bracht wird. Eine vollständige, alle Seiten der Frage ins Auge fassende Erörterung derselben wird hier aber nicht beab- sichtigt.
Zuvörderst wird es nicht überflüssig seyn, ausdrücklich zu bemerken, daß das Princip, welches der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen Verfahrens zum Grunde liegt, keinen absoluten Gegensatz zu demjenigen bildet, welches in dem heimlichen, schriftlichen Proceß ausgeprägt ist. Mit der Schriftlichkeit der Verhandlungen läßt sich freilich keine wahre Oeffentlichkeit verbinden, da die Bekanntmachung aller Acten- stücke durch die Presse, wenn auch an und für sich möglich, doch vernünftiger Weise nie als Regel verlangt werden kann, und auch nur eine höchst unvollkommene Aushülfe seyn würde. Dagegen läßt es sich allerdings denken, daß eine mündliche Verhandlung statt fände, ohne daß die Oeffentlichkeit derselben sich weiter als auf die dabei durchaus nothwendigen Personen erstreckte. Aber auch wenn man den Gegensatz zwischen bei- den Formen des gerichtlichen Verfahrens so auffaßt, wie er sich thatsächlich darstellt, und nur die Oeffentlichkeit und Münd- lichkeit in ihrer vereinigten Durchführung als diejenige Einrich- tung anerkennt, um welche der Kampf geführt wird; so läßt sich doch nicht in Abrede nehmen, daß eine gewisse Beimischung des heimlich-schriftlichen Processes nicht nur möglich ist, son- dern auch nicht ganz entbehrt werden kann. Selbst im Civil- proceß wird man Bedenken tragen, die Berathung und Ab- stimmung des Gerichts vor dem Publicum geschehen zu lassen, und wenn im Criminalproceß der Hauptverhandlung auch nur eine vorläufige Untersuchung zur Ermittlung der Schuld vor- hergeht, sey es um ein Geständniß zu erlangen oder um Indi- cien zu sammeln, so wird die volle Publicität dabei nicht wohl
Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
bracht wird. Eine vollſtaͤndige, alle Seiten der Frage ins Auge faſſende Eroͤrterung derſelben wird hier aber nicht beab- ſichtigt.
Zuvoͤrderſt wird es nicht uͤberfluͤſſig ſeyn, ausdruͤcklich zu bemerken, daß das Princip, welches der Oeffentlichkeit und Muͤndlichkeit des gerichtlichen Verfahrens zum Grunde liegt, keinen abſoluten Gegenſatz zu demjenigen bildet, welches in dem heimlichen, ſchriftlichen Proceß ausgepraͤgt iſt. Mit der Schriftlichkeit der Verhandlungen laͤßt ſich freilich keine wahre Oeffentlichkeit verbinden, da die Bekanntmachung aller Acten- ſtuͤcke durch die Preſſe, wenn auch an und fuͤr ſich moͤglich, doch vernuͤnftiger Weiſe nie als Regel verlangt werden kann, und auch nur eine hoͤchſt unvollkommene Aushuͤlfe ſeyn wuͤrde. Dagegen laͤßt es ſich allerdings denken, daß eine muͤndliche Verhandlung ſtatt faͤnde, ohne daß die Oeffentlichkeit derſelben ſich weiter als auf die dabei durchaus nothwendigen Perſonen erſtreckte. Aber auch wenn man den Gegenſatz zwiſchen bei- den Formen des gerichtlichen Verfahrens ſo auffaßt, wie er ſich thatſaͤchlich darſtellt, und nur die Oeffentlichkeit und Muͤnd- lichkeit in ihrer vereinigten Durchfuͤhrung als diejenige Einrich- tung anerkennt, um welche der Kampf gefuͤhrt wird; ſo laͤßt ſich doch nicht in Abrede nehmen, daß eine gewiſſe Beimiſchung des heimlich-ſchriftlichen Proceſſes nicht nur moͤglich iſt, ſon- dern auch nicht ganz entbehrt werden kann. Selbſt im Civil- proceß wird man Bedenken tragen, die Berathung und Ab- ſtimmung des Gerichts vor dem Publicum geſchehen zu laſſen, und wenn im Criminalproceß der Hauptverhandlung auch nur eine vorlaͤufige Unterſuchung zur Ermittlung der Schuld vor- hergeht, ſey es um ein Geſtaͤndniß zu erlangen oder um Indi- cien zu ſammeln, ſo wird die volle Publicitaͤt dabei nicht wohl
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Das Volksrecht und das Gerichtsweſen.
bracht wird. Eine vollſtaͤndige, alle Seiten der Frage ins
Auge faſſende Eroͤrterung derſelben wird hier aber nicht beab-
ſichtigt.
Zuvoͤrderſt wird es nicht uͤberfluͤſſig ſeyn, ausdruͤcklich zu
bemerken, daß das Princip, welches der Oeffentlichkeit und
Muͤndlichkeit des gerichtlichen Verfahrens zum Grunde liegt,
keinen abſoluten Gegenſatz zu demjenigen bildet, welches in
dem heimlichen, ſchriftlichen Proceß ausgepraͤgt iſt. Mit der
Schriftlichkeit der Verhandlungen laͤßt ſich freilich keine wahre
Oeffentlichkeit verbinden, da die Bekanntmachung aller Acten-
ſtuͤcke durch die Preſſe, wenn auch an und fuͤr ſich moͤglich,
doch vernuͤnftiger Weiſe nie als Regel verlangt werden kann,
und auch nur eine hoͤchſt unvollkommene Aushuͤlfe ſeyn wuͤrde.
Dagegen laͤßt es ſich allerdings denken, daß eine muͤndliche
Verhandlung ſtatt faͤnde, ohne daß die Oeffentlichkeit derſelben
ſich weiter als auf die dabei durchaus nothwendigen Perſonen
erſtreckte. Aber auch wenn man den Gegenſatz zwiſchen bei-
den Formen des gerichtlichen Verfahrens ſo auffaßt, wie er ſich
thatſaͤchlich darſtellt, und nur die Oeffentlichkeit und Muͤnd-
lichkeit in ihrer vereinigten Durchfuͤhrung als diejenige Einrich-
tung anerkennt, um welche der Kampf gefuͤhrt wird; ſo laͤßt
ſich doch nicht in Abrede nehmen, daß eine gewiſſe Beimiſchung
des heimlich-ſchriftlichen Proceſſes nicht nur moͤglich iſt, ſon-
dern auch nicht ganz entbehrt werden kann. Selbſt im Civil-
proceß wird man Bedenken tragen, die Berathung und Ab-
ſtimmung des Gerichts vor dem Publicum geſchehen zu laſſen,
und wenn im Criminalproceß der Hauptverhandlung auch nur
eine vorlaͤufige Unterſuchung zur Ermittlung der Schuld vor-
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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