Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite
Stilpe.

Das Fragen war mehr ein Spiel mit Gott.
Es ging ihm keineswegs tief. Es lief nicht auf
Zweifel hinaus, wollte nicht etwa dahin kommen,
daß plötzlich mal keine Antwort mehr da wäre.
Nein, es geschah in der wunderbaren Zuversicht,
daß man über Gott das Unmöglichste erfragen
dürfe, und es würde doch immer eine Antwort
kommen. Überdies war Willibald trotz aller Worte
des Pastors davon überzeugt, daß er gerade durch
seine Fragen Gott sehr interessant werden müsse,
und er fing einen förmlichen Sport damit an,
Alles in Beziehung zu Gott zu setzen.

-- Wenn ich jetzt der Fliege ein Bein ausreiße,
so ärgert sich Gott.

-- Halt! jetzt werde ich so thun, als wollte ich ihr
ein Bein ausreißen. . . . Was für ein Gesicht
wird er da machen!

-- Aber nein: Ich lasse sie fliegen. Jetzt freut
er sich.

-- Heute werde ich bei jedem Bissen, den ich in
den Mund stecke, inwendig sagen: Ich danke Dir
Gott! Und wenn ichs einmal vergesse, so will ich
nicht weiter essen.

Aber er führte es nur bei der Suppe durch.
Beim Braten vergaß ers bald und aß doch weiter:

Stilpe.

Das Fragen war mehr ein Spiel mit Gott.
Es ging ihm keineswegs tief. Es lief nicht auf
Zweifel hinaus, wollte nicht etwa dahin kommen,
daß plötzlich mal keine Antwort mehr da wäre.
Nein, es geſchah in der wunderbaren Zuverſicht,
daß man über Gott das Unmöglichſte erfragen
dürfe, und es würde doch immer eine Antwort
kommen. Überdies war Willibald trotz aller Worte
des Paſtors davon überzeugt, daß er gerade durch
ſeine Fragen Gott ſehr intereſſant werden müſſe,
und er fing einen förmlichen Sport damit an,
Alles in Beziehung zu Gott zu ſetzen.

— Wenn ich jetzt der Fliege ein Bein ausreiße,
ſo ärgert ſich Gott.

— Halt! jetzt werde ich ſo thun, als wollte ich ihr
ein Bein ausreißen. . . . Was für ein Geſicht
wird er da machen!

— Aber nein: Ich laſſe ſie fliegen. Jetzt freut
er ſich.

— Heute werde ich bei jedem Biſſen, den ich in
den Mund ſtecke, inwendig ſagen: Ich danke Dir
Gott! Und wenn ichs einmal vergeſſe, ſo will ich
nicht weiter eſſen.

Aber er führte es nur bei der Suppe durch.
Beim Braten vergaß ers bald und aß doch weiter:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0092" n="78"/>
          <fw place="top" type="header">Stilpe.<lb/></fw>
          <p>Das Fragen war mehr ein Spiel mit Gott.<lb/>
Es ging ihm keineswegs tief. Es lief nicht auf<lb/>
Zweifel hinaus, wollte nicht etwa dahin kommen,<lb/>
daß plötzlich mal keine Antwort mehr da wäre.<lb/>
Nein, es ge&#x017F;chah in der wunderbaren Zuver&#x017F;icht,<lb/>
daß man über Gott das Unmöglich&#x017F;te erfragen<lb/>
dürfe, und es würde doch immer eine Antwort<lb/>
kommen. Überdies war Willibald trotz aller Worte<lb/>
des Pa&#x017F;tors davon überzeugt, daß er gerade durch<lb/>
&#x017F;eine Fragen Gott &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;ant werden mü&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
und er fing einen förmlichen Sport damit an,<lb/>
Alles in Beziehung zu Gott zu &#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Wenn ich jetzt der Fliege ein Bein ausreiße,<lb/>
&#x017F;o ärgert &#x017F;ich Gott.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Halt! jetzt werde ich &#x017F;o thun, als wollte ich ihr<lb/>
ein Bein ausreißen. . . . Was für ein Ge&#x017F;icht<lb/>
wird er da machen!</p><lb/>
          <p>&#x2014; Aber nein: Ich la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie fliegen. Jetzt freut<lb/>
er &#x017F;ich.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Heute werde ich bei jedem Bi&#x017F;&#x017F;en, den ich in<lb/>
den Mund &#x017F;tecke, inwendig &#x017F;agen: Ich danke Dir<lb/>
Gott! Und wenn ichs einmal verge&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o will ich<lb/>
nicht weiter e&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Aber er führte es nur bei der Suppe durch.<lb/>
Beim Braten vergaß ers bald und aß doch weiter:<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0092] Stilpe. Das Fragen war mehr ein Spiel mit Gott. Es ging ihm keineswegs tief. Es lief nicht auf Zweifel hinaus, wollte nicht etwa dahin kommen, daß plötzlich mal keine Antwort mehr da wäre. Nein, es geſchah in der wunderbaren Zuverſicht, daß man über Gott das Unmöglichſte erfragen dürfe, und es würde doch immer eine Antwort kommen. Überdies war Willibald trotz aller Worte des Paſtors davon überzeugt, daß er gerade durch ſeine Fragen Gott ſehr intereſſant werden müſſe, und er fing einen förmlichen Sport damit an, Alles in Beziehung zu Gott zu ſetzen. — Wenn ich jetzt der Fliege ein Bein ausreiße, ſo ärgert ſich Gott. — Halt! jetzt werde ich ſo thun, als wollte ich ihr ein Bein ausreißen. . . . Was für ein Geſicht wird er da machen! — Aber nein: Ich laſſe ſie fliegen. Jetzt freut er ſich. — Heute werde ich bei jedem Biſſen, den ich in den Mund ſtecke, inwendig ſagen: Ich danke Dir Gott! Und wenn ichs einmal vergeſſe, ſo will ich nicht weiter eſſen. Aber er führte es nur bei der Suppe durch. Beim Braten vergaß ers bald und aß doch weiter:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/92
Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/92>, abgerufen am 28.11.2024.