Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_245.001 p3b_245.006 p3b_245.008 p3b_245.011 p3b_245.014 p3b_245.021 p3b_245.032 p3b_245.035 p3b_245.038 p3b_245.040 p3b_245.001 p3b_245.006 p3b_245.008 p3b_245.011 p3b_245.014 p3b_245.021 p3b_245.032 p3b_245.035 p3b_245.038 p3b_245.040 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0271" n="245"/><lb n="p3b_245.001"/> befolgen hätten, als die, eine gewisse Silbenzahl abzumessen, und außerdem <lb n="p3b_245.002"/> etwa noch an gewissen Stellen Cäsuren eintreten zu lassen. Vielmehr liegt <lb n="p3b_245.003"/> einem jeden französischen Gedicht irgend ein bestimmter Rhythmus zu Grunde; <lb n="p3b_245.004"/> und wer etwa ein Gedicht in gebundener Rede schön vortragen wollte, der <lb n="p3b_245.005"/> hätte dies wohl zu beachten. Dies ist auch für den Übersetzer wichtig.</p> <p><lb n="p3b_245.006"/> 2. Vorherrschend ist der jambische und der jambisch=anapästische Rhythmus, <lb n="p3b_245.007"/> daneben macht sich auch der Trochäus geltend.</p> <p><lb n="p3b_245.008"/> 3. Da der Alexandriner der Nationalvers der Franzosen ist, bei uns <lb n="p3b_245.009"/> aber der jambische Quinar, so wird am häufigsten aus dem Alexandriner in <lb n="p3b_245.010"/> unseren jambischen Quinar übersetzt. Es empfiehlt sich, Versuche anzustellen.</p> <p><lb n="p3b_245.011"/> 4. Die Übertragung ist nicht so leicht, da der Alexandriner länger ist, <lb n="p3b_245.012"/> als der Quinar. Es muß somit in der Übersetzung um je einen Takt gekürzt <lb n="p3b_245.013"/> werden.</p> <p><lb n="p3b_245.014"/> 5. Geht dies nicht an, so kommt der letzte (6.) Takt des Alexandriners <lb n="p3b_245.015"/> bei der Übersetzung in den ersten Takt des 2. Quinars zu stehen, und dieser <lb n="p3b_245.016"/> hat nun (mit den noch folgenden 4 Takten) den 2. Alexandriner des Urbilds <lb n="p3b_245.017"/> zu bieten. Geht auch dies nicht, so müssen vier weitere Alexandriner unverkürzt <lb n="p3b_245.018"/> gegeben werden, um durch die überschüssigen Takte einen Quinar mehr zu erhalten. <lb n="p3b_245.019"/> Oder aber muß der Übersetzer die vier leeren Takte jedes zweiten <lb n="p3b_245.020"/> Übersetzungsquinars durch einen willkürlichen Zusatz ausfüllen.</p> <p><lb n="p3b_245.021"/> 6. Schiller, der uns Racine's <hi rendition="#aq">Phèdre</hi> im jambischen Quinar übertrug, <lb n="p3b_245.022"/> sagt in einem Briefe (vom 25. Oktober 1799) an Goethe: „Wie die Geige <lb n="p3b_245.023"/> des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zweischenkelichte <lb n="p3b_245.024"/> Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und die Gedanken. <lb n="p3b_245.025"/> Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert, und jedes Gefühl, jeder Gedanke <lb n="p3b_245.026"/> in diese Form, wie in das Bett des Prokrustes, gezwängt. Wird nun <lb n="p3b_245.027"/> in der Übersetzung mit Aufhebung des alexandrinischen Metrums die ganze <lb n="p3b_245.028"/> Basis weggenommen, worauf diese Stücke erbaut wurden, so können nur Trümmer <lb n="p3b_245.029"/> übrig bleiben.“ Schiller hat aber durch seine Übersetzung gezeigt, daß aus <lb n="p3b_245.030"/> den Trümmern etwas zu machen war, und daß somit seine Klage ebenso unmotiviert <lb n="p3b_245.031"/> war, als die Goethe's über unsere Sprache. (Vgl. <hi rendition="#aq">I</hi>, 134 dieser Poetik.)</p> <p><lb n="p3b_245.032"/> 7. Es handelt sich in der Übersetzung weniger um die gleiche Taktzahl <lb n="p3b_245.033"/> im ganzen, als um vernünftige Benützung der Freiheit, vom Originalvers abzuweichen.</p> <lb n="p3b_245.034"/> <p><lb n="p3b_245.035"/> 8. Der Lernende wird gut thun, zuerst eine treue Prosaübersetzung herzustellen, <lb n="p3b_245.036"/> bei welcher er die einzelnen Alexandriner durch Striche abgrenzt, um <lb n="p3b_245.037"/> sodann die Übertragung in Blankverse zu versuchen.</p> <p><lb n="p3b_245.038"/> 9. Er wähle z. B. Racine's <hi rendition="#aq">Phèdre</hi>, präge sich immer eine Scene ein <lb n="p3b_245.039"/> und beginne seine Übersetzung, indem er zuletzt Schillers Übertragung vergleicht.</p> <p><lb n="p3b_245.040"/> 10. Leichter ist die Übersetzung von Alexandrinern in Alexandriner. Wir <lb n="p3b_245.041"/> empfehlen für einen Versuch das bekannte Moli<hi rendition="#aq">è</hi>re'sche Lustspiel „Die gelehrten <lb n="p3b_245.042"/> Frauen“, wobei die leicht zugängliche Übersetzung von Laun verglichen werden <lb n="p3b_245.043"/> kann. Hierbei ist freilich zu beachten, daß Laun von der französischen Grundregel <lb n="p3b_245.044"/> abweicht, die stets ein männliches auf ein weibliches Reimpaar folgen läßt </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0271]
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befolgen hätten, als die, eine gewisse Silbenzahl abzumessen, und außerdem p3b_245.002
etwa noch an gewissen Stellen Cäsuren eintreten zu lassen. Vielmehr liegt p3b_245.003
einem jeden französischen Gedicht irgend ein bestimmter Rhythmus zu Grunde; p3b_245.004
und wer etwa ein Gedicht in gebundener Rede schön vortragen wollte, der p3b_245.005
hätte dies wohl zu beachten. Dies ist auch für den Übersetzer wichtig.
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2. Vorherrschend ist der jambische und der jambisch=anapästische Rhythmus, p3b_245.007
daneben macht sich auch der Trochäus geltend.
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3. Da der Alexandriner der Nationalvers der Franzosen ist, bei uns p3b_245.009
aber der jambische Quinar, so wird am häufigsten aus dem Alexandriner in p3b_245.010
unseren jambischen Quinar übersetzt. Es empfiehlt sich, Versuche anzustellen.
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4. Die Übertragung ist nicht so leicht, da der Alexandriner länger ist, p3b_245.012
als der Quinar. Es muß somit in der Übersetzung um je einen Takt gekürzt p3b_245.013
werden.
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bei der Übersetzung in den ersten Takt des 2. Quinars zu stehen, und dieser p3b_245.016
hat nun (mit den noch folgenden 4 Takten) den 2. Alexandriner des Urbilds p3b_245.017
zu bieten. Geht auch dies nicht, so müssen vier weitere Alexandriner unverkürzt p3b_245.018
gegeben werden, um durch die überschüssigen Takte einen Quinar mehr zu erhalten. p3b_245.019
Oder aber muß der Übersetzer die vier leeren Takte jedes zweiten p3b_245.020
Übersetzungsquinars durch einen willkürlichen Zusatz ausfüllen.
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6. Schiller, der uns Racine's Phèdre im jambischen Quinar übertrug, p3b_245.022
sagt in einem Briefe (vom 25. Oktober 1799) an Goethe: „Wie die Geige p3b_245.023
des Musikanten die Bewegungen der Tänzer leitet, so auch die zweischenkelichte p3b_245.024
Natur des Alexandriners die Bewegungen des Gemüts und die Gedanken. p3b_245.025
Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert, und jedes Gefühl, jeder Gedanke p3b_245.026
in diese Form, wie in das Bett des Prokrustes, gezwängt. Wird nun p3b_245.027
in der Übersetzung mit Aufhebung des alexandrinischen Metrums die ganze p3b_245.028
Basis weggenommen, worauf diese Stücke erbaut wurden, so können nur Trümmer p3b_245.029
übrig bleiben.“ Schiller hat aber durch seine Übersetzung gezeigt, daß aus p3b_245.030
den Trümmern etwas zu machen war, und daß somit seine Klage ebenso unmotiviert p3b_245.031
war, als die Goethe's über unsere Sprache. (Vgl. I, 134 dieser Poetik.)
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7. Es handelt sich in der Übersetzung weniger um die gleiche Taktzahl p3b_245.033
im ganzen, als um vernünftige Benützung der Freiheit, vom Originalvers abzuweichen.
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8. Der Lernende wird gut thun, zuerst eine treue Prosaübersetzung herzustellen, p3b_245.036
bei welcher er die einzelnen Alexandriner durch Striche abgrenzt, um p3b_245.037
sodann die Übertragung in Blankverse zu versuchen.
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9. Er wähle z. B. Racine's Phèdre, präge sich immer eine Scene ein p3b_245.039
und beginne seine Übersetzung, indem er zuletzt Schillers Übertragung vergleicht.
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10. Leichter ist die Übersetzung von Alexandrinern in Alexandriner. Wir p3b_245.041
empfehlen für einen Versuch das bekannte Molière'sche Lustspiel „Die gelehrten p3b_245.042
Frauen“, wobei die leicht zugängliche Übersetzung von Laun verglichen werden p3b_245.043
kann. Hierbei ist freilich zu beachten, daß Laun von der französischen Grundregel p3b_245.044
abweicht, die stets ein männliches auf ein weibliches Reimpaar folgen läßt
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