Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch, Schlußkapitel.
Ziele. Wie lange schon bemüh ich mich, durchaus
ein Lump zu werden, -- und es ist mir immer
noch nicht gelungen.

Wenn ich doch nur klar denken könnte! Ich möchte
Dirs so gerne auseinandersetzen, Jurist, der Du bist.

Aber: Diese Blasen im Gehirn. Verschlammter
Grund. Gurgelgase, Fuselgase. Ich weiß schon
nicht mehr, was ich Dir auseinandersetzen wollte.
Es wird wohl eine Lüge gewesen sein.

Daran darf nicht gezweifelt werden! Immer
hab ich gelogen! Immer! Sieh nur meine Tage¬
bücher durch.

Die Verse! Die Verse! Am liebsten hab ich
mich selber belogen, und rhythmisch.

Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, das
immer so zu fühlen, wie jetzt. Wenn ich mir nur
über mein Talent nicht erst jetzt klar würde, wo
es zu spät ist, wo ich nicht mehr die Kraft habe,
es systematisch auszunutzen! Ich hätte nie was
wollen sollen. Das Wollen war für mich eine
ungesunde Lüge.

Dichter wollte ich werden, weil ich Verse machen
konnte. Das war die Heckeratte, die infame. Wenn
ich "Kritiker" geblieben wäre, -- Du, was wäre
ich da für ein ganzer Kerl geblieben, in Samet

Viertes Buch, Schlußkapitel.
Ziele. Wie lange ſchon bemüh ich mich, durchaus
ein Lump zu werden, — und es iſt mir immer
noch nicht gelungen.

Wenn ich doch nur klar denken könnte! Ich möchte
Dirs ſo gerne auseinanderſetzen, Juriſt, der Du biſt.

Aber: Dieſe Blaſen im Gehirn. Verſchlammter
Grund. Gurgelgaſe, Fuſelgaſe. Ich weiß ſchon
nicht mehr, was ich Dir auseinanderſetzen wollte.
Es wird wohl eine Lüge geweſen ſein.

Daran darf nicht gezweifelt werden! Immer
hab ich gelogen! Immer! Sieh nur meine Tage¬
bücher durch.

Die Verſe! Die Verſe! Am liebſten hab ich
mich ſelber belogen, und rhythmiſch.

Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, das
immer ſo zu fühlen, wie jetzt. Wenn ich mir nur
über mein Talent nicht erſt jetzt klar würde, wo
es zu ſpät iſt, wo ich nicht mehr die Kraft habe,
es ſyſtematiſch auszunutzen! Ich hätte nie was
wollen ſollen. Das Wollen war für mich eine
ungeſunde Lüge.

Dichter wollte ich werden, weil ich Verſe machen
konnte. Das war die Heckeratte, die infame. Wenn
ich „Kritiker“ geblieben wäre, — Du, was wäre
ich da für ein ganzer Kerl geblieben, in Samet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0421" n="407"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch, Schlußkapitel.<lb/></fw> Ziele. Wie lange &#x017F;chon bemüh ich mich, durchaus<lb/>
ein Lump zu werden, &#x2014; und es i&#x017F;t mir immer<lb/>
noch nicht gelungen.</p><lb/>
          <p>Wenn ich doch nur klar denken könnte! Ich möchte<lb/>
Dirs &#x017F;o gerne auseinander&#x017F;etzen, Juri&#x017F;t, der Du bi&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Aber: Die&#x017F;e Bla&#x017F;en im Gehirn. Ver&#x017F;chlammter<lb/>
Grund. Gurgelga&#x017F;e, Fu&#x017F;elga&#x017F;e. Ich weiß &#x017F;chon<lb/>
nicht mehr, was ich Dir auseinander&#x017F;etzen wollte.<lb/>
Es wird wohl eine Lüge gewe&#x017F;en &#x017F;ein.</p><lb/>
          <p>Daran darf nicht gezweifelt werden! Immer<lb/>
hab ich gelogen! Immer! Sieh nur meine Tage¬<lb/>
bücher durch.</p><lb/>
          <p>Die Ver&#x017F;e! Die Ver&#x017F;e! Am lieb&#x017F;ten hab ich<lb/>
mich &#x017F;elber belogen, und rhythmi&#x017F;ch.</p><lb/>
          <p>Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, das<lb/>
immer &#x017F;o zu fühlen, wie jetzt. Wenn ich mir nur<lb/>
über mein Talent nicht er&#x017F;t jetzt klar würde, wo<lb/>
es zu &#x017F;pät i&#x017F;t, wo ich nicht mehr die Kraft habe,<lb/>
es &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch auszunutzen! Ich hätte nie was<lb/>
wollen &#x017F;ollen. Das Wollen war für mich eine<lb/>
unge&#x017F;unde Lüge.</p><lb/>
          <p>Dichter wollte ich werden, weil ich Ver&#x017F;e machen<lb/>
konnte. Das war die Heckeratte, die infame. Wenn<lb/>
ich &#x201E;Kritiker&#x201C; geblieben wäre, &#x2014; Du, was wäre<lb/>
ich da für ein ganzer Kerl geblieben, in Samet<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[407/0421] Viertes Buch, Schlußkapitel. Ziele. Wie lange ſchon bemüh ich mich, durchaus ein Lump zu werden, — und es iſt mir immer noch nicht gelungen. Wenn ich doch nur klar denken könnte! Ich möchte Dirs ſo gerne auseinanderſetzen, Juriſt, der Du biſt. Aber: Dieſe Blaſen im Gehirn. Verſchlammter Grund. Gurgelgaſe, Fuſelgaſe. Ich weiß ſchon nicht mehr, was ich Dir auseinanderſetzen wollte. Es wird wohl eine Lüge geweſen ſein. Daran darf nicht gezweifelt werden! Immer hab ich gelogen! Immer! Sieh nur meine Tage¬ bücher durch. Die Verſe! Die Verſe! Am liebſten hab ich mich ſelber belogen, und rhythmiſch. Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, das immer ſo zu fühlen, wie jetzt. Wenn ich mir nur über mein Talent nicht erſt jetzt klar würde, wo es zu ſpät iſt, wo ich nicht mehr die Kraft habe, es ſyſtematiſch auszunutzen! Ich hätte nie was wollen ſollen. Das Wollen war für mich eine ungeſunde Lüge. Dichter wollte ich werden, weil ich Verſe machen konnte. Das war die Heckeratte, die infame. Wenn ich „Kritiker“ geblieben wäre, — Du, was wäre ich da für ein ganzer Kerl geblieben, in Samet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/421
Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/421>, abgerufen am 22.11.2024.