Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_015.001 "Herz, was willst du weiter, p2b_015.009 Da der Himmel heiter, p2b_015.010 Wie in dieser Flut, p2b_015.011 Dir im Herzen ruht?" § 10. Das paläontologische (primitive) Element der Lyrik. p2b_015.013 p2b_015.015 p2b_015.017 p2b_015.020 p2b_015.026 p2b_015.031 p2b_015.036 seinen idealen Schwung, Rückert seine herzerwärmende Jnnigkeit, Platen p2b_015.041 seine klassische Würde, Lenau seinen gewitterschwülen, die Brust beängstigenden p2b_015.042 und doch so süß bestrickenden Zauber, Heine seine bald leichtfertig tändelnde, p2b_015.001 „Herz, was willst du weiter, p2b_015.009 Da der Himmel heiter, p2b_015.010 Wie in dieser Flut, p2b_015.011 Dir im Herzen ruht?“ § 10. Das paläontologische (primitive) Element der Lyrik. p2b_015.013 p2b_015.015 p2b_015.017 p2b_015.020 p2b_015.026 p2b_015.031 p2b_015.036 seinen idealen Schwung, Rückert seine herzerwärmende Jnnigkeit, Platen p2b_015.041 seine klassische Würde, Lenau seinen gewitterschwülen, die Brust beängstigenden p2b_015.042 und doch so süß bestrickenden Zauber, Heine seine bald leichtfertig tändelnde, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div> <p><pb facs="#f0037" n="15"/><lb n="p2b_015.001"/> Ebenso muß er bei Stoffen aus der Natur die Natur mit seinem <lb n="p2b_015.002"/> Gefühl durchziehen, sie mit seiner Jdealität vermählen und aus diesem Gefühl <lb n="p2b_015.003"/> heraus sie reden lassen, wie es beispielsweise <hi rendition="#g">Heine</hi> in den Naturbildern <lb n="p2b_015.004"/> „Fichtenbaum“ und „Lotosblume“, ─ <hi rendition="#g">Goethe</hi> in „Erwin und Elmire“ &c. <lb n="p2b_015.005"/> gethan hat. Auch bei den Naturbildern muß die Empfindung und das Gefühl <lb n="p2b_015.006"/> des Dichters der Mittelpunkt bleiben, und stets muß der weitauszubreitende <lb n="p2b_015.007"/> Blütenbaum seiner Poesie auf dem Stamm seines subjektiven Jch ruhen bleiben.</p> <lb n="p2b_015.008"/> <lg> <l>„Herz, was willst du weiter,</l> <lb n="p2b_015.009"/> <l>Da der Himmel heiter,</l> <lb n="p2b_015.010"/> <l>Wie in dieser Flut,</l> <lb n="p2b_015.011"/> <l>Dir im <hi rendition="#g">Herzen</hi> ruht?“</l> </lg> </div> <lb n="p2b_015.012"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 10. Das paläontologische (primitive) Element der Lyrik.</hi> </head> <p><lb n="p2b_015.013"/> 1. Die Anschauung=verleihenden, malenden Beiwörter sind die <lb n="p2b_015.014"/> wichtigsten Bestandteile der Lyrik.</p> <p><lb n="p2b_015.015"/><anchor xml:id="p2b001"/>2. Viele derselben erscheinen wie eingetrocknete, gewissermaßen zu <lb n="p2b_015.016"/> Versteinerungen gewordene Metaphern.</p> <p><lb n="p2b_015.017"/> 3. Der gebildete Dichter wird seine erhöhte Empfindung durch <lb n="p2b_015.018"/> geschickte Verwendung der Metaphern beweisen, dem weniger gebildeten <lb n="p2b_015.019"/> fehlt der sprechende Ausdruck. <anchor xml:id="p2b002"/> <note targetEnd="#p2b002" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-8-1-0" target="#p2b001"> Abgr. Beiwort</note> </p> <p><lb n="p2b_015.020"/> 1. Schon Aristoteles sagt (Rhetorik <hi rendition="#aq">III</hi>. 3) von Alkidamas, daß ihm die <lb n="p2b_015.021"/> Epitheta nicht bloß eine Würze der Rede (<foreign xml:lang="grc">ἥδυσμα</foreign>) seien, sondern die Hauptkost <lb n="p2b_015.022"/> (<foreign xml:lang="grc">ἔδεσμα</foreign>). Wie sehr er im Rechte war, haben wir in Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. § 30 <lb n="p2b_015.023"/> S. 137 ff. gezeigt. Jn der Lyrik sind die malenden Beiwörter umsomehr <lb n="p2b_015.024"/> am Platze, als sie wesentlich dazu beitragen, dem Gefühlsausdruck seine eigenartige <lb n="p2b_015.025"/> Färbung zu verleihen.</p> <p><lb n="p2b_015.026"/> 2. Die Auffassung der Lyrik als paläontologische Weltanschauung ─ wie <lb n="p2b_015.027"/> sie Karl du Prel in „Psychologie der Lyrik“ versucht hat, ─ zwingt uns, an <lb n="p2b_015.028"/> den Standpunkt zu denken, welchen der Mensch im Naturzustand und ohne <lb n="p2b_015.029"/> Schulbildung einnimmt. Es ist der Zustand, in welchem der Mensch seine <lb n="p2b_015.030"/> Anschauung durch Naturbelebung und Naturbeseelung (Personifikation) ausdrückt.</p> <p><lb n="p2b_015.031"/> Viele Beiwörter aus jener Zeit und aus jener Bildungssphäre lassen <lb n="p2b_015.032"/> keinerlei Reflexion zu und haben es lediglich auf Anschaulichkeit abgesehen. <lb n="p2b_015.033"/> Sie sind Grenzsäulen der dichterischen Anschauung und muten uns wie Versteinerungen <lb n="p2b_015.034"/> an. <anchor xml:id="p2b003"/>Bekanntlich ist die Sprache der Wilden um so reicher an personificierenden <lb n="p2b_015.035"/> Metaphern, je ärmer sie ist. Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 148 ff. u. S. 169 ff. <anchor xml:id="p2b004"/> <note targetEnd="#p2b004" type="metapher" ana="#m1-0-1-1" target="#p2b003"/> </p> <p><lb n="p2b_015.036"/><anchor xml:id="p2b005"/>3. Die <hi rendition="#g">erhöhte Empfindung</hi> des Lyrikers zeigt sich in der glücklichen <lb n="p2b_015.037"/> Anwendung des metaphorischen Beiworts, das dem lyrischen Gedichte <lb n="p2b_015.038"/> jedesmal ein besonderes Gepräge verleiht, und durch welches, wie schon B. <hi rendition="#aq">I</hi>. <lb n="p2b_015.039"/> S. 138. 2. angedeutet, <anchor xml:id="p2b006"/> <note targetEnd="#p2b006" type="metapher" ana="#m1-0-1-1" target="#p2b005"/> <anchor xml:id="p2b007"/>z. B. <hi rendition="#g">Goethe</hi> seine Weichheit und Anmut, <hi rendition="#g">Schiller</hi> <lb n="p2b_015.040"/> seinen idealen Schwung, <hi rendition="#g">Rückert</hi> seine herzerwärmende Jnnigkeit, <hi rendition="#g">Platen</hi> <lb n="p2b_015.041"/> seine klassische Würde, <hi rendition="#g">Lenau</hi> seinen gewitterschwülen, die Brust beängstigenden <lb n="p2b_015.042"/> und doch so süß bestrickenden Zauber, <hi rendition="#g">Heine</hi> seine bald leichtfertig tändelnde, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0037]
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Ebenso muß er bei Stoffen aus der Natur die Natur mit seinem p2b_015.002
Gefühl durchziehen, sie mit seiner Jdealität vermählen und aus diesem Gefühl p2b_015.003
heraus sie reden lassen, wie es beispielsweise Heine in den Naturbildern p2b_015.004
„Fichtenbaum“ und „Lotosblume“, ─ Goethe in „Erwin und Elmire“ &c. p2b_015.005
gethan hat. Auch bei den Naturbildern muß die Empfindung und das Gefühl p2b_015.006
des Dichters der Mittelpunkt bleiben, und stets muß der weitauszubreitende p2b_015.007
Blütenbaum seiner Poesie auf dem Stamm seines subjektiven Jch ruhen bleiben.
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„Herz, was willst du weiter, p2b_015.009
Da der Himmel heiter, p2b_015.010
Wie in dieser Flut, p2b_015.011
Dir im Herzen ruht?“
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§ 10. Das paläontologische (primitive) Element der Lyrik. p2b_015.013
1. Die Anschauung=verleihenden, malenden Beiwörter sind die p2b_015.014
wichtigsten Bestandteile der Lyrik.
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2. Viele derselben erscheinen wie eingetrocknete, gewissermaßen zu p2b_015.016
Versteinerungen gewordene Metaphern.
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3. Der gebildete Dichter wird seine erhöhte Empfindung durch p2b_015.018
geschickte Verwendung der Metaphern beweisen, dem weniger gebildeten p2b_015.019
fehlt der sprechende Ausdruck. Abgr. Beiwort
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1. Schon Aristoteles sagt (Rhetorik III. 3) von Alkidamas, daß ihm die p2b_015.021
Epitheta nicht bloß eine Würze der Rede (ἥδυσμα) seien, sondern die Hauptkost p2b_015.022
(ἔδεσμα). Wie sehr er im Rechte war, haben wir in Bd. I. § 30 p2b_015.023
S. 137 ff. gezeigt. Jn der Lyrik sind die malenden Beiwörter umsomehr p2b_015.024
am Platze, als sie wesentlich dazu beitragen, dem Gefühlsausdruck seine eigenartige p2b_015.025
Färbung zu verleihen.
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2. Die Auffassung der Lyrik als paläontologische Weltanschauung ─ wie p2b_015.027
sie Karl du Prel in „Psychologie der Lyrik“ versucht hat, ─ zwingt uns, an p2b_015.028
den Standpunkt zu denken, welchen der Mensch im Naturzustand und ohne p2b_015.029
Schulbildung einnimmt. Es ist der Zustand, in welchem der Mensch seine p2b_015.030
Anschauung durch Naturbelebung und Naturbeseelung (Personifikation) ausdrückt.
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Viele Beiwörter aus jener Zeit und aus jener Bildungssphäre lassen p2b_015.032
keinerlei Reflexion zu und haben es lediglich auf Anschaulichkeit abgesehen. p2b_015.033
Sie sind Grenzsäulen der dichterischen Anschauung und muten uns wie Versteinerungen p2b_015.034
an. Bekanntlich ist die Sprache der Wilden um so reicher an personificierenden p2b_015.035
Metaphern, je ärmer sie ist. Vgl. Bd. I. S. 148 ff. u. S. 169 ff.
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3. Die erhöhte Empfindung des Lyrikers zeigt sich in der glücklichen p2b_015.037
Anwendung des metaphorischen Beiworts, das dem lyrischen Gedichte p2b_015.038
jedesmal ein besonderes Gepräge verleiht, und durch welches, wie schon B. I. p2b_015.039
S. 138. 2. angedeutet, z. B. Goethe seine Weichheit und Anmut, Schiller p2b_015.040
seinen idealen Schwung, Rückert seine herzerwärmende Jnnigkeit, Platen p2b_015.041
seine klassische Würde, Lenau seinen gewitterschwülen, die Brust beängstigenden p2b_015.042
und doch so süß bestrickenden Zauber, Heine seine bald leichtfertig tändelnde,
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