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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Viertes Buch, viertes Kapitel.
thuung, daß sie auf so etwas wie eine geistige
Sturm- und Drangperiode zurückschauen konnten.
Auch hegten sie die stille Hoffnung, daß sie viel¬
leicht viribus unitis doch noch die Fähigkeit besitzen
möchten, wenigstens unter sich ein bischen über die
Stränge zu schlagen.

Da war nun die Absage Stilpes, vor dessen
literarischer Stellung sie doch etwelchen Respekt
hatten und in dem sie den durchgedrungenen Ce¬
naclier verehrten, sehr fatal gewesen. Ohne ihn
entwickelte sich das Cenacle stark ins hausbacken
Solide, und eigentlich gabs eine Wiedergeburt jenes
Debattierklubs auf dem Gymnasium, nur daß mit
der Unreife auch der Enthusiasmus fehlte.

Es wurde aus dem Cenacle eines der kritischen
Konventikel, wie sie sich jetzt gerne um die Lite¬
ratur und Kunst herumgruppieren, wo man sich
über das Neue unterhält, die Entwickelung mit
bald wärmerer, bald kühlerer Anteilnahme verfolgt,
und wo der heimliche Lessing dieser kritisch noch
immer nicht unter einen Hut gebrachten Zeit in
vielen Exemplaren wächst, blüht und gedeiht.

Ein Hauptsport dieses zeitgemäß gewordenen
Cenacles war die Psychologie, diese Lieblings¬
neigung aller unproduktiven Köpfe, die zu klug und

Viertes Buch, viertes Kapitel.
thuung, daß ſie auf ſo etwas wie eine geiſtige
Sturm- und Drangperiode zurückſchauen konnten.
Auch hegten ſie die ſtille Hoffnung, daß ſie viel¬
leicht viribus unitis doch noch die Fähigkeit beſitzen
möchten, wenigſtens unter ſich ein bischen über die
Stränge zu ſchlagen.

Da war nun die Abſage Stilpes, vor deſſen
literariſcher Stellung ſie doch etwelchen Reſpekt
hatten und in dem ſie den durchgedrungenen Cé¬
naclier verehrten, ſehr fatal geweſen. Ohne ihn
entwickelte ſich das Cénacle ſtark ins hausbacken
Solide, und eigentlich gabs eine Wiedergeburt jenes
Debattierklubs auf dem Gymnaſium, nur daß mit
der Unreife auch der Enthuſiasmus fehlte.

Es wurde aus dem Cénacle eines der kritiſchen
Konventikel, wie ſie ſich jetzt gerne um die Lite¬
ratur und Kunſt herumgruppieren, wo man ſich
über das Neue unterhält, die Entwickelung mit
bald wärmerer, bald kühlerer Anteilnahme verfolgt,
und wo der heimliche Leſſing dieſer kritiſch noch
immer nicht unter einen Hut gebrachten Zeit in
vielen Exemplaren wächſt, blüht und gedeiht.

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Cénacles war die Pſychologie, dieſe Lieblings¬
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[381/0395] Viertes Buch, viertes Kapitel. thuung, daß ſie auf ſo etwas wie eine geiſtige Sturm- und Drangperiode zurückſchauen konnten. Auch hegten ſie die ſtille Hoffnung, daß ſie viel¬ leicht viribus unitis doch noch die Fähigkeit beſitzen möchten, wenigſtens unter ſich ein bischen über die Stränge zu ſchlagen. Da war nun die Abſage Stilpes, vor deſſen literariſcher Stellung ſie doch etwelchen Reſpekt hatten und in dem ſie den durchgedrungenen Cé¬ naclier verehrten, ſehr fatal geweſen. Ohne ihn entwickelte ſich das Cénacle ſtark ins hausbacken Solide, und eigentlich gabs eine Wiedergeburt jenes Debattierklubs auf dem Gymnaſium, nur daß mit der Unreife auch der Enthuſiasmus fehlte. Es wurde aus dem Cénacle eines der kritiſchen Konventikel, wie ſie ſich jetzt gerne um die Lite¬ ratur und Kunſt herumgruppieren, wo man ſich über das Neue unterhält, die Entwickelung mit bald wärmerer, bald kühlerer Anteilnahme verfolgt, und wo der heimliche Leſſing dieſer kritiſch noch immer nicht unter einen Hut gebrachten Zeit in vielen Exemplaren wächſt, blüht und gedeiht. Ein Hauptſport dieſes zeitgemäß gewordenen Cénacles war die Pſychologie, dieſe Lieblings¬ neigung aller unproduktiven Köpfe, die zu klug und

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/395>, abgerufen am 22.11.2024.