p2b_455.001 Der Erbförster; Hölzls Die Gräfin Osinsky; Mich. Beers (+ 1833) Die p2b_455.002 Bräute von Arragonien, sowie Struensee, zu denen Beers Bruder, Meyerbeer, p2b_455.003 begleitende Musik schrieb; besonders aber des österreichischen Schillers Grillparzersp2b_455.004 Die Ahnfrau. Der modernen Schicksalstragödie, gegen welche Castelli p2b_455.005 gemeinschaftlich mit Aloys Jeitteles (Der Schicksalsstrumpf) und Platen (Die verhängnisvolle p2b_455.006 Gabel) ihre satirische Geißel schwangen, näherte sich von den Neueren p2b_455.007 besonders Gutzkow mit seinen Tragödien Der 13. Februar, und Wullenweber.
p2b_455.008 Als typische Vertreter der ganzen Richtung sind dem Studium zu empfehlen: p2b_455.009 Müllners Schuld, und Grillparzers Ahnfrau. Müllners Schuld hat (nach p2b_455.010 Siebenlist a. a. O. Seite 151) folgendes Argument: "Hugo von Oerindur p2b_455.011 hat einen Karlos auf tückische Weise getötet, um dessen Frau Elvira heiraten p2b_455.012 zu können. Später wird entdeckt, daß die Beiden Brüder sind. Den Mord p2b_455.013 aber bringt man damit in Zusammenhang, daß die schwangere Mutter der p2b_455.014 Brüder einst eine Bettlerin beleidigt habe, die ihr darauf den Fluch gegeben, p2b_455.015 der Sohn, den sie unter dem Herzen trage, solle seinen älteren Bruder umbringen. p2b_455.016 Nun suchen Hugo und seine Gattin durch Selbstmord ihre Unthat zu p2b_455.017 sühnen."
p2b_455.018 Ungleich höher als diese die Menschen zu Puppen erniedrigende Tragödie p2b_455.019 steht Grillparzers Ahnfrau. S. A. Byk versucht diese Erstlingsdichtung Grillparzers p2b_455.020 mit dem Gesetze des tragischen Monismus in Einklang zu bringen, p2b_455.021 indem er (Physiologie des Schönen 1878. S. 279) sagt: "Wiewohl die Ahnfrau p2b_455.022 in Grillparzers gleichnamigem Trauerspiel die im Drama sich abspielenden p2b_455.023 Ereignisse nicht selbst herbeigeführt hat, so können wir doch ihrer Erscheinung p2b_455.024 die Berechtigung nicht absprechen, da erst durch sie das Spukhafte in ein Werk p2b_455.025 ewiger Gerechtigkeit umgewandelt wird, infolge dessen die unerhörten Schicksalsschläge, p2b_455.026 die auf einander folgenden Unglücksfälle, welche eine ganze Familie p2b_455.027 bis auf ihren letzten Sprößling vernichten, einen ethischen Charakter gewinnen, p2b_455.028 der uns mit ihrer Furchtbarkeit aussöhnt und die Handlung zu einem harmonischen p2b_455.029 Ganzen abschließt. Jn dieser harmonischen Gestaltgebung liegt hier die Notwendigkeit p2b_455.030 der gespenstischen Erscheinung. Die Erscheinung dieser ruhelos umherirrenden p2b_455.031 Sünderin, deren verbrecherische Liebe die einzige Ursache des Unterganges p2b_455.032 ihres Geschlechtes ist, versöhnt uns mit dem Schicksal und beruhigt p2b_455.033 unser moralisches Gewissen. Wir begreifen, daß das Unglück, welches das p2b_455.034 Haus der Borotin's heimsucht, weder das Werk einer mutwilligen Schicksalslaune, p2b_455.035 noch eine unverdient verhängte Strafe ist, sondern daß sich hier ein p2b_455.036 ethischer Reinigungsprozeß vollzieht, dessen Notwendigkeit im Wesen der ethischen p2b_455.037 Jdee selbst liegt, die ebenso, wie die physisch=organische Natur in ihrer lebendigen p2b_455.038 Thätigkeit, alles Unassimilierbare abstößt und entfernt." (Vgl. übrigens p2b_455.039 über die Ahnfrau Gödekes Grundriß III. 384 ff. sowie Grillparzers Werke p2b_455.040 2. Aufl. 1874 II S. 140 ff.) - Klarer hat schon Schopenhauer das Unterfangen, p2b_455.041 dem bloßen, reinen, offenbaren Zufall eine Absicht unterzulegen, p2b_455.042 einen Gedanken genannt (V 216), der an Verwegenheit seines Gleichen suche p2b_455.043 - einen Gedanken übrigens, der, je nachdem man ihn versteht, der absurdeste p2b_455.044 oder der tiefsinnigste sein kann.
p2b_455.001 Der Erbförster; Hölzls Die Gräfin Osinsky; Mich. Beers († 1833) Die p2b_455.002 Bräute von Arragonien, sowie Struensee, zu denen Beers Bruder, Meyerbeer, p2b_455.003 begleitende Musik schrieb; besonders aber des österreichischen Schillers Grillparzersp2b_455.004 Die Ahnfrau. Der modernen Schicksalstragödie, gegen welche Castelli p2b_455.005 gemeinschaftlich mit Aloys Jeitteles (Der Schicksalsstrumpf) und Platen (Die verhängnisvolle p2b_455.006 Gabel) ihre satirische Geißel schwangen, näherte sich von den Neueren p2b_455.007 besonders Gutzkow mit seinen Tragödien Der 13. Februar, und Wullenweber.
p2b_455.008 Als typische Vertreter der ganzen Richtung sind dem Studium zu empfehlen: p2b_455.009 Müllners Schuld, und Grillparzers Ahnfrau. Müllners Schuld hat (nach p2b_455.010 Siebenlist a. a. O. Seite 151) folgendes Argument: „Hugo von Oerindur p2b_455.011 hat einen Karlos auf tückische Weise getötet, um dessen Frau Elvira heiraten p2b_455.012 zu können. Später wird entdeckt, daß die Beiden Brüder sind. Den Mord p2b_455.013 aber bringt man damit in Zusammenhang, daß die schwangere Mutter der p2b_455.014 Brüder einst eine Bettlerin beleidigt habe, die ihr darauf den Fluch gegeben, p2b_455.015 der Sohn, den sie unter dem Herzen trage, solle seinen älteren Bruder umbringen. p2b_455.016 Nun suchen Hugo und seine Gattin durch Selbstmord ihre Unthat zu p2b_455.017 sühnen.“
p2b_455.018 Ungleich höher als diese die Menschen zu Puppen erniedrigende Tragödie p2b_455.019 steht Grillparzers Ahnfrau. S. A. Byk versucht diese Erstlingsdichtung Grillparzers p2b_455.020 mit dem Gesetze des tragischen Monismus in Einklang zu bringen, p2b_455.021 indem er (Physiologie des Schönen 1878. S. 279) sagt: „Wiewohl die Ahnfrau p2b_455.022 in Grillparzers gleichnamigem Trauerspiel die im Drama sich abspielenden p2b_455.023 Ereignisse nicht selbst herbeigeführt hat, so können wir doch ihrer Erscheinung p2b_455.024 die Berechtigung nicht absprechen, da erst durch sie das Spukhafte in ein Werk p2b_455.025 ewiger Gerechtigkeit umgewandelt wird, infolge dessen die unerhörten Schicksalsschläge, p2b_455.026 die auf einander folgenden Unglücksfälle, welche eine ganze Familie p2b_455.027 bis auf ihren letzten Sprößling vernichten, einen ethischen Charakter gewinnen, p2b_455.028 der uns mit ihrer Furchtbarkeit aussöhnt und die Handlung zu einem harmonischen p2b_455.029 Ganzen abschließt. Jn dieser harmonischen Gestaltgebung liegt hier die Notwendigkeit p2b_455.030 der gespenstischen Erscheinung. Die Erscheinung dieser ruhelos umherirrenden p2b_455.031 Sünderin, deren verbrecherische Liebe die einzige Ursache des Unterganges p2b_455.032 ihres Geschlechtes ist, versöhnt uns mit dem Schicksal und beruhigt p2b_455.033 unser moralisches Gewissen. Wir begreifen, daß das Unglück, welches das p2b_455.034 Haus der Borotin's heimsucht, weder das Werk einer mutwilligen Schicksalslaune, p2b_455.035 noch eine unverdient verhängte Strafe ist, sondern daß sich hier ein p2b_455.036 ethischer Reinigungsprozeß vollzieht, dessen Notwendigkeit im Wesen der ethischen p2b_455.037 Jdee selbst liegt, die ebenso, wie die physisch=organische Natur in ihrer lebendigen p2b_455.038 Thätigkeit, alles Unassimilierbare abstößt und entfernt.“ (Vgl. übrigens p2b_455.039 über die Ahnfrau Gödekes Grundriß III. 384 ff. sowie Grillparzers Werke p2b_455.040 2. Aufl. 1874 II S. 140 ff.) ─ Klarer hat schon Schopenhauer das Unterfangen, p2b_455.041 dem bloßen, reinen, offenbaren Zufall eine Absicht unterzulegen, p2b_455.042 einen Gedanken genannt (V 216), der an Verwegenheit seines Gleichen suche p2b_455.043 ─ einen Gedanken übrigens, der, je nachdem man ihn versteht, der absurdeste p2b_455.044 oder der tiefsinnigste sein kann.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/477>, abgerufen am 22.11.2024.
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