Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_567.001 § 174. Die Glosse. p1b_567.002 p1b_567.010 p1b_567.015 Liebe denkt in süßen Tönen, p1b_567.020 Denn Gedanken steh'n zu fern; p1b_567.021 Nur in Tönen mag sie gern p1b_567.022 Alles, was sie will, verschönen. p1b_567.023 p1b_567.030 Die Sprache der Liebe. p1b_567.032Liebe denkt in süßen Tönen, p1b_567.033 p1b_567.036Denn Gedanken steh'n zu fern; p1b_567.034 Nur in Tönen mag sie gern p1b_567.035 Alles, was sie will, verschönen. (Tieck.) p1b_567.037Worte sind nur dumpfe Zeichen, p1b_567.038
Die Gemüter zu entziffern p1b_567.039 Und mit Zügen, Linien, Ziffern, p1b_567.040 Läßt sich Wissenschaft erreichen. p1b_567.041 Doch aus den äther'schen Reichen p1b_567.042 Läßt ein Bild des ew'gen Schönen p1b_567.043 Nieder zu der Erde Söhnen p1b_567.044 Nur in Bild und Ton sich schicken: p1b_567.045 Liebe spricht in hellen Blicken, p1b_567.046 Liebe denkt in süßen Tönen. p1b_567.001 § 174. Die Glosse. p1b_567.002 p1b_567.010 p1b_567.015 Liebe denkt in süßen Tönen, p1b_567.020 Denn Gedanken steh'n zu fern; p1b_567.021 Nur in Tönen mag sie gern p1b_567.022 Alles, was sie will, verschönen. p1b_567.023 p1b_567.030 Die Sprache der Liebe. p1b_567.032Liebe denkt in süßen Tönen, p1b_567.033 p1b_567.036Denn Gedanken steh'n zu fern; p1b_567.034 Nur in Tönen mag sie gern p1b_567.035 Alles, was sie will, verschönen. (Tieck.) p1b_567.037Worte sind nur dumpfe Zeichen, p1b_567.038
Die Gemüter zu entziffern p1b_567.039 Und mit Zügen, Linien, Ziffern, p1b_567.040 Läßt sich Wissenschaft erreichen. p1b_567.041 Doch aus den äther'schen Reichen p1b_567.042 Läßt ein Bild des ew'gen Schönen p1b_567.043 Nieder zu der Erde Söhnen p1b_567.044 Nur in Bild und Ton sich schicken: p1b_567.045 Liebe spricht in hellen Blicken, p1b_567.046 Liebe denkt in süßen Tönen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0601" n="567"/> </div> <div n="4"> <lb n="p1b_567.001"/> <head> <hi rendition="#c">§ 174. Die Glosse.</hi> </head> <p><lb n="p1b_567.002"/> Glosse (vom griechischen <foreign xml:lang="grc">γλῶσσα</foreign> == Erklärung) ist eine aus dem <lb n="p1b_567.003"/> Spanischen eingeführte aus Decimen aufgebaute künstliche Form. Es <lb n="p1b_567.004"/> liegt derselben eine 1─4zeilige Strophe als Thema zu Grunde, <lb n="p1b_567.005"/> welch letzteres in ebensoviel Strophen ausgeführt wird, so zwar, daß <lb n="p1b_567.006"/> die letzte Verszeile jeder Strophe immer eine Verszeile des Themas <lb n="p1b_567.007"/> der Reihe nach darstellt. Man könnte daher die Glosse als Variationen <lb n="p1b_567.008"/> über ein bestimmtes Thema bezeichnen, weil jede Decime derselben mit <lb n="p1b_567.009"/> einer Zeile dieses Themas geschlossen werden muß.</p> <p><lb n="p1b_567.010"/> Es erhellet, daß die letzten Zeilen der einzelnen Strophen in ihrer Zusammenstellung <lb n="p1b_567.011"/> das Thema wieder ergeben müssen. Selbstredend haben diese <lb n="p1b_567.012"/> Zeilen am Schlusse der Decimen mit deren Jnhalt in solchem Zusammenhang <lb n="p1b_567.013"/> zu stehen, daß es scheint, als wäre gar keine Rücksicht auf das vorher gegebene <lb n="p1b_567.014"/> Thema genommen.</p> <p><lb n="p1b_567.015"/> Die Glosse wurde durch <hi rendition="#g">Philipp von Zesen</hi> († 1689) in unsere <lb n="p1b_567.016"/> Litteratur eingeführt, worauf sie vergessen war, bis ihr die Gebrüder <hi rendition="#g">Schlegel,</hi> <lb n="p1b_567.017"/> ─ die ihr den Namen Variationen beilegten ─ bleibende Aufnahme sicherten. <lb n="p1b_567.018"/> Bekannt sind die Glossen über das Thema von <hi rendition="#g">Tieck:</hi></p> <lb n="p1b_567.019"/> <lg> <l>Liebe denkt in süßen Tönen,</l> <lb n="p1b_567.020"/> <l>Denn Gedanken steh'n zu fern;</l> <lb n="p1b_567.021"/> <l>Nur in Tönen mag sie gern</l> <lb n="p1b_567.022"/> <l>Alles, was sie will, verschönen.</l> </lg> <p><lb n="p1b_567.023"/> Wie ein Specimen wurde dieses Thema dreimal von A. W. Schlegel <lb n="p1b_567.024"/> bearbeitet, zweimal von einer Dichterfreundin Schlegels (vgl. A. W. Schlegels <lb n="p1b_567.025"/> Werke <hi rendition="#aq">I</hi>. 146 ff.), einmal von Fr. Schlegel, sodann von E. Schulze, von <lb n="p1b_567.026"/> Gottwalt, von Tieck, von Platen und von Uhland. Rückert hat neben decimenartigen <lb n="p1b_567.027"/> Glossen auch <hi rendition="#g">nicht=</hi>decimenmäßige geschrieben, z. B. Ges. Ausg. <hi rendition="#aq">I. <lb n="p1b_567.028"/> 521. II. 449. VII</hi>. 326. 433. 463. Ebenso schrieb Platen eine Glosse in <lb n="p1b_567.029"/> 6zeiligen und eine in 8zeiligen Strophen. (Vgl. Werke <hi rendition="#aq">I</hi>. 85 und 220.)</p> <p> <lb n="p1b_567.030"/> <hi rendition="#g">Beispiele der Glosse:</hi> </p> <lb n="p1b_567.031"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die Sprache der Liebe.</hi> </hi> </p> <lb n="p1b_567.032"/> <lg> <l>Liebe denkt in süßen Tönen,</l> <lb n="p1b_567.033"/> <l>Denn Gedanken steh'n zu fern;</l> <lb n="p1b_567.034"/> <l>Nur in Tönen mag sie gern</l> <lb n="p1b_567.035"/> <l>Alles, was sie will, verschönen.</l> </lg> <lb n="p1b_567.036"/> <p> <hi rendition="#right">(Tieck.)</hi> </p> <lb n="p1b_567.037"/> <lg> <l>Worte sind nur dumpfe Zeichen,</l> <lb n="p1b_567.038"/> <l>Die Gemüter zu entziffern</l> <lb n="p1b_567.039"/> <l>Und mit Zügen, Linien, Ziffern,</l> <lb n="p1b_567.040"/> <l>Läßt sich Wissenschaft erreichen.</l> <lb n="p1b_567.041"/> <l>Doch aus den äther'schen Reichen</l> <lb n="p1b_567.042"/> <l>Läßt ein Bild des ew'gen Schönen</l> <lb n="p1b_567.043"/> <l>Nieder zu der Erde Söhnen</l> <lb n="p1b_567.044"/> <l>Nur in Bild und Ton sich schicken:</l> <lb n="p1b_567.045"/> <l>Liebe spricht in hellen Blicken,</l> <lb n="p1b_567.046"/> <l> <hi rendition="#g">Liebe denkt in süßen Tönen.</hi> </l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [567/0601]
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§ 174. Die Glosse. p1b_567.002
Glosse (vom griechischen γλῶσσα == Erklärung) ist eine aus dem p1b_567.003
Spanischen eingeführte aus Decimen aufgebaute künstliche Form. Es p1b_567.004
liegt derselben eine 1─4zeilige Strophe als Thema zu Grunde, p1b_567.005
welch letzteres in ebensoviel Strophen ausgeführt wird, so zwar, daß p1b_567.006
die letzte Verszeile jeder Strophe immer eine Verszeile des Themas p1b_567.007
der Reihe nach darstellt. Man könnte daher die Glosse als Variationen p1b_567.008
über ein bestimmtes Thema bezeichnen, weil jede Decime derselben mit p1b_567.009
einer Zeile dieses Themas geschlossen werden muß.
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Es erhellet, daß die letzten Zeilen der einzelnen Strophen in ihrer Zusammenstellung p1b_567.011
das Thema wieder ergeben müssen. Selbstredend haben diese p1b_567.012
Zeilen am Schlusse der Decimen mit deren Jnhalt in solchem Zusammenhang p1b_567.013
zu stehen, daß es scheint, als wäre gar keine Rücksicht auf das vorher gegebene p1b_567.014
Thema genommen.
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Die Glosse wurde durch Philipp von Zesen († 1689) in unsere p1b_567.016
Litteratur eingeführt, worauf sie vergessen war, bis ihr die Gebrüder Schlegel, p1b_567.017
─ die ihr den Namen Variationen beilegten ─ bleibende Aufnahme sicherten. p1b_567.018
Bekannt sind die Glossen über das Thema von Tieck:
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Liebe denkt in süßen Tönen, p1b_567.020
Denn Gedanken steh'n zu fern; p1b_567.021
Nur in Tönen mag sie gern p1b_567.022
Alles, was sie will, verschönen.
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Wie ein Specimen wurde dieses Thema dreimal von A. W. Schlegel p1b_567.024
bearbeitet, zweimal von einer Dichterfreundin Schlegels (vgl. A. W. Schlegels p1b_567.025
Werke I. 146 ff.), einmal von Fr. Schlegel, sodann von E. Schulze, von p1b_567.026
Gottwalt, von Tieck, von Platen und von Uhland. Rückert hat neben decimenartigen p1b_567.027
Glossen auch nicht=decimenmäßige geschrieben, z. B. Ges. Ausg. I. p1b_567.028
521. II. 449. VII. 326. 433. 463. Ebenso schrieb Platen eine Glosse in p1b_567.029
6zeiligen und eine in 8zeiligen Strophen. (Vgl. Werke I. 85 und 220.)
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Beispiele der Glosse:
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Die Sprache der Liebe.
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Liebe denkt in süßen Tönen, p1b_567.033
Denn Gedanken steh'n zu fern; p1b_567.034
Nur in Tönen mag sie gern p1b_567.035
Alles, was sie will, verschönen.
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(Tieck.)
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Worte sind nur dumpfe Zeichen, p1b_567.038
Die Gemüter zu entziffern p1b_567.039
Und mit Zügen, Linien, Ziffern, p1b_567.040
Läßt sich Wissenschaft erreichen. p1b_567.041
Doch aus den äther'schen Reichen p1b_567.042
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