Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Werth des Juristenrechts.
nen festen Standpunct, der ihnen die Sicherheit giebt, auch
über die bloße Rechtskunde hinaus zu gehen, und in selbständi-
ger Entwicklung aus der Natur der Rechtsverhältnisse neue
Normen, ein Juristenrecht zu schaffen. Aber es ist, als ob aus
der Beschäftigung mit den Rechtsquellen einer besseren Zeit
auch deren Geist auf die Juristen übergeht; sie sind die be-
währtesten Charaktere jener Periode des allgemeinen Verfalls,
und mit einer Geschäftskunde, wie nur ihr Aufenthalt in der
Hauptstadt der Welt, mitten im Verkehr des Lebens unter
großartigen Verhältnissen sie geben kann, verbinden sie eine
Meisterschaft in der juristischen Methode, welche noch jetzt Be-
wunderung erregt. So bildet sich unter ihren Händen das
römische Privatrecht zu einer seltenen Vollendung aus; wie
früher der Prätor, und in einem noch weiteren Umfange, wie
er, sind sie ein Organ des Volksrechts, so weit es unter den
gegebenen Zuständen überhaupt noch möglich ist, und nicht mit
den positiven Satzungen eines despotischen Regiments in Col-
lision kommt. Aber bei dem allgemeinen Ruin kann sich auch
der Juristenstand, dem eine breite, volksthümliche Basis fehlt,
auf die Dauer nicht auf seiner Höhe erhalten. Die Schwur-
gerichte gehen ein; die Rechtspflege kommt ausschließlich an
die Beamten; kaiserliche Constitutionen werden die einzige
Rechtsquelle; die juristische Kunst, selbst die Herrschaft über
den positiven Rechtsstoff geht verloren, und nur unter Ju-
stinian gelingt es noch einmal, so weit das byzantinische We-
sen es gestattet, -- wenn auch nicht die Kraft der früheren
Jurisprudenz wieder zu erwecken, so doch formell die wichtig-
sten Resultate derselben mit dem übrigen positiven Rechte zu-
sammen zu stellen, nach dem damaligen Bedürfnisse zu verar-
beiten und in eine gewisse Einheit und Harmonie zu bringen.


Werth des Juriſtenrechts.
nen feſten Standpunct, der ihnen die Sicherheit giebt, auch
uͤber die bloße Rechtskunde hinaus zu gehen, und in ſelbſtaͤndi-
ger Entwicklung aus der Natur der Rechtsverhaͤltniſſe neue
Normen, ein Juriſtenrecht zu ſchaffen. Aber es iſt, als ob aus
der Beſchaͤftigung mit den Rechtsquellen einer beſſeren Zeit
auch deren Geiſt auf die Juriſten uͤbergeht; ſie ſind die be-
waͤhrteſten Charaktere jener Periode des allgemeinen Verfalls,
und mit einer Geſchaͤftskunde, wie nur ihr Aufenthalt in der
Hauptſtadt der Welt, mitten im Verkehr des Lebens unter
großartigen Verhaͤltniſſen ſie geben kann, verbinden ſie eine
Meiſterſchaft in der juriſtiſchen Methode, welche noch jetzt Be-
wunderung erregt. So bildet ſich unter ihren Haͤnden das
roͤmiſche Privatrecht zu einer ſeltenen Vollendung aus; wie
fruͤher der Praͤtor, und in einem noch weiteren Umfange, wie
er, ſind ſie ein Organ des Volksrechts, ſo weit es unter den
gegebenen Zuſtaͤnden uͤberhaupt noch moͤglich iſt, und nicht mit
den poſitiven Satzungen eines despotiſchen Regiments in Col-
liſion kommt. Aber bei dem allgemeinen Ruin kann ſich auch
der Juriſtenſtand, dem eine breite, volksthuͤmliche Baſis fehlt,
auf die Dauer nicht auf ſeiner Hoͤhe erhalten. Die Schwur-
gerichte gehen ein; die Rechtspflege kommt ausſchließlich an
die Beamten; kaiſerliche Conſtitutionen werden die einzige
Rechtsquelle; die juriſtiſche Kunſt, ſelbſt die Herrſchaft uͤber
den poſitiven Rechtsſtoff geht verloren, und nur unter Ju-
ſtinian gelingt es noch einmal, ſo weit das byzantiniſche We-
ſen es geſtattet, — wenn auch nicht die Kraft der fruͤheren
Jurisprudenz wieder zu erwecken, ſo doch formell die wichtig-
ſten Reſultate derſelben mit dem uͤbrigen poſitiven Rechte zu-
ſammen zu ſtellen, nach dem damaligen Beduͤrfniſſe zu verar-
beiten und in eine gewiſſe Einheit und Harmonie zu bringen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0361" n="349"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Werth des Juri&#x017F;tenrechts</hi>.</fw><lb/>
nen fe&#x017F;ten Standpunct, der ihnen die Sicherheit giebt, auch<lb/>
u&#x0364;ber die bloße Rechtskunde hinaus zu gehen, und in &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
ger Entwicklung aus der Natur der Rechtsverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e neue<lb/>
Normen, ein Juri&#x017F;tenrecht zu &#x017F;chaffen. Aber es i&#x017F;t, als ob aus<lb/>
der Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung mit den Rechtsquellen einer be&#x017F;&#x017F;eren Zeit<lb/>
auch deren Gei&#x017F;t auf die Juri&#x017F;ten u&#x0364;bergeht; &#x017F;ie &#x017F;ind die be-<lb/>
wa&#x0364;hrte&#x017F;ten Charaktere jener Periode des allgemeinen Verfalls,<lb/>
und mit einer Ge&#x017F;cha&#x0364;ftskunde, wie nur ihr Aufenthalt in der<lb/>
Haupt&#x017F;tadt der Welt, mitten im Verkehr des Lebens unter<lb/>
großartigen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie geben kann, verbinden &#x017F;ie eine<lb/>
Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft in der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Methode, welche noch jetzt Be-<lb/>
wunderung erregt. So bildet &#x017F;ich unter ihren Ha&#x0364;nden das<lb/>
ro&#x0364;mi&#x017F;che Privatrecht zu einer &#x017F;eltenen Vollendung aus; wie<lb/>
fru&#x0364;her der Pra&#x0364;tor, und in einem noch weiteren Umfange, wie<lb/>
er, &#x017F;ind &#x017F;ie ein Organ des Volksrechts, &#x017F;o weit es unter den<lb/>
gegebenen Zu&#x017F;ta&#x0364;nden u&#x0364;berhaupt noch mo&#x0364;glich i&#x017F;t, und nicht mit<lb/>
den po&#x017F;itiven Satzungen eines despoti&#x017F;chen Regiments in Col-<lb/>
li&#x017F;ion kommt. Aber bei dem allgemeinen Ruin kann &#x017F;ich auch<lb/>
der Juri&#x017F;ten&#x017F;tand, dem eine breite, volksthu&#x0364;mliche Ba&#x017F;is fehlt,<lb/>
auf die Dauer nicht auf &#x017F;einer Ho&#x0364;he erhalten. Die Schwur-<lb/>
gerichte gehen ein; die Rechtspflege kommt aus&#x017F;chließlich an<lb/>
die Beamten; kai&#x017F;erliche Con&#x017F;titutionen werden die einzige<lb/>
Rechtsquelle; die juri&#x017F;ti&#x017F;che Kun&#x017F;t, &#x017F;elb&#x017F;t die Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber<lb/>
den po&#x017F;itiven Rechts&#x017F;toff geht verloren, und nur unter Ju-<lb/>
&#x017F;tinian gelingt es noch einmal, &#x017F;o weit das byzantini&#x017F;che We-<lb/>
&#x017F;en es ge&#x017F;tattet, &#x2014; wenn auch nicht die Kraft der fru&#x0364;heren<lb/>
Jurisprudenz wieder zu erwecken, &#x017F;o doch formell die wichtig-<lb/>
&#x017F;ten Re&#x017F;ultate der&#x017F;elben mit dem u&#x0364;brigen po&#x017F;itiven Rechte zu-<lb/>
&#x017F;ammen zu &#x017F;tellen, nach dem damaligen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e zu verar-<lb/>
beiten und in eine gewi&#x017F;&#x017F;e Einheit und Harmonie zu bringen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0361] Werth des Juriſtenrechts. nen feſten Standpunct, der ihnen die Sicherheit giebt, auch uͤber die bloße Rechtskunde hinaus zu gehen, und in ſelbſtaͤndi- ger Entwicklung aus der Natur der Rechtsverhaͤltniſſe neue Normen, ein Juriſtenrecht zu ſchaffen. Aber es iſt, als ob aus der Beſchaͤftigung mit den Rechtsquellen einer beſſeren Zeit auch deren Geiſt auf die Juriſten uͤbergeht; ſie ſind die be- waͤhrteſten Charaktere jener Periode des allgemeinen Verfalls, und mit einer Geſchaͤftskunde, wie nur ihr Aufenthalt in der Hauptſtadt der Welt, mitten im Verkehr des Lebens unter großartigen Verhaͤltniſſen ſie geben kann, verbinden ſie eine Meiſterſchaft in der juriſtiſchen Methode, welche noch jetzt Be- wunderung erregt. So bildet ſich unter ihren Haͤnden das roͤmiſche Privatrecht zu einer ſeltenen Vollendung aus; wie fruͤher der Praͤtor, und in einem noch weiteren Umfange, wie er, ſind ſie ein Organ des Volksrechts, ſo weit es unter den gegebenen Zuſtaͤnden uͤberhaupt noch moͤglich iſt, und nicht mit den poſitiven Satzungen eines despotiſchen Regiments in Col- liſion kommt. Aber bei dem allgemeinen Ruin kann ſich auch der Juriſtenſtand, dem eine breite, volksthuͤmliche Baſis fehlt, auf die Dauer nicht auf ſeiner Hoͤhe erhalten. Die Schwur- gerichte gehen ein; die Rechtspflege kommt ausſchließlich an die Beamten; kaiſerliche Conſtitutionen werden die einzige Rechtsquelle; die juriſtiſche Kunſt, ſelbſt die Herrſchaft uͤber den poſitiven Rechtsſtoff geht verloren, und nur unter Ju- ſtinian gelingt es noch einmal, ſo weit das byzantiniſche We- ſen es geſtattet, — wenn auch nicht die Kraft der fruͤheren Jurisprudenz wieder zu erwecken, ſo doch formell die wichtig- ſten Reſultate derſelben mit dem uͤbrigen poſitiven Rechte zu- ſammen zu ſtellen, nach dem damaligen Beduͤrfniſſe zu verar- beiten und in eine gewiſſe Einheit und Harmonie zu bringen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/361
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/361>, abgerufen am 25.11.2024.