Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Das Volksrecht und das Gerichtswesen. früher hervorgehobenen Puncte zu erörtern; denn was überhauptgegen die ausschließliche Competenz der Juristengerichte spricht, das wird es auch namentlich bedenklich erscheinen lassen, die Criminalurtheile ganz in ihre Hände zu legen. Fassen wir also die Sache möglichst bestimmt, und stellen es zur Erwä- gung: wer bei der Würdigung eines Anzeigebeweises mehr ge- eignet ist das Wahre zu finden, ob der Jurist oder der Laye. Für jenen läßt sich anführen, daß im Allgemeinen doch Uebung und Studium einen Vorzug in den Geschäften geben, und daß also besondere Gründe vorliegen müßten, wenn es nicht auch hier der Fall seyn sollte. Die Aufgabe des Richters bei der Beurtheilung eines Indicienbeweises hat man sich doch so zu denken, daß er auf den Grund der ihm dargelegten Thatsachen und der ihm bekannt gewordenen Persönlichkeit des Angeschul- digten dessen Verhalten sich psychologisch construiren, und sich daraus über Schuld oder Unschuld eine bestimmte Ueberzeu- gung bilden muß. Der tüchtige Criminalist wird aber eine solche Verstandesoperation mit mehr Sicherheit und Klarheit vornehmen können, als der ungeübte Laye es wenigstens re- gelmäßig zu thun im Stande ist; und wenn man auch dar- auf ein besonderes Gewicht legen will, daß der unbefangene Sinn in Folge der lebendigen Anschauung und des schlichten Rechtsgefühls sehr oft das Rechte trifft, ohne eine systematische Reflexion über die einzelnen Momente, auf welche es ankommt, und über deren inneren Zusammenhang anzustellen; so läßt sich doch nicht absehen, wie die Gründlichkeit dieser Reflexion, die, weil sie eben das Nachdenken vor dem Schluß ist, nie ganz fehlen kann, der Wahrheit nicht nützen sollte. Diejeni- gen, welche dem Juristen diesen Vorzug nicht einräumen wol- len, ja ihm die gewöhnliche Fähigkeit zur Beurtheilung eines Das Volksrecht und das Gerichtsweſen. fruͤher hervorgehobenen Puncte zu eroͤrtern; denn was uͤberhauptgegen die ausſchließliche Competenz der Juriſtengerichte ſpricht, das wird es auch namentlich bedenklich erſcheinen laſſen, die Criminalurtheile ganz in ihre Haͤnde zu legen. Faſſen wir alſo die Sache moͤglichſt beſtimmt, und ſtellen es zur Erwaͤ- gung: wer bei der Wuͤrdigung eines Anzeigebeweiſes mehr ge- eignet iſt das Wahre zu finden, ob der Juriſt oder der Laye. Fuͤr jenen laͤßt ſich anfuͤhren, daß im Allgemeinen doch Uebung und Studium einen Vorzug in den Geſchaͤften geben, und daß alſo beſondere Gruͤnde vorliegen muͤßten, wenn es nicht auch hier der Fall ſeyn ſollte. Die Aufgabe des Richters bei der Beurtheilung eines Indicienbeweiſes hat man ſich doch ſo zu denken, daß er auf den Grund der ihm dargelegten Thatſachen und der ihm bekannt gewordenen Perſoͤnlichkeit des Angeſchul- digten deſſen Verhalten ſich pſychologiſch conſtruiren, und ſich daraus uͤber Schuld oder Unſchuld eine beſtimmte Ueberzeu- gung bilden muß. Der tuͤchtige Criminaliſt wird aber eine ſolche Verſtandesoperation mit mehr Sicherheit und Klarheit vornehmen koͤnnen, als der ungeuͤbte Laye es wenigſtens re- gelmaͤßig zu thun im Stande iſt; und wenn man auch dar- auf ein beſonderes Gewicht legen will, daß der unbefangene Sinn in Folge der lebendigen Anſchauung und des ſchlichten Rechtsgefuͤhls ſehr oft das Rechte trifft, ohne eine ſyſtematiſche Reflexion uͤber die einzelnen Momente, auf welche es ankommt, und uͤber deren inneren Zuſammenhang anzuſtellen; ſo laͤßt ſich doch nicht abſehen, wie die Gruͤndlichkeit dieſer Reflexion, die, weil ſie eben das Nachdenken vor dem Schluß iſt, nie ganz fehlen kann, der Wahrheit nicht nuͤtzen ſollte. Diejeni- gen, welche dem Juriſten dieſen Vorzug nicht einraͤumen wol- len, ja ihm die gewoͤhnliche Faͤhigkeit zur Beurtheilung eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0275" n="263"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Volksrecht und das Gerichtsweſen</hi>.</fw><lb/> fruͤher hervorgehobenen Puncte zu eroͤrtern; denn was uͤberhaupt<lb/> gegen die ausſchließliche Competenz der Juriſtengerichte ſpricht,<lb/> das wird es auch namentlich bedenklich erſcheinen laſſen, die<lb/> Criminalurtheile ganz in ihre Haͤnde zu legen. Faſſen wir<lb/> alſo die Sache moͤglichſt beſtimmt, und ſtellen es zur Erwaͤ-<lb/> gung: wer bei der Wuͤrdigung eines Anzeigebeweiſes mehr ge-<lb/> eignet iſt das Wahre zu finden, ob der Juriſt oder der Laye.<lb/> Fuͤr jenen laͤßt ſich anfuͤhren, daß im Allgemeinen doch Uebung<lb/> und Studium einen Vorzug in den Geſchaͤften geben, und daß<lb/> alſo beſondere Gruͤnde vorliegen muͤßten, wenn es nicht auch<lb/> hier der Fall ſeyn ſollte. Die Aufgabe des Richters bei der<lb/> Beurtheilung eines Indicienbeweiſes hat man ſich doch ſo zu<lb/> denken, daß er auf den Grund der ihm dargelegten Thatſachen<lb/> und der ihm bekannt gewordenen Perſoͤnlichkeit des Angeſchul-<lb/> digten deſſen Verhalten ſich pſychologiſch conſtruiren, und ſich<lb/> daraus uͤber Schuld oder Unſchuld eine beſtimmte Ueberzeu-<lb/> gung bilden muß. Der tuͤchtige Criminaliſt wird aber eine<lb/> ſolche Verſtandesoperation mit mehr Sicherheit und Klarheit<lb/> vornehmen koͤnnen, als der ungeuͤbte Laye es wenigſtens re-<lb/> gelmaͤßig zu thun im Stande iſt; und wenn man auch dar-<lb/> auf ein beſonderes Gewicht legen will, daß der unbefangene<lb/> Sinn in Folge der lebendigen Anſchauung und des ſchlichten<lb/> Rechtsgefuͤhls ſehr oft das Rechte trifft, ohne eine ſyſtematiſche<lb/> Reflexion uͤber die einzelnen Momente, auf welche es ankommt,<lb/> und uͤber deren inneren Zuſammenhang anzuſtellen; ſo laͤßt<lb/> ſich doch nicht abſehen, wie die Gruͤndlichkeit dieſer Reflexion,<lb/> die, weil ſie eben das Nachdenken vor dem Schluß iſt, nie<lb/> ganz fehlen kann, der Wahrheit nicht nuͤtzen ſollte. Diejeni-<lb/> gen, welche dem Juriſten dieſen Vorzug nicht einraͤumen wol-<lb/> len, ja ihm die gewoͤhnliche Faͤhigkeit zur Beurtheilung eines<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [263/0275]
Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
fruͤher hervorgehobenen Puncte zu eroͤrtern; denn was uͤberhaupt
gegen die ausſchließliche Competenz der Juriſtengerichte ſpricht,
das wird es auch namentlich bedenklich erſcheinen laſſen, die
Criminalurtheile ganz in ihre Haͤnde zu legen. Faſſen wir
alſo die Sache moͤglichſt beſtimmt, und ſtellen es zur Erwaͤ-
gung: wer bei der Wuͤrdigung eines Anzeigebeweiſes mehr ge-
eignet iſt das Wahre zu finden, ob der Juriſt oder der Laye.
Fuͤr jenen laͤßt ſich anfuͤhren, daß im Allgemeinen doch Uebung
und Studium einen Vorzug in den Geſchaͤften geben, und daß
alſo beſondere Gruͤnde vorliegen muͤßten, wenn es nicht auch
hier der Fall ſeyn ſollte. Die Aufgabe des Richters bei der
Beurtheilung eines Indicienbeweiſes hat man ſich doch ſo zu
denken, daß er auf den Grund der ihm dargelegten Thatſachen
und der ihm bekannt gewordenen Perſoͤnlichkeit des Angeſchul-
digten deſſen Verhalten ſich pſychologiſch conſtruiren, und ſich
daraus uͤber Schuld oder Unſchuld eine beſtimmte Ueberzeu-
gung bilden muß. Der tuͤchtige Criminaliſt wird aber eine
ſolche Verſtandesoperation mit mehr Sicherheit und Klarheit
vornehmen koͤnnen, als der ungeuͤbte Laye es wenigſtens re-
gelmaͤßig zu thun im Stande iſt; und wenn man auch dar-
auf ein beſonderes Gewicht legen will, daß der unbefangene
Sinn in Folge der lebendigen Anſchauung und des ſchlichten
Rechtsgefuͤhls ſehr oft das Rechte trifft, ohne eine ſyſtematiſche
Reflexion uͤber die einzelnen Momente, auf welche es ankommt,
und uͤber deren inneren Zuſammenhang anzuſtellen; ſo laͤßt
ſich doch nicht abſehen, wie die Gruͤndlichkeit dieſer Reflexion,
die, weil ſie eben das Nachdenken vor dem Schluß iſt, nie
ganz fehlen kann, der Wahrheit nicht nuͤtzen ſollte. Diejeni-
gen, welche dem Juriſten dieſen Vorzug nicht einraͤumen wol-
len, ja ihm die gewoͤhnliche Faͤhigkeit zur Beurtheilung eines
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |