bestehenden Ueberreste schon veralteter Zustände einer neuen Rechtsbildung weichen müssen. Die Gutsobrigkeit namentlich, insofern sie nicht als Dienstherrschaft auftritt, und die Patri- monialgerichtsbarkeit werden vor dem herrschenden Princip des Staates und der freien Gemeinde verschwinden. Daß aber der Bauernstand noch immer in einer mehr eigenthümlichen und abgeschlossenen Haltung dasteht, als andere Classen der Bevölkerung, das erklärt sich theils aus seiner Beschäftigung und äußeren Lage, theils aber auch aus seiner besonderen Na- tur und Gemüthsart.
Im Allgemeinen hängen die Bauern an dem Hergebrach- ten und Alten, wenn sie auch keine Neuerung scheuen, welche ihrem klar erkannten Interesse dient; die Familien vermischen sich nur selten mit solchen aus andern Ständen, und selbst bei einem durch die Umstände gebotenen Wechsel des Besitzes kommt nicht leicht ein fremdes Element in ihre Reihen. Da- her hat sich, wie auch die äußern Verhältnisse sonst verändert seyn mögen, gerade hier noch Vieles von alter Sitte und Art erhalten, dessen Kunde für die richtige Beurtheilung des wirk- lich Bestehenden oft wichtiger ist, als das Studium der posi- tiven Gesetze. Auch wird sich ohne Zweifel aus den neu be- gründeten Verhältnissen unter günstigen Umständen wieder manche eigenthümliche Rechtsbildung entwickeln, sobald für be- sondere Institute ein bestimmtes Bedürfniß vorliegt, und das gemeine Landrecht zu deren Befriedigung nicht ausreicht. Denn es fehlt gerade in diesem Kreise noch am Wenigsten an der natürlichen Kraft und Begabung, durch welche auf dem Wege der unbewußten Entwicklung das Angemessene und Billige zur bindenden Norm umgewandelt wird.
Siebentes Kapitel.
beſtehenden Ueberreſte ſchon veralteter Zuſtaͤnde einer neuen Rechtsbildung weichen muͤſſen. Die Gutsobrigkeit namentlich, inſofern ſie nicht als Dienſtherrſchaft auftritt, und die Patri- monialgerichtsbarkeit werden vor dem herrſchenden Princip des Staates und der freien Gemeinde verſchwinden. Daß aber der Bauernſtand noch immer in einer mehr eigenthuͤmlichen und abgeſchloſſenen Haltung daſteht, als andere Claſſen der Bevoͤlkerung, das erklaͤrt ſich theils aus ſeiner Beſchaͤftigung und aͤußeren Lage, theils aber auch aus ſeiner beſonderen Na- tur und Gemuͤthsart.
Im Allgemeinen haͤngen die Bauern an dem Hergebrach- ten und Alten, wenn ſie auch keine Neuerung ſcheuen, welche ihrem klar erkannten Intereſſe dient; die Familien vermiſchen ſich nur ſelten mit ſolchen aus andern Staͤnden, und ſelbſt bei einem durch die Umſtaͤnde gebotenen Wechſel des Beſitzes kommt nicht leicht ein fremdes Element in ihre Reihen. Da- her hat ſich, wie auch die aͤußern Verhaͤltniſſe ſonſt veraͤndert ſeyn moͤgen, gerade hier noch Vieles von alter Sitte und Art erhalten, deſſen Kunde fuͤr die richtige Beurtheilung des wirk- lich Beſtehenden oft wichtiger iſt, als das Studium der poſi- tiven Geſetze. Auch wird ſich ohne Zweifel aus den neu be- gruͤndeten Verhaͤltniſſen unter guͤnſtigen Umſtaͤnden wieder manche eigenthuͤmliche Rechtsbildung entwickeln, ſobald fuͤr be- ſondere Inſtitute ein beſtimmtes Beduͤrfniß vorliegt, und das gemeine Landrecht zu deren Befriedigung nicht ausreicht. Denn es fehlt gerade in dieſem Kreiſe noch am Wenigſten an der natuͤrlichen Kraft und Begabung, durch welche auf dem Wege der unbewußten Entwicklung das Angemeſſene und Billige zur bindenden Norm umgewandelt wird.
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Siebentes Kapitel.
beſtehenden Ueberreſte ſchon veralteter Zuſtaͤnde einer neuen
Rechtsbildung weichen muͤſſen. Die Gutsobrigkeit namentlich,
inſofern ſie nicht als Dienſtherrſchaft auftritt, und die Patri-
monialgerichtsbarkeit werden vor dem herrſchenden Princip
des Staates und der freien Gemeinde verſchwinden. Daß aber
der Bauernſtand noch immer in einer mehr eigenthuͤmlichen
und abgeſchloſſenen Haltung daſteht, als andere Claſſen der
Bevoͤlkerung, das erklaͤrt ſich theils aus ſeiner Beſchaͤftigung
und aͤußeren Lage, theils aber auch aus ſeiner beſonderen Na-
tur und Gemuͤthsart.
Im Allgemeinen haͤngen die Bauern an dem Hergebrach-
ten und Alten, wenn ſie auch keine Neuerung ſcheuen, welche
ihrem klar erkannten Intereſſe dient; die Familien vermiſchen
ſich nur ſelten mit ſolchen aus andern Staͤnden, und ſelbſt
bei einem durch die Umſtaͤnde gebotenen Wechſel des Beſitzes
kommt nicht leicht ein fremdes Element in ihre Reihen. Da-
her hat ſich, wie auch die aͤußern Verhaͤltniſſe ſonſt veraͤndert
ſeyn moͤgen, gerade hier noch Vieles von alter Sitte und Art
erhalten, deſſen Kunde fuͤr die richtige Beurtheilung des wirk-
lich Beſtehenden oft wichtiger iſt, als das Studium der poſi-
tiven Geſetze. Auch wird ſich ohne Zweifel aus den neu be-
gruͤndeten Verhaͤltniſſen unter guͤnſtigen Umſtaͤnden wieder
manche eigenthuͤmliche Rechtsbildung entwickeln, ſobald fuͤr be-
ſondere Inſtitute ein beſtimmtes Beduͤrfniß vorliegt, und das
gemeine Landrecht zu deren Befriedigung nicht ausreicht. Denn
es fehlt gerade in dieſem Kreiſe noch am Wenigſten an der
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/230>, abgerufen am 16.07.2024.
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