Theil I. Von der Bestrafung der Verbrechen u. Vergehen im Allg.
Erster Theil. Von der Bestrafung der Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen.
Erster Titel. Von den Strafen.
Den wichtigsten Theil, ja das eigentliche Fundament des materiel- len Strafrechts bilden diejenigen Vorschriften, welche von den Strafarten und ihrer Anwendung handeln. So wenig ein Strafgesetzbuch, auch wenn es noch so vortrefflich ist, die Mängel des gerichtlichen Verfahrens ausgleichen und heilen kann, so wenig ist die durchdachteste, reifste Be- handlung der allgemeinen Lehren, die schärfste Begriffsbestimmung, die sorgfältigste Abmessung der Verschuldung im Stande, ohne ein vernünf- tiges, dem Rechtsbewußtsein des Volkes entsprechendes Strafsystem den Anforderungen der Gerechtigkeit zu genügen. Die allgemeinen Fragen: welche Handlungen sind mit Strafe zu bedrohen? welches Strafmaaß soll für den einzelnen Fall angeordnet werden? -- können erst dann ihre gerechte Lösung finden, wenn über die einzelnen Strafarten, über ihr Verhältniß unter einander und über die ihre Anwendung bestim- menden Normen die richtigen Grundsätze gefunden sind. In dieser Lehre ist zum größten Theil das politische Interesse, welches sich an das ma- terielle Strafrecht knüpft, zusammengefaßt; hier macht sich die unmittel- bare Betheiligung des Rechtsbewußtseins im Volke an der Rechtsbildung geltend. Strafarten, welche mit den Sitten, der Bildung, der ganzen Anschauungsweise eines Volkes nicht in Einklang stehen, lassen sich auf die Dauer selbst dann nicht aufrecht halten, wenn die Gesetzgebung in deren zeitgemäßen Umänderung säumig ist; das Gewohnheitsrecht zeigt seine Macht, auch gegen den Buchstaben des geschriebenen Gesetzes, und selbst die Gerichte können sich dieser Einwirkung nicht entziehen. Auf diesem Wege hat das gemeine deutsche Strafrecht seine jetzige Gestalt erhalten.
Theil I. Von der Beſtrafung der Verbrechen u. Vergehen im Allg.
Erſter Theil. Von der Beſtrafung der Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen.
Erſter Titel. Von den Strafen.
Den wichtigſten Theil, ja das eigentliche Fundament des materiel- len Strafrechts bilden diejenigen Vorſchriften, welche von den Strafarten und ihrer Anwendung handeln. So wenig ein Strafgeſetzbuch, auch wenn es noch ſo vortrefflich iſt, die Mängel des gerichtlichen Verfahrens ausgleichen und heilen kann, ſo wenig iſt die durchdachteſte, reifſte Be- handlung der allgemeinen Lehren, die ſchärfſte Begriffsbeſtimmung, die ſorgfältigſte Abmeſſung der Verſchuldung im Stande, ohne ein vernünf- tiges, dem Rechtsbewußtſein des Volkes entſprechendes Strafſyſtem den Anforderungen der Gerechtigkeit zu genügen. Die allgemeinen Fragen: welche Handlungen ſind mit Strafe zu bedrohen? welches Strafmaaß ſoll für den einzelnen Fall angeordnet werden? — können erſt dann ihre gerechte Löſung finden, wenn über die einzelnen Strafarten, über ihr Verhältniß unter einander und über die ihre Anwendung beſtim- menden Normen die richtigen Grundſätze gefunden ſind. In dieſer Lehre iſt zum größten Theil das politiſche Intereſſe, welches ſich an das ma- terielle Strafrecht knüpft, zuſammengefaßt; hier macht ſich die unmittel- bare Betheiligung des Rechtsbewußtſeins im Volke an der Rechtsbildung geltend. Strafarten, welche mit den Sitten, der Bildung, der ganzen Anſchauungsweiſe eines Volkes nicht in Einklang ſtehen, laſſen ſich auf die Dauer ſelbſt dann nicht aufrecht halten, wenn die Geſetzgebung in deren zeitgemäßen Umänderung ſäumig iſt; das Gewohnheitsrecht zeigt ſeine Macht, auch gegen den Buchſtaben des geſchriebenen Geſetzes, und ſelbſt die Gerichte können ſich dieſer Einwirkung nicht entziehen. Auf dieſem Wege hat das gemeine deutſche Strafrecht ſeine jetzige Geſtalt erhalten.
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Theil I. Von der Beſtrafung der Verbrechen u. Vergehen im Allg.
Erſter Theil.
Von der Beſtrafung der Verbrechen und Vergehen im
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Erſter Titel.
Von den Strafen.
Den wichtigſten Theil, ja das eigentliche Fundament des materiel-
len Strafrechts bilden diejenigen Vorſchriften, welche von den Strafarten
und ihrer Anwendung handeln. So wenig ein Strafgeſetzbuch, auch
wenn es noch ſo vortrefflich iſt, die Mängel des gerichtlichen Verfahrens
ausgleichen und heilen kann, ſo wenig iſt die durchdachteſte, reifſte Be-
handlung der allgemeinen Lehren, die ſchärfſte Begriffsbeſtimmung, die
ſorgfältigſte Abmeſſung der Verſchuldung im Stande, ohne ein vernünf-
tiges, dem Rechtsbewußtſein des Volkes entſprechendes Strafſyſtem den
Anforderungen der Gerechtigkeit zu genügen. Die allgemeinen Fragen:
welche Handlungen ſind mit Strafe zu bedrohen? welches Strafmaaß
ſoll für den einzelnen Fall angeordnet werden? — können erſt dann
ihre gerechte Löſung finden, wenn über die einzelnen Strafarten, über
ihr Verhältniß unter einander und über die ihre Anwendung beſtim-
menden Normen die richtigen Grundſätze gefunden ſind. In dieſer Lehre
iſt zum größten Theil das politiſche Intereſſe, welches ſich an das ma-
terielle Strafrecht knüpft, zuſammengefaßt; hier macht ſich die unmittel-
bare Betheiligung des Rechtsbewußtſeins im Volke an der Rechtsbildung
geltend. Strafarten, welche mit den Sitten, der Bildung, der ganzen
Anſchauungsweiſe eines Volkes nicht in Einklang ſtehen, laſſen ſich auf
die Dauer ſelbſt dann nicht aufrecht halten, wenn die Geſetzgebung in
deren zeitgemäßen Umänderung ſäumig iſt; das Gewohnheitsrecht zeigt
ſeine Macht, auch gegen den Buchſtaben des geſchriebenen Geſetzes, und
ſelbſt die Gerichte können ſich dieſer Einwirkung nicht entziehen. Auf
dieſem Wege hat das gemeine deutſche Strafrecht ſeine jetzige Geſtalt
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/92>, abgerufen am 26.11.2024.
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