p1b_083.001 Das Schöne enthüllt sich dem Gebildeten 1) im Wechsel der Form p1b_083.002 (Rhythmus), 2) in der Proportionalität (goldner Schnitt), 3) in dem p1b_083.003 die Maße ersetzenden Gewicht.
p1b_083.004 Die Kenntnis der ästhetischen Gesetze muß anerzogen, abstrahiert, geübt p1b_083.005 und gelernt werden. Sie ist nicht angeboren. Die Wissenschaft soll uns lehren p1b_083.006 und bilden. Der Dichter muß die Gesetze des Schönen von andern Dichtern p1b_083.007 gelernt haben, wenn er sie üben soll. Er muß die Ordnung oder das regelnde p1b_083.008 Gesetz erschaut haben, in welchem die Jdee entsteht und erscheint. Dann erst p1b_083.009 kann er die in ihrer reinsten Gesetzmäßigkeit sich zeigende Jdee in der Erscheinung p1b_083.010 (d. i. das Jdeal) erstreben. Wir sind heute im Gegensatz zu einer p1b_083.011 früheren spekulativen Ästhetik so weit, um einzusehen, daß das Sehen und Hören p1b_083.012 nach der physikalischen und physiologischen Seite, das Erfassen von Bewegung, p1b_083.013 Licht, Klang, das erste Fundament für die gesamte ästhetische Thätigkeit abgiebt, und p1b_083.014 daß allein das wissenschaftliche Beobachten zuverlässige Aufschlüsse und Erklärungen p1b_083.015 über unser ästhetisches Auffassen und Urteilen liefert. Das ist ein p1b_083.016 großer Fortschritt und lediglich das Resultat der naturwissenschaftlichen p1b_083.017 Methode in der Ästhetik. Erst seit z. B. der Ton als eine Zusammensetzung p1b_083.018 von Schwingungen aufgefaßt wurde, kann man sich sagen, daß eine p1b_083.019 Vielheit, Verschiedenheit, Mannigfaltigkeit der Schwingungen zum Wohlgefallenp1b_083.020 nötig ist, worin eine zahlenmäßige Einheit liegen muß, die das Ganze durchzieht p1b_083.021 und die Summe der Beobachtungen gewissermaßen als Grundgesetz für p1b_083.022 unser ästhetisches Empfindungsleben erscheinen läßt. Die Vielheit entsteht durch p1b_083.023 Teilung der Einheit (z. B. in der Strophenbildung). Aus der Gruppierung p1b_083.024 der Teile zur Einheit entsteht die Gliederung. Die Grenze liegt im ästhetisch p1b_083.025 gebildeten Gefühl des Einzelnen, wie des bestimmten, ganzen Volks. (Man p1b_083.026 vgl. griechische Kunst mit orientalischer.) Übertriebene Gliederung ist in jeder p1b_083.027 Kunst unschön. Einheit bedingt Ganzheit, also Lückenlosigkeit, Vollständigkeit, p1b_083.028 sowie Freiheit in der Entwicklung der Jdee zum schönen Ausdruck, zur p1b_083.029 Schönheitsform. Jn dieser Beziehung könnte die nach naturwissenschaftlicher p1b_083.030 Methode verfahrende Erkenntnis des Schönen dieses als Freiheit in der p1b_083.031 Erscheinung bezeichnen, welche harmonische Bildung erstrebt und Werke p1b_083.032 hervorruft, von denen man sagen kann: das Schöne ist das harmonisch p1b_083.033 Gebildete.
p1b_083.034 1. Wechsel der Form (Rhythmus).
p1b_083.035 Es ist nicht nötig, daß gleiche Teileinheiten gleichmäßig zusammengesetzt p1b_083.036 sind, vielmehr wirkt Wechsel der Form, bei welchem die vermittelten p1b_083.037 Gegensätze in einander überfließen, wohlgefällig. Wir nennen p1b_083.038 diesen Wechsel Rhythmus.
p1b_083.039 Rhythmus bedeutet für unser Ohr und Auge das durch den Wechsel erzeugte p1b_083.040 Wohlgefallen. Hogarth nennt in dieser Beziehung die Wellenlinie wegen p1b_083.041 des Rhythmus ihrer Bewegung die Schönheitslinie und macht sie zum p1b_083.042 Ausgangspunkt seiner Ästhetik. Wie im Raume, so ist es in der Zeit. Ein p1b_083.043 Wechsel entsteht durch Änderung der Zeitform, also etwa - (Trochäus)
p1b_083.001 Das Schöne enthüllt sich dem Gebildeten 1) im Wechsel der Form p1b_083.002 (Rhythmus), 2) in der Proportionalität (goldner Schnitt), 3) in dem p1b_083.003 die Maße ersetzenden Gewicht.
p1b_083.004 Die Kenntnis der ästhetischen Gesetze muß anerzogen, abstrahiert, geübt p1b_083.005 und gelernt werden. Sie ist nicht angeboren. Die Wissenschaft soll uns lehren p1b_083.006 und bilden. Der Dichter muß die Gesetze des Schönen von andern Dichtern p1b_083.007 gelernt haben, wenn er sie üben soll. Er muß die Ordnung oder das regelnde p1b_083.008 Gesetz erschaut haben, in welchem die Jdee entsteht und erscheint. Dann erst p1b_083.009 kann er die in ihrer reinsten Gesetzmäßigkeit sich zeigende Jdee in der Erscheinung p1b_083.010 (d. i. das Jdeal) erstreben. Wir sind heute im Gegensatz zu einer p1b_083.011 früheren spekulativen Ästhetik so weit, um einzusehen, daß das Sehen und Hören p1b_083.012 nach der physikalischen und physiologischen Seite, das Erfassen von Bewegung, p1b_083.013 Licht, Klang, das erste Fundament für die gesamte ästhetische Thätigkeit abgiebt, und p1b_083.014 daß allein das wissenschaftliche Beobachten zuverlässige Aufschlüsse und Erklärungen p1b_083.015 über unser ästhetisches Auffassen und Urteilen liefert. Das ist ein p1b_083.016 großer Fortschritt und lediglich das Resultat der naturwissenschaftlichen p1b_083.017 Methode in der Ästhetik. Erst seit z. B. der Ton als eine Zusammensetzung p1b_083.018 von Schwingungen aufgefaßt wurde, kann man sich sagen, daß eine p1b_083.019 Vielheit, Verschiedenheit, Mannigfaltigkeit der Schwingungen zum Wohlgefallenp1b_083.020 nötig ist, worin eine zahlenmäßige Einheit liegen muß, die das Ganze durchzieht p1b_083.021 und die Summe der Beobachtungen gewissermaßen als Grundgesetz für p1b_083.022 unser ästhetisches Empfindungsleben erscheinen läßt. Die Vielheit entsteht durch p1b_083.023 Teilung der Einheit (z. B. in der Strophenbildung). Aus der Gruppierung p1b_083.024 der Teile zur Einheit entsteht die Gliederung. Die Grenze liegt im ästhetisch p1b_083.025 gebildeten Gefühl des Einzelnen, wie des bestimmten, ganzen Volks. (Man p1b_083.026 vgl. griechische Kunst mit orientalischer.) Übertriebene Gliederung ist in jeder p1b_083.027 Kunst unschön. Einheit bedingt Ganzheit, also Lückenlosigkeit, Vollständigkeit, p1b_083.028 sowie Freiheit in der Entwicklung der Jdee zum schönen Ausdruck, zur p1b_083.029 Schönheitsform. Jn dieser Beziehung könnte die nach naturwissenschaftlicher p1b_083.030 Methode verfahrende Erkenntnis des Schönen dieses als Freiheit in der p1b_083.031 Erscheinung bezeichnen, welche harmonische Bildung erstrebt und Werke p1b_083.032 hervorruft, von denen man sagen kann: das Schöne ist das harmonisch p1b_083.033 Gebildete.
p1b_083.034 1. Wechsel der Form (Rhythmus).
p1b_083.035 Es ist nicht nötig, daß gleiche Teileinheiten gleichmäßig zusammengesetzt p1b_083.036 sind, vielmehr wirkt Wechsel der Form, bei welchem die vermittelten p1b_083.037 Gegensätze in einander überfließen, wohlgefällig. Wir nennen p1b_083.038 diesen Wechsel Rhythmus.
p1b_083.039 Rhythmus bedeutet für unser Ohr und Auge das durch den Wechsel erzeugte p1b_083.040 Wohlgefallen. Hogarth nennt in dieser Beziehung die Wellenlinie wegen p1b_083.041 des Rhythmus ihrer Bewegung die Schönheitslinie und macht sie zum p1b_083.042 Ausgangspunkt seiner Ästhetik. Wie im Raume, so ist es in der Zeit. Ein p1b_083.043 Wechsel entsteht durch Änderung der Zeitform, also etwa – ∪ (Trochäus)
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Das Schöne enthüllt sich dem Gebildeten 1) im Wechsel der Form p1b_083.002
(Rhythmus), 2) in der Proportionalität (goldner Schnitt), 3) in dem p1b_083.003
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Die Kenntnis der ästhetischen Gesetze muß anerzogen, abstrahiert, geübt p1b_083.005
und gelernt werden. Sie ist nicht angeboren. Die Wissenschaft soll uns lehren p1b_083.006
und bilden. Der Dichter muß die Gesetze des Schönen von andern Dichtern p1b_083.007
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hervorruft, von denen man sagen kann: das Schöne ist das harmonisch p1b_083.033
Gebildete.
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1. Wechsel der Form (Rhythmus).
p1b_083.035
Es ist nicht nötig, daß gleiche Teileinheiten gleichmäßig zusammengesetzt p1b_083.036
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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