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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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(116-28 n. Chr.) nach in seinen saturae Menippeae, in welchen er teils p2b_186.002
in Prosa teils in Versen die mannigfachsten philosophischen, historischen, litterarischen p2b_186.003
Stoffe geistvoll behandelte. Dieselbe Mischung von Prosa und Versen p2b_186.004
hat noch im I. Jahrhundert n. Chr. Seneca und Petronius Arbiter, im p2b_186.005
5. Jahrhundert n. Chr. Martianus Capella, und im VI. Boethius.

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Anderer Art ist die Satura des Lucilius (180-103 v. Chr.), welcher p2b_186.007
saturae in 30 Büchern, teils in jambisch=trochäischen, teils in daktylischen p2b_186.008
Maßen und Hexametern schrieb und zwar mit ethischer Tendenz den Luxus und p2b_186.009
die Sittenverderbnis seiner Zeit schonungslos geißelte (secuit Lucilius urbem), p2b_186.010
andererseits auch Gegenstände der Litteratur und Geschichte behandelte; eine p2b_186.011
Reisebeschreibung und grammatische Stoffe befanden sich darunter, sowie Zurechtweisung p2b_186.012
der gräcisierenden Dichter. Volkstümlicher Witz, Scherz und Bitterkeit p2b_186.013
mischend, zeichnete ihn aus. Jhn ahmte eingestandenermaßen der uns noch p2b_186.014
erhaltene Horaz (65-8 v. Chr.) nach, welcher jedoch mehr die Thorheiten p2b_186.015
verlacht, als mit finsterem Ernste geißelt, der seinem Wesen überhaupt fremd p2b_186.016
ist. Auch der junge, reichgebildete Persius (34-62 n. Chr.) dichtete erst p2b_186.017
eine Reisebeschreibung, dann eine Verherrlichung seiner Verwandten Arria p2b_186.018
(Paete, non dolet!), und als Schüler des Stoikers Cornutus schrieb er p2b_186.019
sechs nicht vollends ausgearbeitete Satiren in moralischer, milder, ruhiger Darstellung, p2b_186.020
aber freilich ohne die nötige Lebenserfahrung, und ohne sein Vorbild p2b_186.021
Horaz in der Darstellung auch nur entfernt zu erreichen. Endlich Decim. Jun. p2b_186.022
Juvenalis (47 bis nach 130 n. Chr.) wurde aus Zorn und Schmerz über p2b_186.023
die greuliche Verderbnis seiner Zeit (facit indignatio versum) dazu getrieben, p2b_186.024
in 16 Büchern Satiren die Verderbnisse im Privatleben unter Kaiser Domitian p2b_186.025
naturgetreu und schonungslos zu schildern; er ist der ernste Sittenrichter, der p2b_186.026
mit Sehnsucht nach der Größe des alten Rom und mit Entrüstung über die p2b_186.027
allgemeine Korruption zu Gericht sitzt.

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So ist die Satire, wie Quintilian schon hervorhob, eine echt römische p2b_186.029
Litteraturgattung, mit welcher bei den Griechen nur zum teil die uns nicht p2b_186.030
genug bekannten silloi vergleichbar wären; der Grundzug bei der Mehrzahl p2b_186.031
der römischen Satiriker ist die Sittenmalerei, welcher sich bald ernster, bald p2b_186.032
heiterer die Sittenkritik beimengt.

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2. Die deutsche Satire in der heutigen Form ist didaktischer Natur. p2b_186.034
Lehrend wendet sie sich gegen die bestehende Erbärmlichkeit und Nichtigkeit, und p2b_186.035
zwar thut sie dies oft dadurch, daß sie (mit Jronie) das lobt, was sie tadeln p2b_186.036
möchte. Jhre Absicht ist, zu beschämen, um dadurch den Entschluß zur Besserung p2b_186.037
hervorzurufen. Durch juvenalische Geißelung des Lasters wirkt sie nicht selten p2b_186.038
empfindlicher, als der ernsteste Tadel eines Lehrers oder Predigers. Sie p2b_186.039
bekämpft und trifft diejenigen, welche durch ihre Stellung oder Lehre Verderben p2b_186.040
säen, ohne daß man ihnen sonst beikommen kann, oder ohne daß diese von p2b_186.041
jemand sonst die Wahrheit zu hören bekommen.

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Jn unserer Zeit sind der Kladderadatsch und die Wespen Organe p2b_186.043
der Satire.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/208>, abgerufen am 23.11.2024.