Wenn aber aus diesen Gründen die Unterscheidung des großen und kleinen Diebstahls im Allgemeinen verworfen wurde, so bezweckte man damit doch nicht, dem richterlichen Ermessen bei der Strafzumessung die Berücksichtigung des Werthes der gestohlenen Sache zu verwehren; ja man erkannte es an, daß gerade bei der Entwendung geringfügiger Sachen oft mehr ein gewisser Leichtsinn das Motiv der Handlung sei als die eigentliche diebische Absicht, welche bei diesem Vergehen das Wesen des kriminellen Dolus bestimme. Man glaubte, daß der von jeher milder beurtheilte Diebstahl aus Näscherei nicht der einzige Fall sei, für welchen sich eine Ausnahme von der gesetzlichen Regel rechtfer- tige, und hielt deswegen allgemeinere Bestimmungen für nöthig, welche in dem Entwurf von 1847. also gefaßt waren: g)
§. 269. "Wenn der Diebstahl an einer Sache von geringem Werthe verübt wird, und zugleich keine Gründe einer höheren Straf- zumessung vorhanden sind, so soll der Richter ermächtigt sein, die Frei- heitsstrafe bis auf Gefängniß von acht Tagen herabzusetzen."
"Diese Vorschrift soll jedoch nicht zur Anwendung kommen bei Diebstählen an Sachen, welche nicht unter besonderer Aufsicht und Ver- wahrung gehalten werden können, wie Ackergeräthe auf dem Felde, geerndtete Früchte auf dem Felde, Thiere auf der Weide" u. s. w.
§. 279. "Wenn bei der Entwendung oder Unterschlagung von geringfügigen Gegenständen, z. B. von Eßwaaren, Getränken, Garten- früchten oder Feldfrüchten, aus den Umständen erhellet, daß die Hand- lung nicht in der Absicht eines unredlichen Gewinnes geschehen ist, so soll dieselbe nicht mit der Strafe des Diebstahls oder der Unterschla- gung, sondern nur mit Geldbuße bis zu funfzig Thalern oder mit Gefängniß bis zu vier Wochen, ohne Verlust der Ehrenrechte, geahndet werden."
"Die Bestrafung soll in diesen Fällen nur auf den Antrag des Verletzten (§. 70.) eintreten."
Nach dem Systeme des Strafgesetzbuchs kommt die besondere Be- schaffenheit solcher Fälle, insoweit sie nicht §. 349. Nr. 2. 3. vorge- sehen sind, bei der Berücksichtigung mildernder Umstände in Betracht.
I. Die gesetzliche Strafe des einfachen Diebstahls, welche auch den Versuch desselben trifft, ist Gefängniß von Einem Monate bis zu fün Jahren, verbunden mit der zeitigen Untersagung der bürgerlichen Ehren-
S. 354-58. -- Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 30. März 1842. -- Verhandlungen der Staatsraths-Kommission von 1846. S. 134.
g)Revision von 1845. III. S. 22.
§§. 216. 217. Einfacher Diebſtahl.
Wenn aber aus dieſen Gründen die Unterſcheidung des großen und kleinen Diebſtahls im Allgemeinen verworfen wurde, ſo bezweckte man damit doch nicht, dem richterlichen Ermeſſen bei der Strafzumeſſung die Berückſichtigung des Werthes der geſtohlenen Sache zu verwehren; ja man erkannte es an, daß gerade bei der Entwendung geringfügiger Sachen oft mehr ein gewiſſer Leichtſinn das Motiv der Handlung ſei als die eigentliche diebiſche Abſicht, welche bei dieſem Vergehen das Weſen des kriminellen Dolus beſtimme. Man glaubte, daß der von jeher milder beurtheilte Diebſtahl aus Näſcherei nicht der einzige Fall ſei, für welchen ſich eine Ausnahme von der geſetzlichen Regel rechtfer- tige, und hielt deswegen allgemeinere Beſtimmungen für nöthig, welche in dem Entwurf von 1847. alſo gefaßt waren: g)
§. 269. „Wenn der Diebſtahl an einer Sache von geringem Werthe verübt wird, und zugleich keine Gründe einer höheren Straf- zumeſſung vorhanden ſind, ſo ſoll der Richter ermächtigt ſein, die Frei- heitsſtrafe bis auf Gefängniß von acht Tagen herabzuſetzen.“
„Dieſe Vorſchrift ſoll jedoch nicht zur Anwendung kommen bei Diebſtählen an Sachen, welche nicht unter beſonderer Aufſicht und Ver- wahrung gehalten werden können, wie Ackergeräthe auf dem Felde, geerndtete Früchte auf dem Felde, Thiere auf der Weide“ u. ſ. w.
§. 279. „Wenn bei der Entwendung oder Unterſchlagung von geringfügigen Gegenſtänden, z. B. von Eßwaaren, Getränken, Garten- früchten oder Feldfrüchten, aus den Umſtänden erhellet, daß die Hand- lung nicht in der Abſicht eines unredlichen Gewinnes geſchehen iſt, ſo ſoll dieſelbe nicht mit der Strafe des Diebſtahls oder der Unterſchla- gung, ſondern nur mit Geldbuße bis zu funfzig Thalern oder mit Gefängniß bis zu vier Wochen, ohne Verluſt der Ehrenrechte, geahndet werden.“
„Die Beſtrafung ſoll in dieſen Fällen nur auf den Antrag des Verletzten (§. 70.) eintreten.“
Nach dem Syſteme des Strafgeſetzbuchs kommt die beſondere Be- ſchaffenheit ſolcher Fälle, inſoweit ſie nicht §. 349. Nr. 2. 3. vorge- ſehen ſind, bei der Berückſichtigung mildernder Umſtände in Betracht.
I. Die geſetzliche Strafe des einfachen Diebſtahls, welche auch den Verſuch deſſelben trifft, iſt Gefängniß von Einem Monate bis zu fün Jahren, verbunden mit der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen Ehren-
S. 354-58. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 30. März 1842. — Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846. S. 134.
g)Reviſion von 1845. III. S. 22.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0423"n="413"/><fwplace="top"type="header">§§. 216. 217. Einfacher Diebſtahl.</fw><lb/><p>Wenn aber aus dieſen Gründen die Unterſcheidung des großen und<lb/>
kleinen Diebſtahls im Allgemeinen verworfen wurde, ſo bezweckte man<lb/>
damit doch nicht, dem richterlichen Ermeſſen bei der Strafzumeſſung die<lb/>
Berückſichtigung des Werthes der geſtohlenen Sache zu verwehren; ja<lb/>
man erkannte es an, daß gerade bei der Entwendung geringfügiger<lb/>
Sachen oft mehr ein gewiſſer Leichtſinn das Motiv der Handlung ſei<lb/>
als die eigentliche diebiſche Abſicht, welche bei dieſem Vergehen das<lb/>
Weſen des kriminellen Dolus beſtimme. Man glaubte, daß der von<lb/>
jeher milder beurtheilte Diebſtahl aus Näſcherei nicht der einzige Fall<lb/>ſei, für welchen ſich eine Ausnahme von der geſetzlichen Regel rechtfer-<lb/>
tige, und hielt deswegen allgemeinere Beſtimmungen für nöthig, welche<lb/>
in dem Entwurf von 1847. alſo gefaßt waren: <noteplace="foot"n="g)"><hirendition="#g">Reviſion von</hi> 1845. III. S. 22.</note></p><lb/><p>§. 269. „Wenn der Diebſtahl an einer Sache von geringem<lb/>
Werthe verübt wird, und zugleich keine Gründe einer höheren Straf-<lb/>
zumeſſung vorhanden ſind, ſo ſoll der Richter ermächtigt ſein, die Frei-<lb/>
heitsſtrafe bis auf Gefängniß von acht Tagen herabzuſetzen.“</p><lb/><p>„Dieſe Vorſchrift ſoll jedoch nicht zur Anwendung kommen bei<lb/>
Diebſtählen an Sachen, welche nicht unter beſonderer Aufſicht und Ver-<lb/>
wahrung gehalten werden können, wie Ackergeräthe auf dem Felde,<lb/>
geerndtete Früchte auf dem Felde, Thiere auf der Weide“ u. ſ. w.</p><lb/><p>§. 279. „Wenn bei der Entwendung oder Unterſchlagung von<lb/>
geringfügigen Gegenſtänden, z. B. von Eßwaaren, Getränken, Garten-<lb/>
früchten oder Feldfrüchten, aus den Umſtänden erhellet, daß die Hand-<lb/>
lung nicht in der Abſicht eines unredlichen Gewinnes geſchehen iſt, ſo<lb/>ſoll dieſelbe nicht mit der Strafe des Diebſtahls oder der Unterſchla-<lb/>
gung, ſondern nur mit Geldbuße bis zu funfzig Thalern oder mit<lb/>
Gefängniß bis zu vier Wochen, ohne Verluſt der Ehrenrechte, geahndet<lb/>
werden.“</p><lb/><p>„Die Beſtrafung ſoll in dieſen Fällen nur auf den Antrag des<lb/>
Verletzten (§. 70.) eintreten.“</p><lb/><p>Nach dem Syſteme des Strafgeſetzbuchs kommt die beſondere Be-<lb/>ſchaffenheit ſolcher Fälle, inſoweit ſie nicht §. 349. Nr. 2. 3. vorge-<lb/>ſehen ſind, bei der Berückſichtigung mildernder Umſtände in Betracht.</p><lb/><p>I. Die geſetzliche Strafe des einfachen Diebſtahls, welche auch den<lb/>
Verſuch deſſelben trifft, iſt Gefängniß von Einem Monate bis zu fün<lb/>
Jahren, verbunden mit der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen Ehren-<lb/><notexml:id="note-0423"prev="#note-0422"place="foot"n="f)">S. 354-58. —<hirendition="#g">Protokolle des Staatsraths</hi>, Sitzung vom 30. März<lb/>
1842. —<hirendition="#g">Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von</hi> 1846.<lb/>
S. 134.</note><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[413/0423]
§§. 216. 217. Einfacher Diebſtahl.
Wenn aber aus dieſen Gründen die Unterſcheidung des großen und
kleinen Diebſtahls im Allgemeinen verworfen wurde, ſo bezweckte man
damit doch nicht, dem richterlichen Ermeſſen bei der Strafzumeſſung die
Berückſichtigung des Werthes der geſtohlenen Sache zu verwehren; ja
man erkannte es an, daß gerade bei der Entwendung geringfügiger
Sachen oft mehr ein gewiſſer Leichtſinn das Motiv der Handlung ſei
als die eigentliche diebiſche Abſicht, welche bei dieſem Vergehen das
Weſen des kriminellen Dolus beſtimme. Man glaubte, daß der von
jeher milder beurtheilte Diebſtahl aus Näſcherei nicht der einzige Fall
ſei, für welchen ſich eine Ausnahme von der geſetzlichen Regel rechtfer-
tige, und hielt deswegen allgemeinere Beſtimmungen für nöthig, welche
in dem Entwurf von 1847. alſo gefaßt waren: g)
§. 269. „Wenn der Diebſtahl an einer Sache von geringem
Werthe verübt wird, und zugleich keine Gründe einer höheren Straf-
zumeſſung vorhanden ſind, ſo ſoll der Richter ermächtigt ſein, die Frei-
heitsſtrafe bis auf Gefängniß von acht Tagen herabzuſetzen.“
„Dieſe Vorſchrift ſoll jedoch nicht zur Anwendung kommen bei
Diebſtählen an Sachen, welche nicht unter beſonderer Aufſicht und Ver-
wahrung gehalten werden können, wie Ackergeräthe auf dem Felde,
geerndtete Früchte auf dem Felde, Thiere auf der Weide“ u. ſ. w.
§. 279. „Wenn bei der Entwendung oder Unterſchlagung von
geringfügigen Gegenſtänden, z. B. von Eßwaaren, Getränken, Garten-
früchten oder Feldfrüchten, aus den Umſtänden erhellet, daß die Hand-
lung nicht in der Abſicht eines unredlichen Gewinnes geſchehen iſt, ſo
ſoll dieſelbe nicht mit der Strafe des Diebſtahls oder der Unterſchla-
gung, ſondern nur mit Geldbuße bis zu funfzig Thalern oder mit
Gefängniß bis zu vier Wochen, ohne Verluſt der Ehrenrechte, geahndet
werden.“
„Die Beſtrafung ſoll in dieſen Fällen nur auf den Antrag des
Verletzten (§. 70.) eintreten.“
Nach dem Syſteme des Strafgeſetzbuchs kommt die beſondere Be-
ſchaffenheit ſolcher Fälle, inſoweit ſie nicht §. 349. Nr. 2. 3. vorge-
ſehen ſind, bei der Berückſichtigung mildernder Umſtände in Betracht.
I. Die geſetzliche Strafe des einfachen Diebſtahls, welche auch den
Verſuch deſſelben trifft, iſt Gefängniß von Einem Monate bis zu fün
Jahren, verbunden mit der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen Ehren-
f)
g) Reviſion von 1845. III. S. 22.
f) S. 354-58. — Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 30. März
1842. — Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion von 1846.
S. 134.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/423>, abgerufen am 17.09.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.