Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_IV.001 p3b_IV.003 p3b_IV.020 p3b_IV.001 p3b_IV.003 p3b_IV.020 <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="RIV"/><lb n="p3b_IV.001"/> lernen, als er es ohne Schriftsteller werden zu sollen ─ zur Herstellung <lb n="p3b_IV.002"/> eines guten Prosastücks zu bringen vermag.</p> <p><lb n="p3b_IV.003"/> Es soll freilich nicht behauptet werden, daß Schulung an sich <lb n="p3b_IV.004"/> zum guten klassischen Gedichte führen <hi rendition="#g">müsse,</hi> daß also einzig und <lb n="p3b_IV.005"/> allein die Virtuosität in der Technik den großen Dichter mache. Wir <lb n="p3b_IV.006"/> Deutsche verlangen vom Dichter neben Virtuosität in der Technik noch <lb n="p3b_IV.007"/> Tiefe und Gediegenheit des Gedankens; diesen kann nur derjenige mit <lb n="p3b_IV.008"/> der Form verschmelzen, welcher die Melodie aus dem Rhythmus und <lb n="p3b_IV.009"/> das Feuer der Begeisterung aus dem Wohllaut der Metapher durch <lb n="p3b_IV.010"/> seinen zur Klarheit, Lebendigkeit und Gewandtheit des Geistes und <lb n="p3b_IV.011"/> der Phantasie führenden, poetischen Entwickelungsgang seinem geistigen <lb n="p3b_IV.012"/> Jch vermählt hat. Einen jeden zum großen Dichter bilden zu wollen, <lb n="p3b_IV.013"/> dürfte überhaupt und im allgemeinen eine unlösbare Aufgabe sein, <lb n="p3b_IV.014"/> weil ja neben Anleitung zum Vers- und Strophenbau der ganze <lb n="p3b_IV.015"/> Bildungsgang in Betracht kommt. <hi rendition="#g">Aber einen phantasiereichen <lb n="p3b_IV.016"/> Menschen, einen talentvollen, harmonisch entwickelten Jüngling, <lb n="p3b_IV.017"/> eine dem Jdealen zustrebende Jungfrau auf Pfade zu <lb n="p3b_IV.018"/> leiten, auf denen unsere klassischen Dichter Großes leisteten, <lb n="p3b_IV.019"/> das muß eine würdige,</hi> ─ <hi rendition="#g">eine lohnende Aufgabe sein!</hi></p> <p><lb n="p3b_IV.020"/> Noch nach einer anderen Richtung möchte der vorliegende Band <lb n="p3b_IV.021"/> eine eigenartige Stellung und Bedeutung beanspruchen. Durch Behandlung, <lb n="p3b_IV.022"/> Einteilung und Gruppierung des dichterischen Stoffes erwächst <lb n="p3b_IV.023"/> nämlich dem Lernenden Kenntnis vom Bau der Sprache und der <lb n="p3b_IV.024"/> Dichtungen, sowie Einsicht in Gesetz und Regel; er lernt das Schöne <lb n="p3b_IV.025"/> in Form und Jnhalt empfinden; es tritt ihm die Anschaulichkeit und <lb n="p3b_IV.026"/> Feinheit des dichterischen Gegenstandes wie der Unterschied in der <lb n="p3b_IV.027"/> dichterischen Stilhöhe entgegen; er ist veranlaßt, die Laute in ihrer <lb n="p3b_IV.028"/> Mischung und Anordnung zu vergleichen, die Härten zu vermeiden, <lb n="p3b_IV.029"/> das jeweilige Reim-Echo behufs Erreichung zierender Reime zu prüfen, <lb n="p3b_IV.030"/> in den Geist der Strophik im Hinblick auf Stoff und Form einzudringen <lb n="p3b_IV.031"/> u. a. m. Ohne Zweifel wird dadurch der frische, lebendige, <lb n="p3b_IV.032"/> sprachliche Ausdruck begünstigt oder gefördert, die Fähigkeit form= und <lb n="p3b_IV.033"/> inhaltsvoller Darstellung von Jdeen und Gefühlen gesteigert, das Urteil <lb n="p3b_IV.034"/> erweitert, der ästhetische Geschmack veredelt, die Phantasie belebt und <lb n="p3b_IV.035"/> somit der Lernende ─ ohne jegliche poetische Fiktion ─ mehr als <lb n="p3b_IV.036"/> durch irgend eine andere Unterrichtsdisciplin in eine höhere Sphäre <lb n="p3b_IV.037"/> menschlichen idealen Seins und ästhetischen Fühlens emporgehoben. </p> </div> </front> </text> </TEI> [RIV/0014]
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lernen, als er es ohne Schriftsteller werden zu sollen ─ zur Herstellung p3b_IV.002
eines guten Prosastücks zu bringen vermag.
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Es soll freilich nicht behauptet werden, daß Schulung an sich p3b_IV.004
zum guten klassischen Gedichte führen müsse, daß also einzig und p3b_IV.005
allein die Virtuosität in der Technik den großen Dichter mache. Wir p3b_IV.006
Deutsche verlangen vom Dichter neben Virtuosität in der Technik noch p3b_IV.007
Tiefe und Gediegenheit des Gedankens; diesen kann nur derjenige mit p3b_IV.008
der Form verschmelzen, welcher die Melodie aus dem Rhythmus und p3b_IV.009
das Feuer der Begeisterung aus dem Wohllaut der Metapher durch p3b_IV.010
seinen zur Klarheit, Lebendigkeit und Gewandtheit des Geistes und p3b_IV.011
der Phantasie führenden, poetischen Entwickelungsgang seinem geistigen p3b_IV.012
Jch vermählt hat. Einen jeden zum großen Dichter bilden zu wollen, p3b_IV.013
dürfte überhaupt und im allgemeinen eine unlösbare Aufgabe sein, p3b_IV.014
weil ja neben Anleitung zum Vers- und Strophenbau der ganze p3b_IV.015
Bildungsgang in Betracht kommt. Aber einen phantasiereichen p3b_IV.016
Menschen, einen talentvollen, harmonisch entwickelten Jüngling, p3b_IV.017
eine dem Jdealen zustrebende Jungfrau auf Pfade zu p3b_IV.018
leiten, auf denen unsere klassischen Dichter Großes leisteten, p3b_IV.019
das muß eine würdige, ─ eine lohnende Aufgabe sein!
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Noch nach einer anderen Richtung möchte der vorliegende Band p3b_IV.021
eine eigenartige Stellung und Bedeutung beanspruchen. Durch Behandlung, p3b_IV.022
Einteilung und Gruppierung des dichterischen Stoffes erwächst p3b_IV.023
nämlich dem Lernenden Kenntnis vom Bau der Sprache und der p3b_IV.024
Dichtungen, sowie Einsicht in Gesetz und Regel; er lernt das Schöne p3b_IV.025
in Form und Jnhalt empfinden; es tritt ihm die Anschaulichkeit und p3b_IV.026
Feinheit des dichterischen Gegenstandes wie der Unterschied in der p3b_IV.027
dichterischen Stilhöhe entgegen; er ist veranlaßt, die Laute in ihrer p3b_IV.028
Mischung und Anordnung zu vergleichen, die Härten zu vermeiden, p3b_IV.029
das jeweilige Reim-Echo behufs Erreichung zierender Reime zu prüfen, p3b_IV.030
in den Geist der Strophik im Hinblick auf Stoff und Form einzudringen p3b_IV.031
u. a. m. Ohne Zweifel wird dadurch der frische, lebendige, p3b_IV.032
sprachliche Ausdruck begünstigt oder gefördert, die Fähigkeit form= und p3b_IV.033
inhaltsvoller Darstellung von Jdeen und Gefühlen gesteigert, das Urteil p3b_IV.034
erweitert, der ästhetische Geschmack veredelt, die Phantasie belebt und p3b_IV.035
somit der Lernende ─ ohne jegliche poetische Fiktion ─ mehr als p3b_IV.036
durch irgend eine andere Unterrichtsdisciplin in eine höhere Sphäre p3b_IV.037
menschlichen idealen Seins und ästhetischen Fühlens emporgehoben.
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