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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Neuntes Kapitel.
richte; denn das Criminalrecht ist seiner Natur nach viel ein-
facher und bestimmter; hier strebt Alles nach festen, positiven
Gesetzen, und wo sie fehlen, da ist eine legislative Abhülfe
dringend nothwendig, mag nun das Volksrecht oder das Ju-
ristenrecht die bestehende Lücke bisher ausgefüllt haben. Die
ausschließliche Besetzung der Criminalgerichte mit Juristen ist
daher auch weniger deswegen anzufechten, weil man bei ihnen
nicht die genügende Kunde des Rechts voraussetzen kann, als
deswegen, weil ihnen die Anwendung desselben nicht unbedingt
überlassen werden darf. So viel aber ist doch mit Grund
zu behaupten: wenn wirklich über die Verbrechen und deren
Bestrafung eine Unsicherheit in den Gesetzen bestehen sollte,
und die Willkühr nur durch das billige Ermessen der Gerichte
eine Grenze erhielte; so würde es im Allgemeinen besser seyn,
daß auch die Volksansicht dabei eine unmittelbare Vertretung
fände, und daß die Ausübung einer so gefährlichen Machtvoll-
kommenheit nicht ausschließlich den Juristen überlassen bliebe.

b. Wenn schon angenommen werden mußte, daß die Ju-
ristengerichte für die practische Rechtskunde nicht ausreichen, so
gilt dieß noch viel mehr für die Anwendung des Rechts, welche
ja die eigentliche Aufgabe der richterlichen Amtsthätigkeit ist.
Gewöhnlich denkt man hierbei an eine bloß logische Schluß-
folgerung, indem die Unterordnung der Thatsache unter die
Rechtsregel das Urtheil hervorrufen soll, und es also nur dar-
auf anzukommen scheint, die Prämissen gehörig festgestellt zu
haben, um mit Sicherheit die Conclusion zu ziehen. Aber
wenn damit auch die Operation im Ganzen richtig bezeichnet
ist, so kommen bei deren Vollziehung doch noch ganz beson-
dere Schwierigkeiten vor, welche namentlich daraus hervorge-
hen, daß sich jus und factum nicht immer auf einem ge-

Neuntes Kapitel.
richte; denn das Criminalrecht iſt ſeiner Natur nach viel ein-
facher und beſtimmter; hier ſtrebt Alles nach feſten, poſitiven
Geſetzen, und wo ſie fehlen, da iſt eine legislative Abhuͤlfe
dringend nothwendig, mag nun das Volksrecht oder das Ju-
riſtenrecht die beſtehende Luͤcke bisher ausgefuͤllt haben. Die
ausſchließliche Beſetzung der Criminalgerichte mit Juriſten iſt
daher auch weniger deswegen anzufechten, weil man bei ihnen
nicht die genuͤgende Kunde des Rechts vorausſetzen kann, als
deswegen, weil ihnen die Anwendung deſſelben nicht unbedingt
uͤberlaſſen werden darf. So viel aber iſt doch mit Grund
zu behaupten: wenn wirklich uͤber die Verbrechen und deren
Beſtrafung eine Unſicherheit in den Geſetzen beſtehen ſollte,
und die Willkuͤhr nur durch das billige Ermeſſen der Gerichte
eine Grenze erhielte; ſo wuͤrde es im Allgemeinen beſſer ſeyn,
daß auch die Volksanſicht dabei eine unmittelbare Vertretung
faͤnde, und daß die Ausuͤbung einer ſo gefaͤhrlichen Machtvoll-
kommenheit nicht ausſchließlich den Juriſten uͤberlaſſen bliebe.

b. Wenn ſchon angenommen werden mußte, daß die Ju-
riſtengerichte fuͤr die practiſche Rechtskunde nicht ausreichen, ſo
gilt dieß noch viel mehr fuͤr die Anwendung des Rechts, welche
ja die eigentliche Aufgabe der richterlichen Amtsthaͤtigkeit iſt.
Gewoͤhnlich denkt man hierbei an eine bloß logiſche Schluß-
folgerung, indem die Unterordnung der Thatſache unter die
Rechtsregel das Urtheil hervorrufen ſoll, und es alſo nur dar-
auf anzukommen ſcheint, die Praͤmiſſen gehoͤrig feſtgeſtellt zu
haben, um mit Sicherheit die Concluſion zu ziehen. Aber
wenn damit auch die Operation im Ganzen richtig bezeichnet
iſt, ſo kommen bei deren Vollziehung doch noch ganz beſon-
dere Schwierigkeiten vor, welche namentlich daraus hervorge-
hen, daß ſich jus und factum nicht immer auf einem ge-

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[260/0272] Neuntes Kapitel. richte; denn das Criminalrecht iſt ſeiner Natur nach viel ein- facher und beſtimmter; hier ſtrebt Alles nach feſten, poſitiven Geſetzen, und wo ſie fehlen, da iſt eine legislative Abhuͤlfe dringend nothwendig, mag nun das Volksrecht oder das Ju- riſtenrecht die beſtehende Luͤcke bisher ausgefuͤllt haben. Die ausſchließliche Beſetzung der Criminalgerichte mit Juriſten iſt daher auch weniger deswegen anzufechten, weil man bei ihnen nicht die genuͤgende Kunde des Rechts vorausſetzen kann, als deswegen, weil ihnen die Anwendung deſſelben nicht unbedingt uͤberlaſſen werden darf. So viel aber iſt doch mit Grund zu behaupten: wenn wirklich uͤber die Verbrechen und deren Beſtrafung eine Unſicherheit in den Geſetzen beſtehen ſollte, und die Willkuͤhr nur durch das billige Ermeſſen der Gerichte eine Grenze erhielte; ſo wuͤrde es im Allgemeinen beſſer ſeyn, daß auch die Volksanſicht dabei eine unmittelbare Vertretung faͤnde, und daß die Ausuͤbung einer ſo gefaͤhrlichen Machtvoll- kommenheit nicht ausſchließlich den Juriſten uͤberlaſſen bliebe. b. Wenn ſchon angenommen werden mußte, daß die Ju- riſtengerichte fuͤr die practiſche Rechtskunde nicht ausreichen, ſo gilt dieß noch viel mehr fuͤr die Anwendung des Rechts, welche ja die eigentliche Aufgabe der richterlichen Amtsthaͤtigkeit iſt. Gewoͤhnlich denkt man hierbei an eine bloß logiſche Schluß- folgerung, indem die Unterordnung der Thatſache unter die Rechtsregel das Urtheil hervorrufen ſoll, und es alſo nur dar- auf anzukommen ſcheint, die Praͤmiſſen gehoͤrig feſtgeſtellt zu haben, um mit Sicherheit die Concluſion zu ziehen. Aber wenn damit auch die Operation im Ganzen richtig bezeichnet iſt, ſo kommen bei deren Vollziehung doch noch ganz beſon- dere Schwierigkeiten vor, welche namentlich daraus hervorge- hen, daß ſich jus und factum nicht immer auf einem ge-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/272>, abgerufen am 22.11.2024.