Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Kapitel.
Deduction zu benutzen und für besondere Fälle in die rechte
Beziehung zu den positiven Gesetzen und zu allgemeinen Rechts-
grundsätzen zu bringen hat. Damit ist aber nicht gesagt, daß
das Handelsrecht ein durchaus anomalisches Recht sey. Es
zeigen sich hier vielmehr Principien von einer ganz selbständi-
gen Bedeutung wirksam, welche nur deswegen eine beschränk-
tere Geltung haben, weil an dem Verkehr, worauf sie sich be-
ziehen, nicht die ganze Bevölkerung Theil nimmt. Doch be-
schränkt sich derselbe auch nicht ausschließlich auf die Kauf-
leute. Es ist schon bemerkt worden, daß manche Institute
des Handelsrechts auch für die Fabrikanten von Wichtigkeit
sind; der Gutsbesitzer, welcher seine Producte absetzt, wird
gleichfalls in diesen Kreis hineingezogen, wenn auch schon der
Umstand, daß er keine kaufmännische Buchführung hat, für
ihn wesentliche Modificationen nöthig macht; das Seerecht er-
faßt in wichtigen Beziehungen auch den Schiffer und das
Schiffsvolk; in manchen Gegenden an der Seeküste sind die
Landleute ihre eigenen Rheder und Commissionäre, und trei-
ben, wenn auch meistens nur im Kleinen, Handelsgeschäfte
mit ihren Producten; am Wechselgeschäft nimmt, wenn auch
in beschränkter Weise, täglich eine große Zahl von Personen
aus allen Classen Antheil, und der Capitalist endlich kann als
stiller Gesellschafter oder als Inhaber von Actien und Schiffs-
parten ohne alle Kunde der kaufmännischen Geschäfte doch da-
bei betheiligt seyn. Betrachtet man die Sache unter diesem
Gesichtspuncte, so braucht man es nicht für eine Inconsequenz
der französischen Gesetzgebung zu halten, wenn sie, obgleich
allem Ständeunterschiede feindlich, doch das Handelsrecht und
die Handelsgerichte in ihrer selbständigen Geltung anerkannt

Siebentes Kapitel.
Deduction zu benutzen und fuͤr beſondere Faͤlle in die rechte
Beziehung zu den poſitiven Geſetzen und zu allgemeinen Rechts-
grundſaͤtzen zu bringen hat. Damit iſt aber nicht geſagt, daß
das Handelsrecht ein durchaus anomaliſches Recht ſey. Es
zeigen ſich hier vielmehr Principien von einer ganz ſelbſtaͤndi-
gen Bedeutung wirkſam, welche nur deswegen eine beſchraͤnk-
tere Geltung haben, weil an dem Verkehr, worauf ſie ſich be-
ziehen, nicht die ganze Bevoͤlkerung Theil nimmt. Doch be-
ſchraͤnkt ſich derſelbe auch nicht ausſchließlich auf die Kauf-
leute. Es iſt ſchon bemerkt worden, daß manche Inſtitute
des Handelsrechts auch fuͤr die Fabrikanten von Wichtigkeit
ſind; der Gutsbeſitzer, welcher ſeine Producte abſetzt, wird
gleichfalls in dieſen Kreis hineingezogen, wenn auch ſchon der
Umſtand, daß er keine kaufmaͤnniſche Buchfuͤhrung hat, fuͤr
ihn weſentliche Modificationen noͤthig macht; das Seerecht er-
faßt in wichtigen Beziehungen auch den Schiffer und das
Schiffsvolk; in manchen Gegenden an der Seekuͤſte ſind die
Landleute ihre eigenen Rheder und Commiſſionaͤre, und trei-
ben, wenn auch meiſtens nur im Kleinen, Handelsgeſchaͤfte
mit ihren Producten; am Wechſelgeſchaͤft nimmt, wenn auch
in beſchraͤnkter Weiſe, taͤglich eine große Zahl von Perſonen
aus allen Claſſen Antheil, und der Capitaliſt endlich kann als
ſtiller Geſellſchafter oder als Inhaber von Actien und Schiffs-
parten ohne alle Kunde der kaufmaͤnniſchen Geſchaͤfte doch da-
bei betheiligt ſeyn. Betrachtet man die Sache unter dieſem
Geſichtspuncte, ſo braucht man es nicht fuͤr eine Inconſequenz
der franzoͤſiſchen Geſetzgebung zu halten, wenn ſie, obgleich
allem Staͤndeunterſchiede feindlich, doch das Handelsrecht und
die Handelsgerichte in ihrer ſelbſtaͤndigen Geltung anerkannt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0238" n="226"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebentes Kapitel</hi>.</fw><lb/>
Deduction zu benutzen und fu&#x0364;r be&#x017F;ondere Fa&#x0364;lle in die rechte<lb/>
Beziehung zu den po&#x017F;itiven Ge&#x017F;etzen und zu allgemeinen Rechts-<lb/>
grund&#x017F;a&#x0364;tzen zu bringen hat. Damit i&#x017F;t aber nicht ge&#x017F;agt, daß<lb/>
das Handelsrecht ein durchaus anomali&#x017F;ches Recht &#x017F;ey. Es<lb/>
zeigen &#x017F;ich hier vielmehr Principien von einer ganz &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen Bedeutung wirk&#x017F;am, welche nur deswegen eine be&#x017F;chra&#x0364;nk-<lb/>
tere Geltung haben, weil an dem Verkehr, worauf &#x017F;ie &#x017F;ich be-<lb/>
ziehen, nicht die ganze Bevo&#x0364;lkerung Theil nimmt. Doch be-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkt &#x017F;ich der&#x017F;elbe auch nicht aus&#x017F;chließlich auf die Kauf-<lb/>
leute. Es i&#x017F;t &#x017F;chon bemerkt worden, daß manche In&#x017F;titute<lb/>
des Handelsrechts auch fu&#x0364;r die Fabrikanten von Wichtigkeit<lb/>
&#x017F;ind; der Gutsbe&#x017F;itzer, welcher &#x017F;eine Producte ab&#x017F;etzt, wird<lb/>
gleichfalls in die&#x017F;en Kreis hineingezogen, wenn auch &#x017F;chon der<lb/>
Um&#x017F;tand, daß er keine kaufma&#x0364;nni&#x017F;che Buchfu&#x0364;hrung hat, fu&#x0364;r<lb/>
ihn we&#x017F;entliche Modificationen no&#x0364;thig macht; das Seerecht er-<lb/>
faßt in wichtigen Beziehungen auch den Schiffer und das<lb/>
Schiffsvolk; in manchen Gegenden an der Seeku&#x0364;&#x017F;te &#x017F;ind die<lb/>
Landleute ihre eigenen Rheder und Commi&#x017F;&#x017F;iona&#x0364;re, und trei-<lb/>
ben, wenn auch mei&#x017F;tens nur im Kleinen, Handelsge&#x017F;cha&#x0364;fte<lb/>
mit ihren Producten; am Wech&#x017F;elge&#x017F;cha&#x0364;ft nimmt, wenn auch<lb/>
in be&#x017F;chra&#x0364;nkter Wei&#x017F;e, ta&#x0364;glich eine große Zahl von Per&#x017F;onen<lb/>
aus allen Cla&#x017F;&#x017F;en Antheil, und der Capitali&#x017F;t endlich kann als<lb/>
&#x017F;tiller Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter oder als Inhaber von Actien und Schiffs-<lb/>
parten ohne alle Kunde der kaufma&#x0364;nni&#x017F;chen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte doch da-<lb/>
bei betheiligt &#x017F;eyn. Betrachtet man die Sache unter die&#x017F;em<lb/>
Ge&#x017F;ichtspuncte, &#x017F;o braucht man es nicht fu&#x0364;r eine Incon&#x017F;equenz<lb/>
der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung zu halten, wenn &#x017F;ie, obgleich<lb/>
allem Sta&#x0364;ndeunter&#x017F;chiede feindlich, doch das Handelsrecht und<lb/>
die Handelsgerichte in ihrer &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndigen Geltung anerkannt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0238] Siebentes Kapitel. Deduction zu benutzen und fuͤr beſondere Faͤlle in die rechte Beziehung zu den poſitiven Geſetzen und zu allgemeinen Rechts- grundſaͤtzen zu bringen hat. Damit iſt aber nicht geſagt, daß das Handelsrecht ein durchaus anomaliſches Recht ſey. Es zeigen ſich hier vielmehr Principien von einer ganz ſelbſtaͤndi- gen Bedeutung wirkſam, welche nur deswegen eine beſchraͤnk- tere Geltung haben, weil an dem Verkehr, worauf ſie ſich be- ziehen, nicht die ganze Bevoͤlkerung Theil nimmt. Doch be- ſchraͤnkt ſich derſelbe auch nicht ausſchließlich auf die Kauf- leute. Es iſt ſchon bemerkt worden, daß manche Inſtitute des Handelsrechts auch fuͤr die Fabrikanten von Wichtigkeit ſind; der Gutsbeſitzer, welcher ſeine Producte abſetzt, wird gleichfalls in dieſen Kreis hineingezogen, wenn auch ſchon der Umſtand, daß er keine kaufmaͤnniſche Buchfuͤhrung hat, fuͤr ihn weſentliche Modificationen noͤthig macht; das Seerecht er- faßt in wichtigen Beziehungen auch den Schiffer und das Schiffsvolk; in manchen Gegenden an der Seekuͤſte ſind die Landleute ihre eigenen Rheder und Commiſſionaͤre, und trei- ben, wenn auch meiſtens nur im Kleinen, Handelsgeſchaͤfte mit ihren Producten; am Wechſelgeſchaͤft nimmt, wenn auch in beſchraͤnkter Weiſe, taͤglich eine große Zahl von Perſonen aus allen Claſſen Antheil, und der Capitaliſt endlich kann als ſtiller Geſellſchafter oder als Inhaber von Actien und Schiffs- parten ohne alle Kunde der kaufmaͤnniſchen Geſchaͤfte doch da- bei betheiligt ſeyn. Betrachtet man die Sache unter dieſem Geſichtspuncte, ſo braucht man es nicht fuͤr eine Inconſequenz der franzoͤſiſchen Geſetzgebung zu halten, wenn ſie, obgleich allem Staͤndeunterſchiede feindlich, doch das Handelsrecht und die Handelsgerichte in ihrer ſelbſtaͤndigen Geltung anerkannt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/238
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/238>, abgerufen am 23.11.2024.