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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Siebentes Kapitel.
eigenes Standesrecht gründen könnte. Einmal darf man näm-
lich nicht übersehen, daß oft, wenn die Bestätigung bäuerlicher
Contracte durch die Obrigkeit nothwendig ist, keine Beschrän-
kung der Rechtsfähigkeit vorliegt, sondern nur die Neigung des
Volkes zu einem strengen Formalismus seiner wichtigeren Ge-
schäfte sich geltend gemacht hat, und also in den bestehenden
Einrichtungen ein Bedürfniß befriedigt worden ist, welches alle
Stände theilen, wodurch bei den Bauern aber gerade die Ge-
richtlichkeit der Geschäfte vorzugsweise begünstigt wird. Außer-
dem hat jene Beschränkung, insofern sie die Familienverhält-
nisse betrifft, nach Aufhebung der Leibeigenschaft und bei ei-
ner allgemeineren Anerkennung der staatsbürgerlichen Frei-
heit wesentlich in ihrer Bedeutung verloren; und auch in
Beziehung auf die den Grundbesitz betreffenden Geschäfte
ist durch die veränderte Lage des Gegenstandes Manches ver-
ändert worden. Dieser Punct ist nun noch genauer zu be-
trachten.

Wenn man die neueren Gesetzgebungrn, durch welche eine
bessere Stellung des Bauernstandes in Beziehung auf seine
agrarischen Verhälnisse bezweckt wird, beurtheilt, so pflegt man
darin oft eine einseitige, wenn auch politisch nothwendige Be-
günstigung jenes Standes zu finden, für welche keine streng
juristische Begründung gegeben werden könne. Das ist nun
auf gewisse Weise auch ganz richtig; denn der durch das Her-
kommen festgestellte Zustand war allerdings von der Art, daß
die Umwandlung desselben ein neues Recht schaffen mußte,
welches dem Bauernstande im Allgemeinen die größeren Vor-
theile gewährt, obgleich die Ablösung der Reallasten nicht un-
entgeldlich, sondern nach dem Princip der Expropriation ge-
schieht. Wenn man jedoch nicht bloß die nächste Vergangen-

Siebentes Kapitel.
eigenes Standesrecht gruͤnden koͤnnte. Einmal darf man naͤm-
lich nicht uͤberſehen, daß oft, wenn die Beſtaͤtigung baͤuerlicher
Contracte durch die Obrigkeit nothwendig iſt, keine Beſchraͤn-
kung der Rechtsfaͤhigkeit vorliegt, ſondern nur die Neigung des
Volkes zu einem ſtrengen Formalismus ſeiner wichtigeren Ge-
ſchaͤfte ſich geltend gemacht hat, und alſo in den beſtehenden
Einrichtungen ein Beduͤrfniß befriedigt worden iſt, welches alle
Staͤnde theilen, wodurch bei den Bauern aber gerade die Ge-
richtlichkeit der Geſchaͤfte vorzugsweiſe beguͤnſtigt wird. Außer-
dem hat jene Beſchraͤnkung, inſofern ſie die Familienverhaͤlt-
niſſe betrifft, nach Aufhebung der Leibeigenſchaft und bei ei-
ner allgemeineren Anerkennung der ſtaatsbuͤrgerlichen Frei-
heit weſentlich in ihrer Bedeutung verloren; und auch in
Beziehung auf die den Grundbeſitz betreffenden Geſchaͤfte
iſt durch die veraͤnderte Lage des Gegenſtandes Manches ver-
aͤndert worden. Dieſer Punct iſt nun noch genauer zu be-
trachten.

Wenn man die neueren Geſetzgebungrn, durch welche eine
beſſere Stellung des Bauernſtandes in Beziehung auf ſeine
agrariſchen Verhaͤlniſſe bezweckt wird, beurtheilt, ſo pflegt man
darin oft eine einſeitige, wenn auch politiſch nothwendige Be-
guͤnſtigung jenes Standes zu finden, fuͤr welche keine ſtreng
juriſtiſche Begruͤndung gegeben werden koͤnne. Das iſt nun
auf gewiſſe Weiſe auch ganz richtig; denn der durch das Her-
kommen feſtgeſtellte Zuſtand war allerdings von der Art, daß
die Umwandlung deſſelben ein neues Recht ſchaffen mußte,
welches dem Bauernſtande im Allgemeinen die groͤßeren Vor-
theile gewaͤhrt, obgleich die Abloͤſung der Reallaſten nicht un-
entgeldlich, ſondern nach dem Princip der Expropriation ge-
ſchieht. Wenn man jedoch nicht bloß die naͤchſte Vergangen-

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[212/0224] Siebentes Kapitel. eigenes Standesrecht gruͤnden koͤnnte. Einmal darf man naͤm- lich nicht uͤberſehen, daß oft, wenn die Beſtaͤtigung baͤuerlicher Contracte durch die Obrigkeit nothwendig iſt, keine Beſchraͤn- kung der Rechtsfaͤhigkeit vorliegt, ſondern nur die Neigung des Volkes zu einem ſtrengen Formalismus ſeiner wichtigeren Ge- ſchaͤfte ſich geltend gemacht hat, und alſo in den beſtehenden Einrichtungen ein Beduͤrfniß befriedigt worden iſt, welches alle Staͤnde theilen, wodurch bei den Bauern aber gerade die Ge- richtlichkeit der Geſchaͤfte vorzugsweiſe beguͤnſtigt wird. Außer- dem hat jene Beſchraͤnkung, inſofern ſie die Familienverhaͤlt- niſſe betrifft, nach Aufhebung der Leibeigenſchaft und bei ei- ner allgemeineren Anerkennung der ſtaatsbuͤrgerlichen Frei- heit weſentlich in ihrer Bedeutung verloren; und auch in Beziehung auf die den Grundbeſitz betreffenden Geſchaͤfte iſt durch die veraͤnderte Lage des Gegenſtandes Manches ver- aͤndert worden. Dieſer Punct iſt nun noch genauer zu be- trachten. Wenn man die neueren Geſetzgebungrn, durch welche eine beſſere Stellung des Bauernſtandes in Beziehung auf ſeine agrariſchen Verhaͤlniſſe bezweckt wird, beurtheilt, ſo pflegt man darin oft eine einſeitige, wenn auch politiſch nothwendige Be- guͤnſtigung jenes Standes zu finden, fuͤr welche keine ſtreng juriſtiſche Begruͤndung gegeben werden koͤnne. Das iſt nun auf gewiſſe Weiſe auch ganz richtig; denn der durch das Her- kommen feſtgeſtellte Zuſtand war allerdings von der Art, daß die Umwandlung deſſelben ein neues Recht ſchaffen mußte, welches dem Bauernſtande im Allgemeinen die groͤßeren Vor- theile gewaͤhrt, obgleich die Abloͤſung der Reallaſten nicht un- entgeldlich, ſondern nach dem Princip der Expropriation ge- ſchieht. Wenn man jedoch nicht bloß die naͤchſte Vergangen-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/224>, abgerufen am 23.11.2024.