Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_332.001 "Und zog der Spange Gold, besetzt mit den Rubinen p2b_332.010 Von Sohnes Blut hervor, selbst mit blutlosen Mienen p2b_332.011 Und rief: Suhrab, mein Sohn! Weh Rostem und Tehminen!" p2b_332.012 "So lag er bei dem Sohn, selbst einem Toten gleich, p2b_332.015 Und bei ihm lag der Sohn, im Antlitz totesbleich, p2b_332.016 Jm Antlitz totesbleich, am Herzen toteswund, p2b_332.017 Mit Rosen seines Bluts blümend den grünen Grund. p2b_332.018 Noch floß das Blut, noch stand der Odem nicht, noch sah p2b_332.019 Und fühlt' er, sterbend freut' er sich dem Vater nah. p2b_332.020 Den Vater, ob ihm schon von ihm dies Leid geschah, p2b_332.021 Den er allein gesucht, den hatt' er doch gefunden, p2b_332.022 Und lag, wie er geträumt, von seinem Arm umwunden. p2b_332.023 "Lebt alle wohl! Wenn man daheim von Rostem spricht p2b_332.029 Und fragt, wohin er kam? so sagt: Jhr wißt es nicht." p2b_332.030 p2b_332.034 III. Vergils Äneis. Vergils Äneis, die man als eine Nachahmung p2b_332.035 p2b_332.039 p2b_332.045 p2b_332.001 „Und zog der Spange Gold, besetzt mit den Rubinen p2b_332.010 Von Sohnes Blut hervor, selbst mit blutlosen Mienen p2b_332.011 Und rief: Suhrab, mein Sohn! Weh Rostem und Tehminen!“ p2b_332.012 „So lag er bei dem Sohn, selbst einem Toten gleich, p2b_332.015 Und bei ihm lag der Sohn, im Antlitz totesbleich, p2b_332.016 Jm Antlitz totesbleich, am Herzen toteswund, p2b_332.017 Mit Rosen seines Bluts blümend den grünen Grund. p2b_332.018 Noch floß das Blut, noch stand der Odem nicht, noch sah p2b_332.019 Und fühlt' er, sterbend freut' er sich dem Vater nah. p2b_332.020 Den Vater, ob ihm schon von ihm dies Leid geschah, p2b_332.021 Den er allein gesucht, den hatt' er doch gefunden, p2b_332.022 Und lag, wie er geträumt, von seinem Arm umwunden. p2b_332.023 „Lebt alle wohl! Wenn man daheim von Rostem spricht p2b_332.029 Und fragt, wohin er kam? so sagt: Jhr wißt es nicht.“ p2b_332.030 p2b_332.034 III. Vergils Äneis. 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Von Schrecken und Entsetzen erfaßt, bog sich Rostem in zitternder <lb n="p2b_332.008"/> Hast nieder:</p> <lb n="p2b_332.009"/> <lg> <l>„Und zog der Spange Gold, besetzt mit den Rubinen</l> <lb n="p2b_332.010"/> <l>Von Sohnes Blut hervor, selbst mit blutlosen Mienen</l> <lb n="p2b_332.011"/> <l>Und rief: Suhrab, mein Sohn! Weh Rostem und Tehminen!“</l> </lg> <p><lb n="p2b_332.012"/> Eine erschütternde Scene folgt. Suhrab verzeiht dem Vater und tröstet ihn, <lb n="p2b_332.013"/> und dieser, vom Schmerz überwältigt, sinkt zu Boden:</p> <lb n="p2b_332.014"/> <lg> <l>„So lag er bei dem Sohn, selbst einem Toten gleich,</l> <lb n="p2b_332.015"/> <l>Und bei ihm lag der Sohn, im Antlitz totesbleich,</l> <lb n="p2b_332.016"/> <l>Jm Antlitz totesbleich, am Herzen toteswund,</l> <lb n="p2b_332.017"/> <l>Mit Rosen seines Bluts blümend den grünen Grund.</l> <lb n="p2b_332.018"/> <l>Noch floß das Blut, noch stand der Odem nicht, noch sah</l> <lb n="p2b_332.019"/> <l>Und fühlt' er, sterbend freut' er sich dem Vater nah.</l> <lb n="p2b_332.020"/> <l>Den Vater, ob ihm schon von ihm dies Leid geschah,</l> <lb n="p2b_332.021"/> <l>Den er allein gesucht, den hatt' er doch gefunden,</l> <lb n="p2b_332.022"/> <l>Und lag, wie er geträumt, von seinem Arm umwunden.</l> </lg> <p><lb n="p2b_332.023"/> So stirbt der Held! ─ Stumm und starren Blickes steht Rostem da, <lb n="p2b_332.024"/> bis alle Ehrenbezeugungen für den gefallenen Helden und dessen Beisetzungsfeierlichkeiten <lb n="p2b_332.025"/> vorüber sind. Dann schwingt er sich, vom Wahnsinn erfaßt, auf <lb n="p2b_332.026"/> sein Schlachtroß, und fort irrt er in die Wüste, den Schmerz zu töten. Beim <lb n="p2b_332.027"/> Abschied ruft er mit hohler Stimme, blassen Antlitzes:</p> <lb n="p2b_332.028"/> <lg> <l>„Lebt alle wohl! Wenn man daheim von Rostem spricht</l> <lb n="p2b_332.029"/> <l>Und fragt, wohin er kam? so sagt: Jhr wißt es nicht.“</l> </lg> <p><lb n="p2b_332.030"/> So endet dieses großartige Epos, dessen reckenhafter Heroismus, dessen <lb n="p2b_332.031"/> ruhige Schönheit, dessen Reichtum des Farbenwechsels, dessen Fluß der Darstellung, <lb n="p2b_332.032"/> dessen Kühnheit der Charakterzeichnung Rückert zu einem der bedeutendsten <lb n="p2b_332.033"/> Epiker seiner Zeit erhebt. (Vgl. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 315.)</p> </div> <div n="5"> <lb n="p2b_332.034"/> <head><hi rendition="#aq">III</hi>. <hi rendition="#g">Vergils Äneis.</hi></head> <p> Vergils Äneis, die man als eine Nachahmung <lb n="p2b_332.035"/> der Odyssee bezeichnen muß, läßt die Römer von Äneas abstammen, <lb n="p2b_332.036"/> und besingt in 12 Gesängen des Helden Jrrfahrten nach der <lb n="p2b_332.037"/> Eroberung und dem Brand von Troja bis zu seiner Verheiratung mit <lb n="p2b_332.038"/> Lavinia, der Tochter des Königs Latinus.</p> <p><lb n="p2b_332.039"/> Eben durch diese Verbindung wird aber Äneas der Stammvater von <lb n="p2b_332.040"/> Romulus und Remus. (Das in Hexametern geschriebene Epos ist von Voß <lb n="p2b_332.041"/> u. a. in's Deutsche übersetzt. Schiller hat in seiner Übersetzung des 2. und <lb n="p2b_332.042"/> 4. Buchs der Äneide eine Vorarbeit zur Übersetzung des <hi rendition="#aq">Dr</hi>. J. E. Nürnberger <lb n="p2b_332.043"/> (2. Aufl. 1841) geliefert, welch letzterer die Schillersche Arbeit einverleibt <lb n="p2b_332.044"/> wurde.)</p> <p><lb n="p2b_332.045"/><hi rendition="#g">Eine Probe aus Vergils Äneis findet sich</hi> Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 553.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [332/0354]
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vorspiegelt, die Landessitte verbiete, den im Zweikampf zum erstenmal Besiegten, p2b_332.002
zu töten. Suhrab läßt sich bethören. Rostem nimmt alle Kraft zusammen und p2b_332.003
überwindet nun den Suhrab, dem er ohne Zaudern den Todesdolch in die p2b_332.004
vertrauensselige Heldenbrust stößt. Todeswund droht Suhrab, daß der Treulose p2b_332.005
dereinst den Lohn für seine Untreue erhalten werde und zwar von seinem Vater, p2b_332.006
dem unüberwindlichen Rostem, für den er eine goldene Spange auf der Brust p2b_332.007
trage. Von Schrecken und Entsetzen erfaßt, bog sich Rostem in zitternder p2b_332.008
Hast nieder:
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„Und zog der Spange Gold, besetzt mit den Rubinen p2b_332.010
Von Sohnes Blut hervor, selbst mit blutlosen Mienen p2b_332.011
Und rief: Suhrab, mein Sohn! Weh Rostem und Tehminen!“
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Eine erschütternde Scene folgt. Suhrab verzeiht dem Vater und tröstet ihn, p2b_332.013
und dieser, vom Schmerz überwältigt, sinkt zu Boden:
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„So lag er bei dem Sohn, selbst einem Toten gleich, p2b_332.015
Und bei ihm lag der Sohn, im Antlitz totesbleich, p2b_332.016
Jm Antlitz totesbleich, am Herzen toteswund, p2b_332.017
Mit Rosen seines Bluts blümend den grünen Grund. p2b_332.018
Noch floß das Blut, noch stand der Odem nicht, noch sah p2b_332.019
Und fühlt' er, sterbend freut' er sich dem Vater nah. p2b_332.020
Den Vater, ob ihm schon von ihm dies Leid geschah, p2b_332.021
Den er allein gesucht, den hatt' er doch gefunden, p2b_332.022
Und lag, wie er geträumt, von seinem Arm umwunden.
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So stirbt der Held! ─ Stumm und starren Blickes steht Rostem da, p2b_332.024
bis alle Ehrenbezeugungen für den gefallenen Helden und dessen Beisetzungsfeierlichkeiten p2b_332.025
vorüber sind. Dann schwingt er sich, vom Wahnsinn erfaßt, auf p2b_332.026
sein Schlachtroß, und fort irrt er in die Wüste, den Schmerz zu töten. Beim p2b_332.027
Abschied ruft er mit hohler Stimme, blassen Antlitzes:
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„Lebt alle wohl! Wenn man daheim von Rostem spricht p2b_332.029
Und fragt, wohin er kam? so sagt: Jhr wißt es nicht.“
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So endet dieses großartige Epos, dessen reckenhafter Heroismus, dessen p2b_332.031
ruhige Schönheit, dessen Reichtum des Farbenwechsels, dessen Fluß der Darstellung, p2b_332.032
dessen Kühnheit der Charakterzeichnung Rückert zu einem der bedeutendsten p2b_332.033
Epiker seiner Zeit erhebt. (Vgl. I. S. 315.)
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III. Vergils Äneis. Vergils Äneis, die man als eine Nachahmung p2b_332.035
der Odyssee bezeichnen muß, läßt die Römer von Äneas abstammen, p2b_332.036
und besingt in 12 Gesängen des Helden Jrrfahrten nach der p2b_332.037
Eroberung und dem Brand von Troja bis zu seiner Verheiratung mit p2b_332.038
Lavinia, der Tochter des Königs Latinus.
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Eben durch diese Verbindung wird aber Äneas der Stammvater von p2b_332.040
Romulus und Remus. (Das in Hexametern geschriebene Epos ist von Voß p2b_332.041
u. a. in's Deutsche übersetzt. Schiller hat in seiner Übersetzung des 2. und p2b_332.042
4. Buchs der Äneide eine Vorarbeit zur Übersetzung des Dr. J. E. Nürnberger p2b_332.043
(2. Aufl. 1841) geliefert, welch letzterer die Schillersche Arbeit einverleibt p2b_332.044
wurde.)
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Eine Probe aus Vergils Äneis findet sich Bd. I. S. 553.
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