lienrecht ist trotz seiner romanistischen Färbung dadurch in sehr wesentlichen Puncten der nationalen Rechtsanschauung treu erhalten worden. Das stellt sich zunächst in dem Recht der Ehe dar. Es giebt kein tieferes, juristisch und sittlich voll- endeteres Symbol im heutigen Rechtsleben als die Trauung, welche, in Verbindung mit den vorbereitenden Handlungen, den strengsten Formalismus und die weiteste Publicität mit der frommen Innigkeit des deutschen Familiensinns in sich vereinigt; sie ist es, von der die protestantische Volkssitte das Daseyn der Ehe abhängig macht, ohne dafür in einem fran- zösischen Civilact, oder gar in der sogenannten Gewissensehe, dem gehaltlosen Product juristischer Sophistik, einen Ersatz zu finden. Es ist daher nicht genug zu beklagen, daß gerade der auf das Gebiet der gemischten Ehe verlegte Streit der kirchli- chen Parteien der Durchführung der Trauung als einer für die Eingehung der Ehe wesentlichen Form große politische Hin- dernisse entgegensetzt, und daß selbst innerhalb der protestanti- schen Kirche sich über diesen Punct ein Conflict der geistlichen und weltlichen Macht vorzubereiten scheint. Diese letztere Ge- fahr möchte nun freilich, wenn die Staatsgewalt nur die rechte Mäßigung und Energie zeigt, nicht schwer zu beseitigen seyn; aber in Beziehung auf das zuerst genannte Hinderniß kann es allerdings nothwendig werden, daß die Gesetzgebung sich nach einer die Trauung formell ersetzenden Aushülfe um- sehe. Es ist indessen mit Sicherheit anzunehmen, daß die Volkssitte die schöne Form, so weit es nur irgend möglich, treu bewahren wird, und sie hat dazu um so mehr Veranlas- sung, da sie das feierliche Verlöbniß gegen die formlose spon- satio hat zurücktreten lassen. Auch darin hat sich der Pro- testantismus dem deutschen Volkscharakter wieder angeschlos-
Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
lienrecht iſt trotz ſeiner romaniſtiſchen Faͤrbung dadurch in ſehr weſentlichen Puncten der nationalen Rechtsanſchauung treu erhalten worden. Das ſtellt ſich zunaͤchſt in dem Recht der Ehe dar. Es giebt kein tieferes, juriſtiſch und ſittlich voll- endeteres Symbol im heutigen Rechtsleben als die Trauung, welche, in Verbindung mit den vorbereitenden Handlungen, den ſtrengſten Formalismus und die weiteſte Publicitaͤt mit der frommen Innigkeit des deutſchen Familienſinns in ſich vereinigt; ſie iſt es, von der die proteſtantiſche Volksſitte das Daſeyn der Ehe abhaͤngig macht, ohne dafuͤr in einem fran- zoͤſiſchen Civilact, oder gar in der ſogenannten Gewiſſensehe, dem gehaltloſen Product juriſtiſcher Sophiſtik, einen Erſatz zu finden. Es iſt daher nicht genug zu beklagen, daß gerade der auf das Gebiet der gemiſchten Ehe verlegte Streit der kirchli- chen Parteien der Durchfuͤhrung der Trauung als einer fuͤr die Eingehung der Ehe weſentlichen Form große politiſche Hin- derniſſe entgegenſetzt, und daß ſelbſt innerhalb der proteſtanti- ſchen Kirche ſich uͤber dieſen Punct ein Conflict der geiſtlichen und weltlichen Macht vorzubereiten ſcheint. Dieſe letztere Ge- fahr moͤchte nun freilich, wenn die Staatsgewalt nur die rechte Maͤßigung und Energie zeigt, nicht ſchwer zu beſeitigen ſeyn; aber in Beziehung auf das zuerſt genannte Hinderniß kann es allerdings nothwendig werden, daß die Geſetzgebung ſich nach einer die Trauung formell erſetzenden Aushuͤlfe um- ſehe. Es iſt indeſſen mit Sicherheit anzunehmen, daß die Volksſitte die ſchoͤne Form, ſo weit es nur irgend moͤglich, treu bewahren wird, und ſie hat dazu um ſo mehr Veranlaſ- ſung, da ſie das feierliche Verloͤbniß gegen die formloſe spon- satio hat zuruͤcktreten laſſen. Auch darin hat ſich der Pro- teſtantismus dem deutſchen Volkscharakter wieder angeſchloſ-
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Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
lienrecht iſt trotz ſeiner romaniſtiſchen Faͤrbung dadurch in
ſehr weſentlichen Puncten der nationalen Rechtsanſchauung
treu erhalten worden. Das ſtellt ſich zunaͤchſt in dem Recht
der Ehe dar. Es giebt kein tieferes, juriſtiſch und ſittlich voll-
endeteres Symbol im heutigen Rechtsleben als die Trauung,
welche, in Verbindung mit den vorbereitenden Handlungen,
den ſtrengſten Formalismus und die weiteſte Publicitaͤt mit
der frommen Innigkeit des deutſchen Familienſinns in ſich
vereinigt; ſie iſt es, von der die proteſtantiſche Volksſitte das
Daſeyn der Ehe abhaͤngig macht, ohne dafuͤr in einem fran-
zoͤſiſchen Civilact, oder gar in der ſogenannten Gewiſſensehe,
dem gehaltloſen Product juriſtiſcher Sophiſtik, einen Erſatz zu
finden. Es iſt daher nicht genug zu beklagen, daß gerade der
auf das Gebiet der gemiſchten Ehe verlegte Streit der kirchli-
chen Parteien der Durchfuͤhrung der Trauung als einer fuͤr
die Eingehung der Ehe weſentlichen Form große politiſche Hin-
derniſſe entgegenſetzt, und daß ſelbſt innerhalb der proteſtanti-
ſchen Kirche ſich uͤber dieſen Punct ein Conflict der geiſtlichen
und weltlichen Macht vorzubereiten ſcheint. Dieſe letztere Ge-
fahr moͤchte nun freilich, wenn die Staatsgewalt nur die
rechte Maͤßigung und Energie zeigt, nicht ſchwer zu beſeitigen
ſeyn; aber in Beziehung auf das zuerſt genannte Hinderniß
kann es allerdings nothwendig werden, daß die Geſetzgebung
ſich nach einer die Trauung formell erſetzenden Aushuͤlfe um-
ſehe. Es iſt indeſſen mit Sicherheit anzunehmen, daß die
Volksſitte die ſchoͤne Form, ſo weit es nur irgend moͤglich,
treu bewahren wird, und ſie hat dazu um ſo mehr Veranlaſ-
ſung, da ſie das feierliche Verloͤbniß gegen die formloſe spon-
satio hat zuruͤcktreten laſſen. Auch darin hat ſich der Pro-
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/153>, abgerufen am 16.02.2025.
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