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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
klub auflösen, dem Naturalismus Lebewohl sagen
und den Müsettismus proklamieren! (Alle mög¬
lichen Rufe durcheinander: Wieso!? Was ist
das!? Nur nicht so fix!? Wo hast Du denn
das her?)

Und nun erging sich Stilpe in einer Schil¬
derung der Mürgerschen Boheme, als eines
Musters für alle künstlerischen Seelen, die nicht
blos von Kunst reden, sondern Kunst leben
wollten.

Natürlich sei "dieser Haufen Steine hier" nicht
Paris, und sie selber seien ja noch für elf Monate
"Geisteigene verschiedener patentierter Knaben¬
erzieher", aber der Grundgedanke dieses vorbild¬
lichen Lebens: Die Verbindung von Kunst und
Genuß, von revolutionärem Streben und "Lache¬
sinn" (das Wort wurde beanstandet), kurz das, was
er Müsettismus nenne, der müsse und könne ge¬
pflegt werden.

Um praktisch zu reden: Man müsse, statt
über Naturalismus zu debattieren, in fröhlichen
Zusammenkünften brav trinken und eigene Lieder
singen, man müsse sich entsprechende Mädchen bei¬
legen, kurz man müsse nicht blos in Worten, sondern
in Werken "bald zwanzig" sein. So erst werde

Stilpe.
klub auflöſen, dem Naturalismus Lebewohl ſagen
und den Müſettismus proklamieren! (Alle mög¬
lichen Rufe durcheinander: Wieſo!? Was iſt
das!? Nur nicht ſo fix!? Wo haſt Du denn
das her?)

Und nun erging ſich Stilpe in einer Schil¬
derung der Mürgerſchen Bohème, als eines
Muſters für alle künſtleriſchen Seelen, die nicht
blos von Kunſt reden, ſondern Kunſt leben
wollten.

Natürlich ſei „dieſer Haufen Steine hier“ nicht
Paris, und ſie ſelber ſeien ja noch für elf Monate
„Geiſteigene verſchiedener patentierter Knaben¬
erzieher“, aber der Grundgedanke dieſes vorbild¬
lichen Lebens: Die Verbindung von Kunſt und
Genuß, von revolutionärem Streben und „Lache¬
ſinn“ (das Wort wurde beanſtandet), kurz das, was
er Müſettismus nenne, der müſſe und könne ge¬
pflegt werden.

Um praktiſch zu reden: Man müſſe, ſtatt
über Naturalismus zu debattieren, in fröhlichen
Zuſammenkünften brav trinken und eigene Lieder
ſingen, man müſſe ſich entſprechende Mädchen bei¬
legen, kurz man müſſe nicht blos in Worten, ſondern
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[182/0196] Stilpe. klub auflöſen, dem Naturalismus Lebewohl ſagen und den Müſettismus proklamieren! (Alle mög¬ lichen Rufe durcheinander: Wieſo!? Was iſt das!? Nur nicht ſo fix!? Wo haſt Du denn das her?) Und nun erging ſich Stilpe in einer Schil¬ derung der Mürgerſchen Bohème, als eines Muſters für alle künſtleriſchen Seelen, die nicht blos von Kunſt reden, ſondern Kunſt leben wollten. Natürlich ſei „dieſer Haufen Steine hier“ nicht Paris, und ſie ſelber ſeien ja noch für elf Monate „Geiſteigene verſchiedener patentierter Knaben¬ erzieher“, aber der Grundgedanke dieſes vorbild¬ lichen Lebens: Die Verbindung von Kunſt und Genuß, von revolutionärem Streben und „Lache¬ ſinn“ (das Wort wurde beanſtandet), kurz das, was er Müſettismus nenne, der müſſe und könne ge¬ pflegt werden. Um praktiſch zu reden: Man müſſe, ſtatt über Naturalismus zu debattieren, in fröhlichen Zuſammenkünften brav trinken und eigene Lieder ſingen, man müſſe ſich entſprechende Mädchen bei¬ legen, kurz man müſſe nicht blos in Worten, ſondern in Werken „bald zwanzig“ ſein. So erſt werde

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/196>, abgerufen am 23.11.2024.