in Folge der oben angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange- nommen, und der Entwurf von 1843. also gefaßt:
§. 299. "Wer vorsätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, sondern im Affekte (Leidenschaft) einen Menschen tödtet, begeht einen Todtschlag und hat zehnjährige bis lebenswierige Strafarbeit oder Zuchthausstrafe verwirkt."
Allein gegen diese Auffassung hat man sich später mit Recht er- klärt. Zunächst errege es Bedenken, daß hier Affekt durch Leidenschaft erklärt werde, da diese doch mehr in einer gesteigerten Thätigkeit des Begehrungsvermögens bestehe, während der Affekt mehr ein gesteigertes Gefühl bezeichne. Wichtiger aber sei es, daß durch die Aufnahme des Affekts in den Begriff des Todtschlags die ganze Strafbestimmung des §. 299. mehr, als es in der Absicht gelegen, beschränkt werde. Denn wenn der Richter weder Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde, obgleich er diese als eine vorsätzliche anerkenne, so würde weder ein Mord noch ein Todtschlag in dem gesetzlichen Sinne vorliegen, und es überhaupt an einem Strafgesetz für diesen Fall fehlen. Jener Zusatz müsse daher weggelassen werden. v) -- In der That besteht auch kein sol- cher Gegensatz zwischen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt, daß dadurch jede andere mögliche Gemüthsstimmung ausgeschlossen würde. Der Richter hat vielmehr zu erwägen, ob die Tödtung, sei es bei der Fassung des Entschlusses oder bei der Ausübung, mit Ueber- legung verübt worden ist, und wenn weder das Eine noch das Andere der Fall ist, so wird er einen Todtschlag annehmen müssen, ohne daß es in Beziehung auf den Thatbestand darauf ankommt, ob der Thäter in einer besonderen leidenschaftlichen Aufregung sich befunden. Das Strafgesetzbuch steht in dieser Hinsicht mehr auf dem Standpunkt der Französischen Gesetzgebung, während die neueren Deutschen Strafgesetz- bücher den Todtschlag nur dann annehmen, wenn er "im Affekt" oder "in aufwallender Leidenschaft" begangen worden ist. w)
II. In Einem Falle soll jedoch der Affekt bei dem Todtschlage berücksichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund, wenn derselbe nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum Zorne gereizt hatte (§. 177.). Es ist dieß ein Fall der gesetzlichen Entschul- digung (excuse), welche die Französische Jurisprudenz zu einem allge- meinen Rechtsbegriff ausgebildet hat, so daß die Zulassung derselben wegen Provokation bei dem Todtschlage und der Körperverletzung nur
v)Revision von 1845. II. S. 115. -- Verhandlungen der Staats- raths-Kommission von 1846. S. 113.
w) Ueber das Geschichtliche vgl. Mittermaier in der Note zu Feuerbach's Lehrbuch. §. 215.
§§. 176-179. Todtſchlag.
in Folge der oben angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange- nommen, und der Entwurf von 1843. alſo gefaßt:
§. 299. „Wer vorſätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, ſondern im Affekte (Leidenſchaft) einen Menſchen tödtet, begeht einen Todtſchlag und hat zehnjährige bis lebenswierige Strafarbeit oder Zuchthausſtrafe verwirkt.“
Allein gegen dieſe Auffaſſung hat man ſich ſpäter mit Recht er- klärt. Zunächſt errege es Bedenken, daß hier Affekt durch Leidenſchaft erklärt werde, da dieſe doch mehr in einer geſteigerten Thätigkeit des Begehrungsvermögens beſtehe, während der Affekt mehr ein geſteigertes Gefühl bezeichne. Wichtiger aber ſei es, daß durch die Aufnahme des Affekts in den Begriff des Todtſchlags die ganze Strafbeſtimmung des §. 299. mehr, als es in der Abſicht gelegen, beſchränkt werde. Denn wenn der Richter weder Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde, obgleich er dieſe als eine vorſätzliche anerkenne, ſo würde weder ein Mord noch ein Todtſchlag in dem geſetzlichen Sinne vorliegen, und es überhaupt an einem Strafgeſetz für dieſen Fall fehlen. Jener Zuſatz müſſe daher weggelaſſen werden. v) — In der That beſteht auch kein ſol- cher Gegenſatz zwiſchen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt, daß dadurch jede andere mögliche Gemüthsſtimmung ausgeſchloſſen würde. Der Richter hat vielmehr zu erwägen, ob die Tödtung, ſei es bei der Faſſung des Entſchluſſes oder bei der Ausübung, mit Ueber- legung verübt worden iſt, und wenn weder das Eine noch das Andere der Fall iſt, ſo wird er einen Todtſchlag annehmen müſſen, ohne daß es in Beziehung auf den Thatbeſtand darauf ankommt, ob der Thäter in einer beſonderen leidenſchaftlichen Aufregung ſich befunden. Das Strafgeſetzbuch ſteht in dieſer Hinſicht mehr auf dem Standpunkt der Franzöſiſchen Geſetzgebung, während die neueren Deutſchen Strafgeſetz- bücher den Todtſchlag nur dann annehmen, wenn er „im Affekt“ oder „in aufwallender Leidenſchaft“ begangen worden iſt. w)
II. In Einem Falle ſoll jedoch der Affekt bei dem Todtſchlage berückſichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund, wenn derſelbe nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum Zorne gereizt hatte (§. 177.). Es iſt dieß ein Fall der geſetzlichen Entſchul- digung (excuse), welche die Franzöſiſche Jurisprudenz zu einem allge- meinen Rechtsbegriff ausgebildet hat, ſo daß die Zulaſſung derſelben wegen Provokation bei dem Todtſchlage und der Körperverletzung nur
v)Reviſion von 1845. II. S. 115. — Verhandlungen der Staats- raths-Kommiſſion von 1846. S. 113.
w) Ueber das Geſchichtliche vgl. Mittermaier in der Note zu Feuerbach's Lehrbuch. §. 215.
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in Folge der oben angeführten Verhandlungen des Staatsraths ange-
nommen, und der Entwurf von 1843. alſo gefaßt:
§. 299. „Wer vorſätzlich, jedoch nicht mit Ueberlegung, ſondern
im Affekte (Leidenſchaft) einen Menſchen tödtet, begeht einen Todtſchlag
und hat zehnjährige bis lebenswierige Strafarbeit oder Zuchthausſtrafe
verwirkt.“
Allein gegen dieſe Auffaſſung hat man ſich ſpäter mit Recht er-
klärt. Zunächſt errege es Bedenken, daß hier Affekt durch Leidenſchaft
erklärt werde, da dieſe doch mehr in einer geſteigerten Thätigkeit des
Begehrungsvermögens beſtehe, während der Affekt mehr ein geſteigertes
Gefühl bezeichne. Wichtiger aber ſei es, daß durch die Aufnahme des
Affekts in den Begriff des Todtſchlags die ganze Strafbeſtimmung des
§. 299. mehr, als es in der Abſicht gelegen, beſchränkt werde. Denn
wenn der Richter weder Ueberlegung noch Affekt in der Handlung finde,
obgleich er dieſe als eine vorſätzliche anerkenne, ſo würde weder ein
Mord noch ein Todtſchlag in dem geſetzlichen Sinne vorliegen, und es
überhaupt an einem Strafgeſetz für dieſen Fall fehlen. Jener Zuſatz
müſſe daher weggelaſſen werden. v) — In der That beſteht auch kein ſol-
cher Gegenſatz zwiſchen der Handlung mit Ueberlegung und im Affekt,
daß dadurch jede andere mögliche Gemüthsſtimmung ausgeſchloſſen
würde. Der Richter hat vielmehr zu erwägen, ob die Tödtung, ſei es
bei der Faſſung des Entſchluſſes oder bei der Ausübung, mit Ueber-
legung verübt worden iſt, und wenn weder das Eine noch das Andere
der Fall iſt, ſo wird er einen Todtſchlag annehmen müſſen, ohne daß
es in Beziehung auf den Thatbeſtand darauf ankommt, ob der Thäter
in einer beſonderen leidenſchaftlichen Aufregung ſich befunden. Das
Strafgeſetzbuch ſteht in dieſer Hinſicht mehr auf dem Standpunkt der
Franzöſiſchen Geſetzgebung, während die neueren Deutſchen Strafgeſetz-
bücher den Todtſchlag nur dann annehmen, wenn er „im Affekt“ oder
„in aufwallender Leidenſchaft“ begangen worden iſt. w)
II. In Einem Falle ſoll jedoch der Affekt bei dem Todtſchlage
berückſichtigt werden, und zwar als Milderungsgrund, wenn derſelbe
nämlich ein gerechter war, indem der Getödtete den Thäter zum Zorne
gereizt hatte (§. 177.). Es iſt dieß ein Fall der geſetzlichen Entſchul-
digung (excuse), welche die Franzöſiſche Jurisprudenz zu einem allge-
meinen Rechtsbegriff ausgebildet hat, ſo daß die Zulaſſung derſelben
wegen Provokation bei dem Todtſchlage und der Körperverletzung nur
v) Reviſion von 1845. II. S. 115. — Verhandlungen der Staats-
raths-Kommiſſion von 1846. S. 113.
w) Ueber das Geſchichtliche vgl. Mittermaier in der Note zu Feuerbach's
Lehrbuch. §. 215.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/361>, abgerufen am 24.11.2024.
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