf ankommt, ob der Thäter<lb/>
in einer be&#x017F;onderen         leiden&#x017F;chaftlichen Aufregung &#x017F;ich befunden.         Das<lb/>
Strafge&#x017F;etzbuch &#x017F;teht in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht         mehr auf dem Standpunkt der<lb/>
Franzö&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung,         während die neueren Deut&#x017F;chen Strafge&#x017F;etz-<lb/>
bücher den         Todt&#x017F;chlag nur dann annehmen, wenn er &#x201E;im Affekt&#x201C;         oder<lb/>
&#x201E;in aufwallender Leiden&#x017F;chaft&#x201C; begangen worden         i&#x017F;t. <note place="foot" n="w)">Ueber das Ge&#x017F;chichtliche vgl. <hi rendition="#g">Mittermaier</hi> in der Note zu <hi rendition="#g">Feuerbach's</hi><lb/>
Lehrbuch. §. 215.</note>        </p><lb/>
              <p>II. In Einem Falle &#x017F;oll jedoch der Affekt bei dem         Todt&#x017F;chlage<lb/>
berück&#x017F;ichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund,         wenn der&#x017F;elbe<lb/>
nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum         Zorne<lb/>
gereizt hatte (§. 177.). Es i&#x017F;t dieß ein Fall der         ge&#x017F;etzlichen Ent&#x017F;chul-<lb/>
digung (<hi rendition="#aq">excuse</hi>),         welche die Franzö&#x017F;i&#x017F;che Jurisprudenz zu einem allge-<lb/>
meinen         Rechtsbegriff ausgebildet hat, &#x017F;o daß die Zula&#x017F;&#x017F;ung         der&#x017F;elben<lb/>
wegen Provokation bei dem Todt&#x017F;chlage und der         Körperverletzung nur<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0361] §§. 176-179. Todtſchlag. in Folge der oben angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange- nommen, und der Entwurf von 1843. alſo gefaßt: §. 299. „Wer vorſätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, ſondern im Affekte (Leidenſchaft) einen Menſchen tödtet, begeht einen Todtſchlag und hat zehnjährige bis lebenswierige Strafarbeit oder Zuchthausſtrafe verwirkt.“ Allein gegen dieſe Auffaſſung hat man ſich ſpäter mit Recht er- klärt. Zunächſt errege es Bedenken, daß hier Affekt durch Leidenſchaft erklärt werde, da dieſe doch mehr in einer geſteigerten Thätigkeit des Begehrungsvermögens beſtehe, während der Affekt mehr ein geſteigertes Gefühl bezeichne. Wichtiger aber ſei es, daß durch die Aufnahme des Affekts in den Begriff des Todtſchlags die ganze Strafbeſtimmung des §. 299. mehr, als es in der Abſicht gelegen, beſchränkt werde. Denn wenn der Richter weder Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde, obgleich er dieſe als eine vorſätzliche anerkenne, ſo würde weder ein Mord noch ein Todtſchlag in dem geſetzlichen Sinne vorliegen, und es überhaupt an einem Strafgeſetz für dieſen Fall fehlen. Jener Zuſatz müſſe daher weggelaſſen werden. v) — In der That beſteht auch kein ſol- cher Gegenſatz zwiſchen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt, daß dadurch jede andere mögliche Gemüthsſtimmung ausgeſchloſſen würde. Der Richter hat vielmehr zu erwägen, ob die Tödtung, ſei es bei der Faſſung des Entſchluſſes oder bei der Ausübung, mit Ueber- legung verübt worden iſt, und wenn weder das Eine noch das Andere der Fall iſt, ſo wird er einen Todtſchlag annehmen müſſen, ohne daß es in Beziehung auf den Thatbeſtand darauf ankommt, ob der Thäter in einer beſonderen leidenſchaftlichen Aufregung ſich befunden. Das Strafgeſetzbuch ſteht in dieſer Hinſicht mehr auf dem Standpunkt der Franzöſiſchen Geſetzgebung, während die neueren Deutſchen Strafgeſetz- bücher den Todtſchlag nur dann annehmen, wenn er „im Affekt“ oder „in aufwallender Leidenſchaft“ begangen worden iſt. w) II. In Einem Falle ſoll jedoch der Affekt bei dem Todtſchlage berückſichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund, wenn derſelbe nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum Zorne gereizt hatte (§. 177.). Es iſt dieß ein Fall der geſetzlichen Entſchul- digung (excuse), welche die Franzöſiſche Jurisprudenz zu einem allge- meinen Rechtsbegriff ausgebildet hat, ſo daß die Zulaſſung derſelben wegen Provokation bei dem Todtſchlage und der Körperverletzung nur v) Reviſion von 1845. II. S. 115. — Verhandlungen der Staats- raths-Kommiſſion von 1846. S. 113. w) Ueber das Geſchichtliche vgl. Mittermaier in der Note zu Feuerbach's Lehrbuch. §. 215.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/361
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/361>, abgerufen am 24.11.2024.