in Frage kommt, richtig ist, erscheint unzweifelhaft; wie aber verhält es sich mit der Anrechnung innerhalb des gesetzlichen Strafmaaßes?
Zunächst ist hier zu bemerken, daß in Folge der großen Umände- rungen in der Strafrechtspflege und der gesetzlichen Bestimmungen über den Schutz der persönlichen Freiheit eine Vorschrift der angeführten Art die Bedeutung, welche sie früher, zumal zur Zeit des heimlichen Unter- suchungsverfahrens hatte, gegenwärtig verloren hat. Auch wird darüber kaum eine Kontrolle möglich sein, ob der Richter bei Abmessung einer Strafe, wofür das Gesetz ihm in der Regel einen so weiten Spielraum gewährt, auf Thatsachen, welche mit der strafbaren Handlung und dem Grade der Verschuldung des Thäters nicht in unmittelbarer Beziehung stehen, Rücksicht genommen hat, ja zuweilen wird es kaum der gewissen- haftesten Erwägung gelingen, solche mehr äußerliche Momente bei der Strafzumessung von den aus der That und der Persönlichkeit des Ver- brechers hergenommenen bestimmt zu unterscheiden und fern zu halten. Im Allgemeinen ist aber der Richter nicht für befugt zu achten, ein Uebel, welches der Thäter nicht als Strafe erlitten hat, auf die gesetz- liche Strafe anzurechnen. Daß das Gesetzbuch ihm dieses Recht nicht mehr beigelegt hat, erscheint indessen nach dem Angeführten und aus andern Gründen, die sich gegen eine solche Anrechnung anführen lassen, gerechtfertigt; hatte doch schon der Entwurf von 1847. die frühere dis- positive Fassung der Vorschrift in eine bloß fakultative umgeändert.
V. Eine andere Frage ist es, ob dem zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilten während deren Verbüßung der Aufenthalt in einem Kran- kenhause auf die Strafe angerechnet werden muß. Auch hierüber enthielt der Entwurf von 1847. eine Bestimmung:
§. 19. "Wenn der Verurtheilte aus der Strafanstalt wegen körperlicher oder Geisteskrankheit in eine öffentliche Heilanstalt gebracht worden ist, so wird ihm die Zeit des Aufenthalts in der Heilanstalt auf die Strafzeit angerechnet."
Als diese Frage in der Kommission der zweiten Kammer zur Sprache kam, erklärte der Kommissar des Justizministers, eine solche ausdrückliche Vorschrift erscheine nicht nöthig, da sie sich schon von selbst ergebe. Man müsse nämlich unterscheiden:
den Aufenthalt in einer Privatheilanstalt. Hier könne eine An- rechnung nicht stattfinden, während sie bei der Unterbringung in einer öffentlichen Heilanstalt allerdings eintreten müsse, weil hier Aufsicht und Abschließung dieselbe und nur ein Wechsel des Ortes eingetreten sei.
s)
s)Protokolle der Kommission der zweiten Kammer, Sitzung vom 14. Jan. 1851. -- Bericht der Kommission zu §. 15.
Tit. I. Von den Strafen.
in Frage kommt, richtig iſt, erſcheint unzweifelhaft; wie aber verhält es ſich mit der Anrechnung innerhalb des geſetzlichen Strafmaaßes?
Zunächſt iſt hier zu bemerken, daß in Folge der großen Umände- rungen in der Strafrechtspflege und der geſetzlichen Beſtimmungen über den Schutz der perſönlichen Freiheit eine Vorſchrift der angeführten Art die Bedeutung, welche ſie früher, zumal zur Zeit des heimlichen Unter- ſuchungsverfahrens hatte, gegenwärtig verloren hat. Auch wird darüber kaum eine Kontrolle möglich ſein, ob der Richter bei Abmeſſung einer Strafe, wofür das Geſetz ihm in der Regel einen ſo weiten Spielraum gewährt, auf Thatſachen, welche mit der ſtrafbaren Handlung und dem Grade der Verſchuldung des Thäters nicht in unmittelbarer Beziehung ſtehen, Rückſicht genommen hat, ja zuweilen wird es kaum der gewiſſen- hafteſten Erwägung gelingen, ſolche mehr äußerliche Momente bei der Strafzumeſſung von den aus der That und der Perſönlichkeit des Ver- brechers hergenommenen beſtimmt zu unterſcheiden und fern zu halten. Im Allgemeinen iſt aber der Richter nicht für befugt zu achten, ein Uebel, welches der Thäter nicht als Strafe erlitten hat, auf die geſetz- liche Strafe anzurechnen. Daß das Geſetzbuch ihm dieſes Recht nicht mehr beigelegt hat, erſcheint indeſſen nach dem Angeführten und aus andern Gründen, die ſich gegen eine ſolche Anrechnung anführen laſſen, gerechtfertigt; hatte doch ſchon der Entwurf von 1847. die frühere dis- poſitive Faſſung der Vorſchrift in eine bloß fakultative umgeändert.
V. Eine andere Frage iſt es, ob dem zu einer Freiheitsſtrafe Verurtheilten während deren Verbüßung der Aufenthalt in einem Kran- kenhauſe auf die Strafe angerechnet werden muß. Auch hierüber enthielt der Entwurf von 1847. eine Beſtimmung:
§. 19. „Wenn der Verurtheilte aus der Strafanſtalt wegen körperlicher oder Geiſteskrankheit in eine öffentliche Heilanſtalt gebracht worden iſt, ſo wird ihm die Zeit des Aufenthalts in der Heilanſtalt auf die Strafzeit angerechnet.“
Als dieſe Frage in der Kommiſſion der zweiten Kammer zur Sprache kam, erklärte der Kommiſſar des Juſtizminiſters, eine ſolche ausdrückliche Vorſchrift erſcheine nicht nöthig, da ſie ſich ſchon von ſelbſt ergebe. Man müſſe nämlich unterſcheiden:
den Aufenthalt in einer Privatheilanſtalt. Hier könne eine An- rechnung nicht ſtattfinden, während ſie bei der Unterbringung in einer öffentlichen Heilanſtalt allerdings eintreten müſſe, weil hier Aufſicht und Abſchließung dieſelbe und nur ein Wechſel des Ortes eingetreten ſei.
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s)Protokolle der Kommiſſion der zweiten Kammer, Sitzung vom 14. Jan. 1851. — Bericht der Kommiſſion zu §. 15.
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Tit. I. Von den Strafen.
in Frage kommt, richtig iſt, erſcheint unzweifelhaft; wie aber verhält
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Zunächſt iſt hier zu bemerken, daß in Folge der großen Umände-
rungen in der Strafrechtspflege und der geſetzlichen Beſtimmungen über
den Schutz der perſönlichen Freiheit eine Vorſchrift der angeführten Art
die Bedeutung, welche ſie früher, zumal zur Zeit des heimlichen Unter-
ſuchungsverfahrens hatte, gegenwärtig verloren hat. Auch wird darüber
kaum eine Kontrolle möglich ſein, ob der Richter bei Abmeſſung einer
Strafe, wofür das Geſetz ihm in der Regel einen ſo weiten Spielraum
gewährt, auf Thatſachen, welche mit der ſtrafbaren Handlung und dem
Grade der Verſchuldung des Thäters nicht in unmittelbarer Beziehung
ſtehen, Rückſicht genommen hat, ja zuweilen wird es kaum der gewiſſen-
hafteſten Erwägung gelingen, ſolche mehr äußerliche Momente bei der
Strafzumeſſung von den aus der That und der Perſönlichkeit des Ver-
brechers hergenommenen beſtimmt zu unterſcheiden und fern zu halten.
Im Allgemeinen iſt aber der Richter nicht für befugt zu achten, ein
Uebel, welches der Thäter nicht als Strafe erlitten hat, auf die geſetz-
liche Strafe anzurechnen. Daß das Geſetzbuch ihm dieſes Recht nicht
mehr beigelegt hat, erſcheint indeſſen nach dem Angeführten und aus
andern Gründen, die ſich gegen eine ſolche Anrechnung anführen laſſen,
gerechtfertigt; hatte doch ſchon der Entwurf von 1847. die frühere dis-
poſitive Faſſung der Vorſchrift in eine bloß fakultative umgeändert.
V. Eine andere Frage iſt es, ob dem zu einer Freiheitsſtrafe
Verurtheilten während deren Verbüßung der Aufenthalt in einem Kran-
kenhauſe auf die Strafe angerechnet werden muß. Auch hierüber enthielt
der Entwurf von 1847. eine Beſtimmung:
§. 19. „Wenn der Verurtheilte aus der Strafanſtalt wegen
körperlicher oder Geiſteskrankheit in eine öffentliche Heilanſtalt
gebracht worden iſt, ſo wird ihm die Zeit des Aufenthalts in
der Heilanſtalt auf die Strafzeit angerechnet.“
Als dieſe Frage in der Kommiſſion der zweiten Kammer zur Sprache
kam, erklärte der Kommiſſar des Juſtizminiſters, eine ſolche ausdrückliche
Vorſchrift erſcheine nicht nöthig, da ſie ſich ſchon von ſelbſt ergebe.
Man müſſe nämlich unterſcheiden:
den Aufenthalt in einer Privatheilanſtalt. Hier könne eine An-
rechnung nicht ſtattfinden, während ſie
bei der Unterbringung in einer öffentlichen Heilanſtalt allerdings
eintreten müſſe, weil hier Aufſicht und Abſchließung dieſelbe und
nur ein Wechſel des Ortes eingetreten ſei.
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s) Protokolle der Kommiſſion der zweiten Kammer, Sitzung vom
14. Jan. 1851. — Bericht der Kommiſſion zu §. 15.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/99>, abgerufen am 27.11.2024.
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