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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.

Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen
Feuerkugel (Einst wohnte Goethe hier -- jetzt Wir!)
drei Treppen hoch und bestand aus einem mäßig
großen Zimmer und einem Alkoven.

-- Der einzige Fehler dieser Bude ist, pflegte
Stilpe zu sagen, daß sie gerade Wände hat. Schiefe
Wände wären stimmungsvoller. Aber man beachte
die charaktervolle Schäbigkeit der Ausstattung! Wer
angesichts dieses pöbelhaften Sophas, dieser kontrakten
Stühle, dieses ewig wackelnden Tisches und dieses
immer aufklaffenden Kleidersargs, von dem infamen
"Napoleon in der Schlacht bei Leipzig" ganz zu
schweigen, daran dächte, hier die Miete nicht
schuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloser Barbar
genannt werden. Was aber das Bett anlangt,
meine Lieben, so giebt es keine vorlautere Bestie
als dies. Es quietscht schon, wenn man es an¬
sieht, geschweige denn . . . aber das ist ein rein
musikalisches Thema.

In dieser Wohnung also, die wirklich abscheu¬
lich war, versammelte sich am folgenden Sonntage
das Cenacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme
des Philologen Lehmann, der soviel Geschmack am
Cenacle genommen hatte, daß er sich selber an den
gröbsten Verhöhnungen seiner Person beteiligte.

Stilpe.

Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen
Feuerkugel (Einſt wohnte Goethe hier — jetzt Wir!)
drei Treppen hoch und beſtand aus einem mäßig
großen Zimmer und einem Alkoven.

— Der einzige Fehler dieſer Bude iſt, pflegte
Stilpe zu ſagen, daß ſie gerade Wände hat. Schiefe
Wände wären ſtimmungsvoller. Aber man beachte
die charaktervolle Schäbigkeit der Ausſtattung! Wer
angeſichts dieſes pöbelhaften Sophas, dieſer kontrakten
Stühle, dieſes ewig wackelnden Tiſches und dieſes
immer aufklaffenden Kleiderſargs, von dem infamen
„Napoleon in der Schlacht bei Leipzig“ ganz zu
ſchweigen, daran dächte, hier die Miete nicht
ſchuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloſer Barbar
genannt werden. Was aber das Bett anlangt,
meine Lieben, ſo giebt es keine vorlautere Beſtie
als dies. Es quietſcht ſchon, wenn man es an¬
ſieht, geſchweige denn . . . aber das iſt ein rein
muſikaliſches Thema.

In dieſer Wohnung alſo, die wirklich abſcheu¬
lich war, verſammelte ſich am folgenden Sonntage
das Cénacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme
des Philologen Lehmann, der ſoviel Geſchmack am
Cénacle genommen hatte, daß er ſich ſelber an den
gröbſten Verhöhnungen ſeiner Perſon beteiligte.

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[258/0272] Stilpe. Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen Feuerkugel (Einſt wohnte Goethe hier — jetzt Wir!) drei Treppen hoch und beſtand aus einem mäßig großen Zimmer und einem Alkoven. — Der einzige Fehler dieſer Bude iſt, pflegte Stilpe zu ſagen, daß ſie gerade Wände hat. Schiefe Wände wären ſtimmungsvoller. Aber man beachte die charaktervolle Schäbigkeit der Ausſtattung! Wer angeſichts dieſes pöbelhaften Sophas, dieſer kontrakten Stühle, dieſes ewig wackelnden Tiſches und dieſes immer aufklaffenden Kleiderſargs, von dem infamen „Napoleon in der Schlacht bei Leipzig“ ganz zu ſchweigen, daran dächte, hier die Miete nicht ſchuldig zu bleiben, müßte ein gefühlloſer Barbar genannt werden. Was aber das Bett anlangt, meine Lieben, ſo giebt es keine vorlautere Beſtie als dies. Es quietſcht ſchon, wenn man es an¬ ſieht, geſchweige denn . . . aber das iſt ein rein muſikaliſches Thema. In dieſer Wohnung alſo, die wirklich abſcheu¬ lich war, verſammelte ſich am folgenden Sonntage das Cénacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme des Philologen Lehmann, der ſoviel Geſchmack am Cénacle genommen hatte, daß er ſich ſelber an den gröbſten Verhöhnungen ſeiner Perſon beteiligte.

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/272>, abgerufen am 22.11.2024.