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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Erstes Buch, fünftes Kapitel.

Zuerst die Bemerkung, daß vor der Szene
unter dem Katheder sich nichts in ihm geregt hat,
was als Hinweis auf das plötzliche Verswesen
ausgelegt werden könnte. Höchstens, daß er sehr
gerne im Gesangbuch las, ohne daß ihn Frömmig¬
keit dazu veranlaßt hätte. Er las, weil es ihm
gut klang. Aber es kam ihm dabei durchaus nicht
der Gedanke, auch mal so was Klingendes zu
machen. Er dachte überhaupt nicht daran, daß
das etwas gemachtes sei. Er nahm es wie eine
Blume, wie einen Baum und freute sich dran.

Und nun, nicht wahr, es ist doch sonderbar:
Kaum, daß er eine kleine Josephine neben sich ge¬
fühlt hat, setzt er sich hin und schreibt Verse. Und
nicht dies blos, er empfindet plötzlich, wenn auch
verworren und wie aus drängenden Nebeln: Dies,
das Verseschreiben, ist ein unerhörtes Glück, ein
Ziel über allen Zielen.

Etwas Schwillendes ist in ihm, etwas, das sich
nur mit diesem unsagbaren Gefühle unterm Kathe¬
der vergleichen läßt. Und er hütet das Geheim¬
nis dieses Schwillens mit demselben Gefühle von
Scham, wie das Geheimnis seines Abenteuers mit
Josephine.

Vielleicht sind diese beiden Geheimnisse nur

Erſtes Buch, fünftes Kapitel.

Zuerſt die Bemerkung, daß vor der Szene
unter dem Katheder ſich nichts in ihm geregt hat,
was als Hinweis auf das plötzliche Versweſen
ausgelegt werden könnte. Höchſtens, daß er ſehr
gerne im Geſangbuch las, ohne daß ihn Frömmig¬
keit dazu veranlaßt hätte. Er las, weil es ihm
gut klang. Aber es kam ihm dabei durchaus nicht
der Gedanke, auch mal ſo was Klingendes zu
machen. Er dachte überhaupt nicht daran, daß
das etwas gemachtes ſei. Er nahm es wie eine
Blume, wie einen Baum und freute ſich dran.

Und nun, nicht wahr, es iſt doch ſonderbar:
Kaum, daß er eine kleine Joſephine neben ſich ge¬
fühlt hat, ſetzt er ſich hin und ſchreibt Verſe. Und
nicht dies blos, er empfindet plötzlich, wenn auch
verworren und wie aus drängenden Nebeln: Dies,
das Verſeſchreiben, iſt ein unerhörtes Glück, ein
Ziel über allen Zielen.

Etwas Schwillendes iſt in ihm, etwas, das ſich
nur mit dieſem unſagbaren Gefühle unterm Kathe¬
der vergleichen läßt. Und er hütet das Geheim¬
nis dieſes Schwillens mit demſelben Gefühle von
Scham, wie das Geheimnis ſeines Abenteuers mit
Joſephine.

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[47/0061] Erſtes Buch, fünftes Kapitel. Zuerſt die Bemerkung, daß vor der Szene unter dem Katheder ſich nichts in ihm geregt hat, was als Hinweis auf das plötzliche Versweſen ausgelegt werden könnte. Höchſtens, daß er ſehr gerne im Geſangbuch las, ohne daß ihn Frömmig¬ keit dazu veranlaßt hätte. Er las, weil es ihm gut klang. Aber es kam ihm dabei durchaus nicht der Gedanke, auch mal ſo was Klingendes zu machen. Er dachte überhaupt nicht daran, daß das etwas gemachtes ſei. Er nahm es wie eine Blume, wie einen Baum und freute ſich dran. Und nun, nicht wahr, es iſt doch ſonderbar: Kaum, daß er eine kleine Joſephine neben ſich ge¬ fühlt hat, ſetzt er ſich hin und ſchreibt Verſe. Und nicht dies blos, er empfindet plötzlich, wenn auch verworren und wie aus drängenden Nebeln: Dies, das Verſeſchreiben, iſt ein unerhörtes Glück, ein Ziel über allen Zielen. Etwas Schwillendes iſt in ihm, etwas, das ſich nur mit dieſem unſagbaren Gefühle unterm Kathe¬ der vergleichen läßt. Und er hütet das Geheim¬ nis dieſes Schwillens mit demſelben Gefühle von Scham, wie das Geheimnis ſeines Abenteuers mit Joſephine. Vielleicht ſind dieſe beiden Geheimniſſe nur

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/61>, abgerufen am 25.11.2024.