stellen, als wofür Du uns hältst. Du weißt so gut wie wir, daß Schaunard ein Psychologe von vielen Graden ist. Er hat diesen fürtrefflichen Geheimrat blos sehr gut erkannt. Denn siehe da: Schon ist er zu einer Privataudienz zurückbehalten worden!
Der das sagte, war ein dürrer brünetter Mensch mit einer sehr schönen Nase und wunderschönen braunen Augen, die leider hinter sehr starken Klemmergläsern saßen. Er ging etwas gebückt, aber nicht aus irgend einem körperlichen Grunde, sondern aus philosophischer Koketterie. Es wäre ihm ein Vergnügen gewesen, buckelig zu sein.
-- Marcel hat Recht. Schläue und abermals Schläue! Heute hat Schaunard seinen Abitur ge¬ macht, sag ich! Das Backpflaumenmännchen hat sich in ihn verliebt und wird ihn trotz allen kon¬ rektoralen Gekrähes und Geheules durchschleppen. Wetten?
Der so sprach, war ein sehr jung und zart aussehender Jüngling, der sich aber ein bischen renommistisch geberdete und damit den knabenhaften Eindruck seiner Person zu verwischen suchte. Auf¬ fällig an ihm war seine Haarfrisur, die etwas an die napoleonische Zeit erinnerte, wo man es
Zweites Buch, fünftes Kapitel.
ſtellen, als wofür Du uns hältſt. Du weißt ſo gut wie wir, daß Schaunard ein Pſychologe von vielen Graden iſt. Er hat dieſen fürtrefflichen Geheimrat blos ſehr gut erkannt. Denn ſiehe da: Schon iſt er zu einer Privataudienz zurückbehalten worden!
Der das ſagte, war ein dürrer brünetter Menſch mit einer ſehr ſchönen Naſe und wunderſchönen braunen Augen, die leider hinter ſehr ſtarken Klemmergläſern ſaßen. Er ging etwas gebückt, aber nicht aus irgend einem körperlichen Grunde, ſondern aus philoſophiſcher Koketterie. Es wäre ihm ein Vergnügen geweſen, buckelig zu ſein.
— Marcel hat Recht. Schläue und abermals Schläue! Heute hat Schaunard ſeinen Abitur ge¬ macht, ſag ich! Das Backpflaumenmännchen hat ſich in ihn verliebt und wird ihn trotz allen kon¬ rektoralen Gekrähes und Geheules durchſchleppen. Wetten?
Der ſo ſprach, war ein ſehr jung und zart ausſehender Jüngling, der ſich aber ein bischen renommiſtiſch geberdete und damit den knabenhaften Eindruck ſeiner Perſon zu verwiſchen ſuchte. Auf¬ fällig an ihm war ſeine Haarfriſur, die etwas an die napoleoniſche Zeit erinnerte, wo man es
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Zweites Buch, fünftes Kapitel.
ſtellen, als wofür Du uns hältſt. Du weißt ſo
gut wie wir, daß Schaunard ein Pſychologe von
vielen Graden iſt. Er hat dieſen fürtrefflichen
Geheimrat blos ſehr gut erkannt. Denn ſiehe da:
Schon iſt er zu einer Privataudienz zurückbehalten
worden!
Der das ſagte, war ein dürrer brünetter Menſch
mit einer ſehr ſchönen Naſe und wunderſchönen
braunen Augen, die leider hinter ſehr ſtarken
Klemmergläſern ſaßen. Er ging etwas gebückt,
aber nicht aus irgend einem körperlichen Grunde,
ſondern aus philoſophiſcher Koketterie. Es wäre
ihm ein Vergnügen geweſen, buckelig zu ſein.
— Marcel hat Recht. Schläue und abermals
Schläue! Heute hat Schaunard ſeinen Abitur ge¬
macht, ſag ich! Das Backpflaumenmännchen hat
ſich in ihn verliebt und wird ihn trotz allen kon¬
rektoralen Gekrähes und Geheules durchſchleppen.
Wetten?
Der ſo ſprach, war ein ſehr jung und zart
ausſehender Jüngling, der ſich aber ein bischen
renommiſtiſch geberdete und damit den knabenhaften
Eindruck ſeiner Perſon zu verwiſchen ſuchte. Auf¬
fällig an ihm war ſeine Haarfriſur, die etwas an
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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/179>, abgerufen am 28.11.2024.
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