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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
Und wenn ihr Sünde sagt, so sündigt Gott.
Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott,
Von dem ihr sprecht; er ist kein lieber Gott:
Ein böser Gott! -- Ach Gott, er ist ja nicht!
[Abbildung]

Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und
ließ sich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war,
bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als
jener, denn er hatte vielmehr Verstand und war
wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er
Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zustatten,
daß er alle die zu frühe Gedankenkost kühl in sich
aufnahm, während sie Stilpe heiß verschlang.
Auch ließ er sich, trotz seiner Jugend, nicht so
leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel
Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken
hatte, so nahm er das doch schon mit einer Art
von Kennerschnalzen hin, während Stilpe sofort
wie überschüttet und überglänzt war und Alles
am liebsten gleich subjektiv für sich zur That ge¬
macht hätte.

Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, so
auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬

Stilpe.
Und wenn ihr Sünde ſagt, ſo ſündigt Gott.
Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott,
Von dem ihr ſprecht; er iſt kein lieber Gott:
Ein böſer Gott! — Ach Gott, er iſt ja nicht!
[Abbildung]

Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und
ließ ſich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war,
bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als
jener, denn er hatte vielmehr Verſtand und war
wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er
Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zuſtatten,
daß er alle die zu frühe Gedankenkoſt kühl in ſich
aufnahm, während ſie Stilpe heiß verſchlang.
Auch ließ er ſich, trotz ſeiner Jugend, nicht ſo
leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel
Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken
hatte, ſo nahm er das doch ſchon mit einer Art
von Kennerſchnalzen hin, während Stilpe ſofort
wie überſchüttet und überglänzt war und Alles
am liebſten gleich ſubjektiv für ſich zur That ge¬
macht hätte.

Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, ſo
auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬

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[100/0114] Stilpe. Und wenn ihr Sünde ſagt, ſo ſündigt Gott. Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott, Von dem ihr ſprecht; er iſt kein lieber Gott: Ein böſer Gott! — Ach Gott, er iſt ja nicht! [Abbildung] Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und ließ ſich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war, bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als jener, denn er hatte vielmehr Verſtand und war wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zuſtatten, daß er alle die zu frühe Gedankenkoſt kühl in ſich aufnahm, während ſie Stilpe heiß verſchlang. Auch ließ er ſich, trotz ſeiner Jugend, nicht ſo leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken hatte, ſo nahm er das doch ſchon mit einer Art von Kennerſchnalzen hin, während Stilpe ſofort wie überſchüttet und überglänzt war und Alles am liebſten gleich ſubjektiv für ſich zur That ge¬ macht hätte. Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, ſo auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/114>, abgerufen am 30.11.2024.