Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_112.001 Er schloß den Sarg von schwarzer Marmorglätte, p3b_112.002 p3b_112.005Ergriff die Kelle, fügte Stein an Stein p3b_112.003 Zum stillen Haus, umweht von Moderfeuchte, p3b_112.004 Und bei ihm saß der Mönch und hielt die Leuchte. Als Morgens früh des Klosters kleine Glocke p3b_112.006 Zum Beten rief, trat aus dem Kirchengang p3b_112.007 Theodorich, und auf dem Marmorblocke p3b_112.008 Der letzten Stufe horcht er nach dem Klang, p3b_112.009 Er strich von seiner heißen Stirn die Locke, p3b_112.010 Sein jugendliches Antlitz überdrang p3b_112.011 Ein tiefer Ernst und in der Morgenwolke p3b_112.012 Flog über ihm ein Adler vor dem Volke. p3b_112.013 § 42. Bildung von Sicilianen. p3b_112.014 p3b_112.017 p3b_112.018 p3b_112.021 p3b_112.024 p3b_112.026 p3b_112.027 Lösung. p3b_112.033Das Bienlein, das dem Wassertod entflogen, p3b_112.034
Wird es nicht fliehn des Wassers trügend Gleißen? p3b_112.035 Das Fischlein, von der Angel schwer betrogen, p3b_112.036 Wird es wohl wieder an den Köder beißen? p3b_112.037 Das Lamm, das du dem Wolfe hast entzogen, p3b_112.038 Wird's nicht die Sicherheit des Stalles preisen? p3b_112.039 Dein Herz nur, Mensch, das öfter schon belogen, p3b_112.040 Läßt stets aufs neue sich ins Unglück reißen. p3b_112.001 Er schloß den Sarg von schwarzer Marmorglätte, p3b_112.002 p3b_112.005Ergriff die Kelle, fügte Stein an Stein p3b_112.003 Zum stillen Haus, umweht von Moderfeuchte, p3b_112.004 Und bei ihm saß der Mönch und hielt die Leuchte. Als Morgens früh des Klosters kleine Glocke p3b_112.006 Zum Beten rief, trat aus dem Kirchengang p3b_112.007 Theodorich, und auf dem Marmorblocke p3b_112.008 Der letzten Stufe horcht er nach dem Klang, p3b_112.009 Er strich von seiner heißen Stirn die Locke, p3b_112.010 Sein jugendliches Antlitz überdrang p3b_112.011 Ein tiefer Ernst und in der Morgenwolke p3b_112.012 Flog über ihm ein Adler vor dem Volke. p3b_112.013 § 42. Bildung von Sicilianen. p3b_112.014 p3b_112.017 p3b_112.018 p3b_112.021 p3b_112.024 p3b_112.026 p3b_112.027 Lösung. p3b_112.033Das Bienlein, das dem Wassertod entflogen, p3b_112.034
Wird es nicht fliehn des Wassers trügend Gleißen? p3b_112.035 Das Fischlein, von der Angel schwer betrogen, p3b_112.036 Wird es wohl wieder an den Köder beißen? p3b_112.037 Das Lamm, das du dem Wolfe hast entzogen, p3b_112.038 Wird's nicht die Sicherheit des Stalles preisen? p3b_112.039 Dein Herz nur, Mensch, das öfter schon belogen, p3b_112.040 Läßt stets aufs neue sich ins Unglück reißen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0138" n="112"/> <lb n="p3b_112.001"/> <lg> <l>Er schloß den Sarg von schwarzer Marmorglätte,</l> <lb n="p3b_112.002"/> <l>Ergriff die Kelle, fügte Stein an Stein</l> <lb n="p3b_112.003"/> <l>Zum stillen Haus, umweht von Moderfeuchte,</l> <lb n="p3b_112.004"/> <l>Und bei ihm saß der Mönch und hielt die Leuchte. </l> </lg> <lb n="p3b_112.005"/> <lg> <l>Als Morgens früh des Klosters kleine Glocke</l> <lb n="p3b_112.006"/> <l>Zum Beten rief, trat aus dem Kirchengang</l> <lb n="p3b_112.007"/> <l>Theodorich, und auf dem Marmorblocke</l> <lb n="p3b_112.008"/> <l>Der letzten Stufe horcht er nach dem Klang,</l> <lb n="p3b_112.009"/> <l>Er strich von seiner heißen Stirn die Locke,</l> <lb n="p3b_112.010"/> <l>Sein jugendliches Antlitz überdrang</l> <lb n="p3b_112.011"/> <l>Ein tiefer Ernst und in der Morgenwolke</l> <lb n="p3b_112.012"/> <l>Flog über ihm ein Adler vor dem Volke.</l> </lg> </div> <div n="2"> <lb n="p3b_112.013"/> <head> <hi rendition="#c">§ 42. Bildung von Sicilianen.</hi> </head> <p><lb n="p3b_112.014"/> 1. Alle bei der Oktave gegebenen Vorschriften &c. haben mehr <lb n="p3b_112.015"/> oder weniger auf die Siciliane Anwendung, welche ja die Vorläuferin <lb n="p3b_112.016"/> der Oktave ist und aus 8 jambischen Verszeilen besteht, wie jene.</p> <p><lb n="p3b_112.017"/> 2. Sie schließt ihre Glieder durch den Reim zusammen (<hi rendition="#aq">ab ab ab ab</hi>).</p> <p><lb n="p3b_112.018"/> 3. Ein strophisches Charakteristikum ist bei der Siciliane nicht <lb n="p3b_112.019"/> nötig, da sie in der Regel ein für sich bestehendes, in sich abgeschlossenes <lb n="p3b_112.020"/> Ganzes, also ein fertiges Gedicht bildet.</p> <p><lb n="p3b_112.021"/> 4. Demnach schließt sie ─ wie das Schema zeigt ─ auch nicht <lb n="p3b_112.022"/> mit einem Reimpaare ab, sondern mit einer vierten aus Vorder= und <lb n="p3b_112.023"/> Nachsatz bestehenden Periode.</p> <p><lb n="p3b_112.024"/> 5. Je nach dem Jnhalt hat die Siciliane männlichen oder weiblichen <lb n="p3b_112.025"/> Reim, oder auch abwechselnden männlichen und weiblichen Reim.</p> <p> <lb n="p3b_112.026"/> <hi rendition="#g">Aufgabe.<space dim="horizontal"/>Das Menschenherz.</hi> </p> <p><lb n="p3b_112.027"/><hi rendition="#g">Stoff.</hi> Ein dem Wassertod entflogenes Bienchen wird das trügerische <lb n="p3b_112.028"/> Gleißen des Wassers meiden; │ ein durch die Angel belogenes Fischlein wird <lb n="p3b_112.029"/> nicht mehr an den Köder gehen; │ ein Lamm, das man dem Wolf entrissen, <lb n="p3b_112.030"/> wird gern im schützenden Stalle bleiben; │ nur das so oft betrogene Menschenherz <lb n="p3b_112.031"/> läßt sich immer von neuem ins Unglück ziehen. │</p> <lb n="p3b_112.032"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Lösung.</hi> </hi> </p> <lb n="p3b_112.033"/> <lg> <l>Das Bienlein, das dem Wassertod entflogen,</l> <lb n="p3b_112.034"/> <l>Wird es nicht fliehn des Wassers trügend Gleißen?</l> <lb n="p3b_112.035"/> <l>Das Fischlein, von der Angel schwer betrogen,</l> <lb n="p3b_112.036"/> <l>Wird es wohl wieder an den Köder beißen?</l> <lb n="p3b_112.037"/> <l>Das Lamm, das du dem Wolfe hast entzogen,</l> <lb n="p3b_112.038"/> <l>Wird's nicht die Sicherheit des Stalles preisen?</l> <lb n="p3b_112.039"/> <l>Dein Herz nur, Mensch, das öfter schon belogen,</l> <lb n="p3b_112.040"/> <l>Läßt stets aufs neue sich ins Unglück reißen.</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [112/0138]
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Er schloß den Sarg von schwarzer Marmorglätte, p3b_112.002
Ergriff die Kelle, fügte Stein an Stein p3b_112.003
Zum stillen Haus, umweht von Moderfeuchte, p3b_112.004
Und bei ihm saß der Mönch und hielt die Leuchte.
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Als Morgens früh des Klosters kleine Glocke p3b_112.006
Zum Beten rief, trat aus dem Kirchengang p3b_112.007
Theodorich, und auf dem Marmorblocke p3b_112.008
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Er strich von seiner heißen Stirn die Locke, p3b_112.010
Sein jugendliches Antlitz überdrang p3b_112.011
Ein tiefer Ernst und in der Morgenwolke p3b_112.012
Flog über ihm ein Adler vor dem Volke.
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§ 42. Bildung von Sicilianen. p3b_112.014
1. Alle bei der Oktave gegebenen Vorschriften &c. haben mehr p3b_112.015
oder weniger auf die Siciliane Anwendung, welche ja die Vorläuferin p3b_112.016
der Oktave ist und aus 8 jambischen Verszeilen besteht, wie jene.
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2. Sie schließt ihre Glieder durch den Reim zusammen (ab ab ab ab).
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3. Ein strophisches Charakteristikum ist bei der Siciliane nicht p3b_112.019
nötig, da sie in der Regel ein für sich bestehendes, in sich abgeschlossenes p3b_112.020
Ganzes, also ein fertiges Gedicht bildet.
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4. Demnach schließt sie ─ wie das Schema zeigt ─ auch nicht p3b_112.022
mit einem Reimpaare ab, sondern mit einer vierten aus Vorder= und p3b_112.023
Nachsatz bestehenden Periode.
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5. Je nach dem Jnhalt hat die Siciliane männlichen oder weiblichen p3b_112.025
Reim, oder auch abwechselnden männlichen und weiblichen Reim.
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Aufgabe. Das Menschenherz.
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Stoff. Ein dem Wassertod entflogenes Bienchen wird das trügerische p3b_112.028
Gleißen des Wassers meiden; │ ein durch die Angel belogenes Fischlein wird p3b_112.029
nicht mehr an den Köder gehen; │ ein Lamm, das man dem Wolf entrissen, p3b_112.030
wird gern im schützenden Stalle bleiben; │ nur das so oft betrogene Menschenherz p3b_112.031
läßt sich immer von neuem ins Unglück ziehen. │
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Lösung.
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Das Bienlein, das dem Wassertod entflogen, p3b_112.034
Wird es nicht fliehn des Wassers trügend Gleißen? p3b_112.035
Das Fischlein, von der Angel schwer betrogen, p3b_112.036
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Läßt stets aufs neue sich ins Unglück reißen.
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