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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Viertes Buch, viertes Kapitel.
allein oder mit erlauchten Leuten congenial zu
sumpfen. Er fing wieder an, schwere Getränke
nötig zu haben, wo dem Erlesenen schon Gilka ge¬
nügt, um den Kontakt mit dem Weltgeiste zu
finden. Auch bei ihm war es die Verzweifelung
der Impotenz, die ihn zwang, für teures Geld
wertlose Räusche zu kaufen. Man brauchte sich
schließlich kein Gewissen daraus zu machen, ihn
anzupumpen wie einen Kunstfreund von hoher
Steuerklasse."

Diese Verachtung von dieser Seite her besagte
für mich eigentlich den tiefsten Stand der Stil¬
pischen Dinge.

Unser ehemaliger Schaunard, so sagte ich mir,
hat also den brutal sinnlichen Zug seines Wesens
vollkommen Herr über sich werden lassen und ist,
da ihm mehr Geld zur Verfügung stand, als für
ihn gut war, in gemeiner und geistloser Schwel¬
gerei untergegangen. Der andere Zug seines Wesens,
und wenn es auch blos eine untergrundlose Ver¬
blendung war: Das Hinaufbegehren in freie,
schöpferische Geistigkeit, die Zuversicht, aus sich
etwas Großes, einen Poeten zu machen, das hat er
ganz verloren. Aber ich fügte in mir den Ge¬
danken bei: Er muß, wenigstens in vorüber wehen¬

Viertes Buch, viertes Kapitel.
allein oder mit erlauchten Leuten congenial zu
ſumpfen. Er fing wieder an, ſchwere Getränke
nötig zu haben, wo dem Erleſenen ſchon Gilka ge¬
nügt, um den Kontakt mit dem Weltgeiſte zu
finden. Auch bei ihm war es die Verzweifelung
der Impotenz, die ihn zwang, für teures Geld
wertloſe Räuſche zu kaufen. Man brauchte ſich
ſchließlich kein Gewiſſen daraus zu machen, ihn
anzupumpen wie einen Kunſtfreund von hoher
Steuerklaſſe.“

Dieſe Verachtung von dieſer Seite her beſagte
für mich eigentlich den tiefſten Stand der Stil¬
piſchen Dinge.

Unſer ehemaliger Schaunard, ſo ſagte ich mir,
hat alſo den brutal ſinnlichen Zug ſeines Weſens
vollkommen Herr über ſich werden laſſen und iſt,
da ihm mehr Geld zur Verfügung ſtand, als für
ihn gut war, in gemeiner und geiſtloſer Schwel¬
gerei untergegangen. Der andere Zug ſeines Weſens,
und wenn es auch blos eine untergrundloſe Ver¬
blendung war: Das Hinaufbegehren in freie,
ſchöpferiſche Geiſtigkeit, die Zuverſicht, aus ſich
etwas Großes, einen Poeten zu machen, das hat er
ganz verloren. Aber ich fügte in mir den Ge¬
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[389/0403] Viertes Buch, viertes Kapitel. allein oder mit erlauchten Leuten congenial zu ſumpfen. Er fing wieder an, ſchwere Getränke nötig zu haben, wo dem Erleſenen ſchon Gilka ge¬ nügt, um den Kontakt mit dem Weltgeiſte zu finden. Auch bei ihm war es die Verzweifelung der Impotenz, die ihn zwang, für teures Geld wertloſe Räuſche zu kaufen. Man brauchte ſich ſchließlich kein Gewiſſen daraus zu machen, ihn anzupumpen wie einen Kunſtfreund von hoher Steuerklaſſe.“ Dieſe Verachtung von dieſer Seite her beſagte für mich eigentlich den tiefſten Stand der Stil¬ piſchen Dinge. Unſer ehemaliger Schaunard, ſo ſagte ich mir, hat alſo den brutal ſinnlichen Zug ſeines Weſens vollkommen Herr über ſich werden laſſen und iſt, da ihm mehr Geld zur Verfügung ſtand, als für ihn gut war, in gemeiner und geiſtloſer Schwel¬ gerei untergegangen. Der andere Zug ſeines Weſens, und wenn es auch blos eine untergrundloſe Ver¬ blendung war: Das Hinaufbegehren in freie, ſchöpferiſche Geiſtigkeit, die Zuverſicht, aus ſich etwas Großes, einen Poeten zu machen, das hat er ganz verloren. Aber ich fügte in mir den Ge¬ danken bei: Er muß, wenigſtens in vorüber wehen¬

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/403>, abgerufen am 22.11.2024.