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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.

Da aber gefiel es Stilpen gut. Hier fühlte
er sich zu Hause. Das war nach seinem Ge¬
schmack: Ein schmuckloses Zimmer mit abgenutzten
Möbeln, die er nicht mit besonderer Schonung zu
behandeln brauchte; zu Nachbarn Garcons wie er,
Studenten, Künstler und ein "besseres Mädchen";
die Hausordnung dementsprechend liberal, die
Wirtin desgleichen.

-- Ein guter Dunstkreis, hatte er gesagt, wie er
die Wohnung bezog; hier laßt uns die Götter
locken mit Pfeifen und klingenden Gläsern.

Er hatte gleich seine alte Frechheit wieder, die
er so lange unter einer anderen hatte verbergen
müssen. Es fehlten ihm nur noch die Genossen.

Aber sein Aufruf am Schluß des Tintensumpfs:
An das bischen Boheme in Berlin! hatte bald
gezogen. Es kamen sogar sehr viel mehr, als er
gewünscht hatte, und vor Allem kamen sehr viele
falsche Bohemeleute, unglaubliches Volk voll inner¬
licher Philistrosität, Theorieenaushecker, Weltver¬
besserer, Pseudoanarchisten, auch einige lebendige
Beispiele aus Krafft-Ebings Psychopathia sexu¬
alis: Alles, was irgendwie in der Welt nicht
zurechtkam, glaubte zur Boheme zu gehören und
im Verfasser des Tintensumpfs den Mann ge¬

Stilpe.

Da aber gefiel es Stilpen gut. Hier fühlte
er ſich zu Hauſe. Das war nach ſeinem Ge¬
ſchmack: Ein ſchmuckloſes Zimmer mit abgenutzten
Möbeln, die er nicht mit beſonderer Schonung zu
behandeln brauchte; zu Nachbarn Garçons wie er,
Studenten, Künſtler und ein „beſſeres Mädchen“;
die Hausordnung dementſprechend liberal, die
Wirtin desgleichen.

— Ein guter Dunſtkreis, hatte er geſagt, wie er
die Wohnung bezog; hier laßt uns die Götter
locken mit Pfeifen und klingenden Gläſern.

Er hatte gleich ſeine alte Frechheit wieder, die
er ſo lange unter einer anderen hatte verbergen
müſſen. Es fehlten ihm nur noch die Genoſſen.

Aber ſein Aufruf am Schluß des Tintenſumpfs:
An das bischen Bohème in Berlin! hatte bald
gezogen. Es kamen ſogar ſehr viel mehr, als er
gewünſcht hatte, und vor Allem kamen ſehr viele
falſche Bohèmeleute, unglaubliches Volk voll inner¬
licher Philiſtroſität, Theorieenaushecker, Weltver¬
beſſerer, Pſeudoanarchiſten, auch einige lebendige
Beiſpiele aus Krafft-Ebings Pſychopathia ſexu¬
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[322/0336] Stilpe. Da aber gefiel es Stilpen gut. Hier fühlte er ſich zu Hauſe. Das war nach ſeinem Ge¬ ſchmack: Ein ſchmuckloſes Zimmer mit abgenutzten Möbeln, die er nicht mit beſonderer Schonung zu behandeln brauchte; zu Nachbarn Garçons wie er, Studenten, Künſtler und ein „beſſeres Mädchen“; die Hausordnung dementſprechend liberal, die Wirtin desgleichen. — Ein guter Dunſtkreis, hatte er geſagt, wie er die Wohnung bezog; hier laßt uns die Götter locken mit Pfeifen und klingenden Gläſern. Er hatte gleich ſeine alte Frechheit wieder, die er ſo lange unter einer anderen hatte verbergen müſſen. Es fehlten ihm nur noch die Genoſſen. Aber ſein Aufruf am Schluß des Tintenſumpfs: An das bischen Bohème in Berlin! hatte bald gezogen. Es kamen ſogar ſehr viel mehr, als er gewünſcht hatte, und vor Allem kamen ſehr viele falſche Bohèmeleute, unglaubliches Volk voll inner¬ licher Philiſtroſität, Theorieenaushecker, Weltver¬ beſſerer, Pſeudoanarchiſten, auch einige lebendige Beiſpiele aus Krafft-Ebings Pſychopathia ſexu¬ alis: Alles, was irgendwie in der Welt nicht zurechtkam, glaubte zur Bohème zu gehören und im Verfaſſer des Tintenſumpfs den Mann ge¬

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/336>, abgerufen am 22.11.2024.