Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_025.001 § 18. Geschichtliche Stellung und Entwickelung der Epik. p2b_025.008 p2b_025.010 p2b_025.011 p2b_025.012 So kühnen Kampf hat der König der Schildinge p2b_025.026 p2b_025.042Mit gediegenem Golde mir gütig gelohnt p2b_025.027 Und manchem Kleinod, als der Morgen kam, p2b_025.028 Und wir beim Schmause saßen und zechten. p2b_025.029 Da war Hall und Schall. Bald hub der alte Schilding, p2b_025.030 Der vielerfahrene, von fernen Zeiten an; p2b_025.031 Bald begann ein Held der Harfe Wonne p2b_025.032 Lustsam zu wecken, bald ein Lied zu singen p2b_025.033 Süß und schaurig; Geschichten erzählte bald p2b_025.034 Der Wahrheit gemäß der weitherz'ge König. p2b_025.035 Ein ander Mal hörten wir den altergebundenen p2b_025.036 Greisen Krieger von des Kampfes Strenge p2b_025.037 Der Blüte melden, daß die Brust ihm schwoll, p2b_025.038 Wenn der Winterreiche der Wagnisse gedachte. p2b_025.039 So saßen wir im Saale den sonnenlangen Tag, p2b_025.040 Den Genuß erneuend. Die Nacht befiel nun p2b_025.041 Die Erde abermals. (Beowulf. Übers. und erläut. v. Simrock S. 106.) p2b_025.043 p2b_025.001 § 18. Geschichtliche Stellung und Entwickelung der Epik. p2b_025.008 p2b_025.010 p2b_025.011 p2b_025.012 So kühnen Kampf hat der König der Schildinge p2b_025.026 p2b_025.042Mit gediegenem Golde mir gütig gelohnt p2b_025.027 Und manchem Kleinod, als der Morgen kam, p2b_025.028 Und wir beim Schmause saßen und zechten. p2b_025.029 Da war Hall und Schall. Bald hub der alte Schilding, p2b_025.030 Der vielerfahrene, von fernen Zeiten an; p2b_025.031 Bald begann ein Held der Harfe Wonne p2b_025.032 Lustsam zu wecken, bald ein Lied zu singen p2b_025.033 Süß und schaurig; Geschichten erzählte bald p2b_025.034 Der Wahrheit gemäß der weitherz'ge König. p2b_025.035 Ein ander Mal hörten wir den altergebundenen p2b_025.036 Greisen Krieger von des Kampfes Strenge p2b_025.037 Der Blüte melden, daß die Brust ihm schwoll, p2b_025.038 Wenn der Winterreiche der Wagnisse gedachte. p2b_025.039 So saßen wir im Saale den sonnenlangen Tag, p2b_025.040 Den Genuß erneuend. Die Nacht befiel nun p2b_025.041 Die Erde abermals. (Beowulf. Übers. und erläut. v. Simrock S. 106.) p2b_025.043 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0047" n="25"/> <p><lb n="p2b_025.001"/> „Wie die Gottheit hinter'm Weltgebäude, so muß der epische Dichter <lb n="p2b_025.002"/> hinter seinem Werke stehen.“ (Vgl. Schiller: „Über naive und sentimentale <lb n="p2b_025.003"/> Dichtung.“ Die Sage von der Blindheit epischer Dichter z. B. des Demodokos, <lb n="p2b_025.004"/> Od. 8. 64, des Homeros, soll andeuten, daß des Dichters Persönlichkeit, sein <lb n="p2b_025.005"/> Urteil und die Gegenwart verschwinde. Jch erinnere an die Stelle in Goethes <lb n="p2b_025.006"/> Sänger: „Der Sänger drückt' die Augen ein, und schlug in vollen Tönen“ &c.)</p> </div> <lb n="p2b_025.007"/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 18. Geschichtliche Stellung und Entwickelung der Epik.</hi> </head> <p><lb n="p2b_025.008"/> 1. Die epische Poesie ist der Anfang und die Quelle aller Poesie. <lb n="p2b_025.009"/> Sie war überall die erste.</p> <p><lb n="p2b_025.010"/> 2. Erst nach Ausbildung der Epik entwickelte sich die Lyrik.</p> <p><lb n="p2b_025.011"/> 3. Die aufblühende Lyrik drängte zum Drama hin.</p> <p><lb n="p2b_025.012"/> 1. Mit der Epik begann überall die Litteratur. (Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 18 ff.) <lb n="p2b_025.013"/> Sie ließ ursprünglich geschichtliche Stoffe in volksmäßig dichterischer Weise als <lb n="p2b_025.014"/> Sage erscheinen. Spätere Nachfragen nach Grund und Ursache dieser Sagen <lb n="p2b_025.015"/> ließen aus Naturphilosophie und Religion den Mythus erstehen, d. i. die <lb n="p2b_025.016"/> Erklärung der Erscheinung. So lange die spekulativ=phantastische Lösung geglaubt <lb n="p2b_025.017"/> wurde, war der Mythus <hi rendition="#g">rein.</hi> Später wurde derselbe didaktisch behandelt <lb n="p2b_025.018"/> oder mit Absicht allegorisch. Sobald die dichterische Phantasie eines Volkes <lb n="p2b_025.019"/> Geschichte und Naturleben in Sage und Mythe allseitig durchgearbeitet und <lb n="p2b_025.020"/> genügendes Material beschafft hatte, begann die Blütezeit der Epik. Große <lb n="p2b_025.021"/> Dichter bearbeiteten den aufgehäuften Stoff in künstlerischer Weise und Rhapsoden <lb n="p2b_025.022"/> verbreiteten die Dichtungen. Welche poesieempfänglichen Zeiten müssen es <lb n="p2b_025.023"/> gewesen sein, in denen nach Homers Bericht die Hörer dem Demodokos <lb n="p2b_025.024"/> lauschten, oder von denen Beowulf berichtet: <lb n="p2b_025.025"/> <lg><l>So kühnen Kampf hat der König der Schildinge</l><lb n="p2b_025.026"/><l>Mit gediegenem Golde mir gütig gelohnt</l><lb n="p2b_025.027"/><l>Und manchem Kleinod, als der Morgen kam,</l><lb n="p2b_025.028"/><l>Und wir beim Schmause saßen und zechten.</l><lb n="p2b_025.029"/><l>Da war Hall und Schall. Bald hub der alte Schilding,</l><lb n="p2b_025.030"/><l>Der vielerfahrene, von fernen Zeiten an;</l><lb n="p2b_025.031"/><l>Bald begann ein Held der Harfe Wonne</l><lb n="p2b_025.032"/><l>Lustsam zu wecken, bald ein Lied zu singen</l><lb n="p2b_025.033"/><l>Süß und schaurig; Geschichten erzählte bald</l><lb n="p2b_025.034"/><l>Der Wahrheit gemäß der weitherz'ge König.</l><lb n="p2b_025.035"/><l>Ein ander Mal hörten wir den altergebundenen</l><lb n="p2b_025.036"/><l>Greisen Krieger von des Kampfes Strenge</l><lb n="p2b_025.037"/><l>Der Blüte melden, daß die Brust ihm schwoll,</l><lb n="p2b_025.038"/><l>Wenn der Winterreiche der Wagnisse gedachte.</l><lb n="p2b_025.039"/><l>So saßen wir im Saale den sonnenlangen Tag,</l><lb n="p2b_025.040"/><l>Den Genuß erneuend. Die Nacht befiel nun</l><lb n="p2b_025.041"/><l>Die Erde abermals.</l></lg> <lb n="p2b_025.042"/> <hi rendition="#right">(Beowulf. Übers. und erläut. v. Simrock S. 106.)</hi></p> <p><lb n="p2b_025.043"/> An das Heldengedicht jener deutschen Zeit, die auch einen einheitlichen <lb n="p2b_025.044"/> Baustil für Errichtung unvergleichlicher Dome schuf, reihte sich das Kulturepos; </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0047]
p2b_025.001
„Wie die Gottheit hinter'm Weltgebäude, so muß der epische Dichter p2b_025.002
hinter seinem Werke stehen.“ (Vgl. Schiller: „Über naive und sentimentale p2b_025.003
Dichtung.“ Die Sage von der Blindheit epischer Dichter z. B. des Demodokos, p2b_025.004
Od. 8. 64, des Homeros, soll andeuten, daß des Dichters Persönlichkeit, sein p2b_025.005
Urteil und die Gegenwart verschwinde. Jch erinnere an die Stelle in Goethes p2b_025.006
Sänger: „Der Sänger drückt' die Augen ein, und schlug in vollen Tönen“ &c.)
p2b_025.007
§ 18. Geschichtliche Stellung und Entwickelung der Epik. p2b_025.008
1. Die epische Poesie ist der Anfang und die Quelle aller Poesie. p2b_025.009
Sie war überall die erste.
p2b_025.010
2. Erst nach Ausbildung der Epik entwickelte sich die Lyrik.
p2b_025.011
3. Die aufblühende Lyrik drängte zum Drama hin.
p2b_025.012
1. Mit der Epik begann überall die Litteratur. (Vgl. Bd. I. S. 18 ff.) p2b_025.013
Sie ließ ursprünglich geschichtliche Stoffe in volksmäßig dichterischer Weise als p2b_025.014
Sage erscheinen. Spätere Nachfragen nach Grund und Ursache dieser Sagen p2b_025.015
ließen aus Naturphilosophie und Religion den Mythus erstehen, d. i. die p2b_025.016
Erklärung der Erscheinung. So lange die spekulativ=phantastische Lösung geglaubt p2b_025.017
wurde, war der Mythus rein. Später wurde derselbe didaktisch behandelt p2b_025.018
oder mit Absicht allegorisch. Sobald die dichterische Phantasie eines Volkes p2b_025.019
Geschichte und Naturleben in Sage und Mythe allseitig durchgearbeitet und p2b_025.020
genügendes Material beschafft hatte, begann die Blütezeit der Epik. Große p2b_025.021
Dichter bearbeiteten den aufgehäuften Stoff in künstlerischer Weise und Rhapsoden p2b_025.022
verbreiteten die Dichtungen. Welche poesieempfänglichen Zeiten müssen es p2b_025.023
gewesen sein, in denen nach Homers Bericht die Hörer dem Demodokos p2b_025.024
lauschten, oder von denen Beowulf berichtet: p2b_025.025
So kühnen Kampf hat der König der Schildinge p2b_025.026
Mit gediegenem Golde mir gütig gelohnt p2b_025.027
Und manchem Kleinod, als der Morgen kam, p2b_025.028
Und wir beim Schmause saßen und zechten. p2b_025.029
Da war Hall und Schall. Bald hub der alte Schilding, p2b_025.030
Der vielerfahrene, von fernen Zeiten an; p2b_025.031
Bald begann ein Held der Harfe Wonne p2b_025.032
Lustsam zu wecken, bald ein Lied zu singen p2b_025.033
Süß und schaurig; Geschichten erzählte bald p2b_025.034
Der Wahrheit gemäß der weitherz'ge König. p2b_025.035
Ein ander Mal hörten wir den altergebundenen p2b_025.036
Greisen Krieger von des Kampfes Strenge p2b_025.037
Der Blüte melden, daß die Brust ihm schwoll, p2b_025.038
Wenn der Winterreiche der Wagnisse gedachte. p2b_025.039
So saßen wir im Saale den sonnenlangen Tag, p2b_025.040
Den Genuß erneuend. Die Nacht befiel nun p2b_025.041
Die Erde abermals.
p2b_025.042
(Beowulf. Übers. und erläut. v. Simrock S. 106.)
p2b_025.043
An das Heldengedicht jener deutschen Zeit, die auch einen einheitlichen p2b_025.044
Baustil für Errichtung unvergleichlicher Dome schuf, reihte sich das Kulturepos;
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |